Eva Mittmann
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Am vergangenen Sonntag wurde der auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnete dreieinhalbstündige(!) Dokumentarfilm „Herr Bachmann und seine Klasse“ in Anwesenheit von Regisseurin Maria Späth als Hessenpremiere gezeigt. Der Film gilt als einer der schönsten Filme des Jahres und ist mehrfach für den Deutschen Filmpreis nominiert.
Als erstes interessiert uns die Frage: Was ist das Besondere an diesem Film, dass er die Jury gleich in zwei Kategorien – nämlich "Beste Regie" und "Bester Dokumentarfilm" überzeugen konnte?
Und die Antwort: Er berührt uns emotional in der Tiefe. Im anschließenden Gespräch mit der Regisseurin wird dann deutlich, warum das so ist: Seit Jahrzehnten nämlich, schon lange bevor die ersten Filmaufnahmen gemacht wurden, ist Lehrer Bachmann mit dem Co-Autor und Kameramann Reinhold Vorschneider sehr gut befreundet und hatte ihn - sowohl als auch Maria Späth - eingeladen, zu Besuch in die Klasse zu kommen. Aufgrund dieser Konstellation konnte sich „eine emotionale Nähe entwickeln, die durchgängig in den Filmszenen spürbar wird“, wie Maria Späth erklärt.
Doch wodurch entsteht eigentlich diese sich übertragende Nähe zwischen Lehrer und Schüler und diese schon beim Hinschauen spürbare Emotionalität während des Films? Was vermittelt uns dieser kauzige Herr Bachmann? Er kann – im Gegensatz zu vielen anderen Lehrerkollegen – zuhören! Er zeigt Interesse an den Bedürfnissen der Schüler und Schülerinnen, kann sehr gut zuhören und auch persönliche Fragen stellen, wo hingegen das Gros der Lehrerschaft sich leider nach wie vor als „Wissensvermittler“ begreift. Durch seine Fähigkeit, zuhören zu können und die Schüler und