hochzeit1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. August 2021, Teil 3

Redaktion

Athen (Weltexpresso) - Eine ähnliche Geschichte wäre über viele verschiedene alte Gewerke möglich gewesen. Warum haben Sie sich für Schneiderei entschieden?

Schneiderei ist eine Welt der Details und der Zeit. Es ist eine Welt der Geduld und strenger Regeln. Es ist eine Kunstform, bei der die Perfektion von jedem Stich abhängt. Alle Beteiligten – der Schneider, der Kunde, der Stoffverkäufer – sind sehr stolz darauf. Schneiderei braucht Zeit. Ein Anzug kann in 30 Minuten gekauft werden, es dauert jedoch einige Wochen, bis er maßgeschneidert ist. Dies ist es, was dieses Handwerk „altmodisch“ macht: sich Zeit nehmen und den Dingen Aufmerksamkeit und eine Geschichte schenken. Etwas sehr Ungewöhnliches für unsere Zeit.


Worin besteht für Sie der visuelle Reiz des Schneiderns?

Schneiderei ist eine Kunstform, die aus Details besteht. Die Details von Stoffen, Stichen, von Fäden und Werkzeugen. Es ist auch eine sehr ruhige Welt. Dank der Ästhetik und Rituale dieses Handwerks konnten wir eine dichte und schwach beleuchtete Atmosphäre schaffen. Eine Welt strenger Geometrie. Ein Mikrokosmos, in den die Hauptfigur eingefügt ist und wie ein Schatten in einer verfallenden Welt existiert, die sein Vater geschaffen hat. Wenn er allein im hinteren Teil seines Geschäfts ist, sehen wir, wie er dem Umfeld entkommt, in dem er sich ganz dem Nähen widmet, seinem einzigen Begleiter.


Warum haben Sie sich dafür entschieden, das Ganze positiv zu erzählen?

Der Film ist eine hoffnungsvolle und optimistische Geschichte über Veränderungen und die Fähigkeit, auch unter extremen Umständen voranzukommen. Wir beobachten, wie sich die Hauptfigur gegen eine wirtschaftliche Sackgasse stemmt, sich und sein Handwerk neu erfindet und für sich eine Zukunft begründet. Als ich dieses Drehbuch mitten in der Krise in Griechenland schrieb, war es mir wichtig, eine Art Lösung für diesen Charakter zu finden. Er ist schüchtern, bescheiden, kein Kämpfer, liebt aber sein Handwerk und das gibt ihm Mut. Und er schafft es – nicht im Sinne der allgemeinen gesellschaftlichen Maßstäbe, aber er findet sein persönliches Glück. In diesen harten Zeiten, in denen wir leben, bin ich mir nicht sicher, ob es möglich ist, auf universeller Ebene optimistisch zu sein, aber vielleicht ist es auf individueller und mikroskopischer Ebene möglich. Aktiv zu bleiben, ist fast ein Akt des Widerstands.


Handelt es sich um ein spezifisch griechisches Thema oder denken Sie, dass die Geschichte des Films auch von einem Publikum in anderen Teilen Europas nachempfunden werden kann?

Altes Handwerk verschwindet überall in der westlichen Welt. In einigen Ländern schneller, in anderen nicht. Die Schneiderei überlebt in Griechenland weitgehend durch Veränderungen, die während der Krise zugenommen haben. Die Leute konnten es sich nicht leisten, neue Kleidung zu kaufen und sie änderten oder reparierten ihre alten Kleider selbst, oder nahmen die abgenutzten Kleider anderer Leute und passten sie an. Griechenland ist ein Balkanland. Die Grundlage unserer Wirtschaft besteht noch immer teilweise aus Heim- und Kleinindustrie, aus der Handwerkskunst und der unorganisierten Produktion. Unabhängig von der Größenordnung passen sich die Menschen ihrem Beruf und diesen an die zeitgenössische Kultur an.


Inwieweit ist der Film ein Porträt des zeitgenössischen Griechenlands?

Ich denke, er ist zeitgemäß in dem Sinne, dass es darum geht, sich dem zu stellen, wer du warst und was du jetzt bist. Wie nach der Finanzkrise, sehen wir, wie die Werte der alten Welt mit dem gegenwärtigen wirtschaftlichen Kampf kollidieren, da sich der Schneider an die moderne Welt anpassen muss. DER HOCHZEITSSCHNEIDER VON ATHEN ist das Porträt eines Mannes, der etwas hinter seiner Zeit zurückbleibt. Seine Bräuche, Ethik und Praktiken entsprechen nicht der Realität. Er passt nicht in die sich schnell verändernde Gesellschaft. Wir erleben heutzutage das Aussterben der Handwerkskunst überall in Griechenland.


Was für eine Person ist Ihre Hauptfigur?

Ein Schneidermeister in seinen 50ern. Ein Künstler mit Faden und Nadel. Ein Träumer, der nicht ganz in die Welt passt. Nikos scheint ein Mann aus einer anderen Zeit zu sein: Er ist gutmütig, formell, höflich und trägt einen maßgeschneiderten Anzug. Sein selbstironischer Charme mag sich in Charisma und Selbstvertrauen verwandelt haben, aber er ist im Schatten seines strengen Vaters aufgewachsen, der ihn dazu gebracht hat, sich der Welt zu ergeben, die sein Vater geschaffen hat. Er ist zurückhaltend und pflichtbewusst und davon überzeugt, dass er die Erwartungen seines Vaters nicht erfüllt hat. Nikos lebt im Selbstexil, eines scheinbar besiegten Mannes.

Doch als die Schneiderei der Familie vom Bankrott bedroht ist, entdeckt er seine verborgene Stärke, seinen Mut und nimmt das Leben selbst in die Hand. Er entkommt seinem isolierten Leben und geht in die Welt hinaus. Er verwandelt sich in einen erfinderischen Straßenschneider.


Warum haben Sie sich entschieden, diese Geschichte als Komödie zu erzählen und was waren Ihre Hauptstrategien dafür?

Die Komödie und der Humor des Films entstehen, wenn wir beobachten, wie unser etwas altmodischer, schüchterner und sehr formvollendeter Protagonist auf die Wirklichkeit des heutigen Athen trifft. Wenn wir ihm dabei zuschauen, wie er versucht, sich anzupassen und erfolgreich zu sein. Es ist voller Humor, weil er sich seiner Situation nicht bewusst ist. Er versteht nicht, wie und warum er auffällt. Erst in seinen 50ern verliebt sich er sich zum ersten Mal und begegnet der Welt um ihn herum.


Warum ist die Liebesgeschichte für die Entwicklung der Hauptfigur so wichtig?

Zurückgezogen und ohne soziales Leben geht er in die Welt und nimmt zum ersten Mal das Leben selbst in die Hand. Mit 50 erlebt er eine Art Erwachsenwerden und verliebt sich zum ersten Mal. Diese Frau ist für ihn wie eine Muse. Sie bewundert ihn und unterstützt ihn. Sie ermutigt ihn und findet ihre eigene Kreativität und entwickelt ihr Talent durch ihn.


Was für eine Reaktion auf den Film wünschen Sie sich vom Publikum?

Ich hoffe, das Publikum wird in seine Welt hineingezogen und findet sie witzig, zärtlich und wahrheitsgemäß. Ich hoffe, sie werden dafür sorgen, dass dieser sanfte, kreative Mann es irgendwie schafft.


Ist der Niedergang der traditionellen Handwerkskunst etwas, worüber Sie sich im Allgemeinen Sorgen machen?

So altmodisch es auch klingen mag, ich finde es traurig, dass Dinge, die Menschen mit ihren eigenen Händen erschaff en, Kunsthandwerk, das über Generationen weitergegeben wurde, bald verschwinden wird. Das Handwerk und Wissen stirbt aus, ebenso die Einzigartigkeit eines einzelnen Produkts und die einfache Fähigkeit, selbst etwas herzustellen. Technologie übernimmt. Es entwickelt sich schnell und wir folgen ihm. Viel Handwerk ist im Laufe der Jahrhunderte verschwunden, und vielleicht werden eines Tages alle Handwerke für immer verschwunden sein.

Foto:
©Verleih

Info:
BESETZUNG
Nikos        Dimitris Imellos
Olga         Tamila Koulieva
Thanasis   Thanasis Papageorgiou
Kostas      Stathis Stamoulakatos
Victoria    Dafni Michopoulou

STAB
Regie        Sonia Liza Kenterman
Drehbuch Sonia Liza Kenterman, Tracy Sunderland
Kamera     George Michelis
Schnitt      Dimitris Peponis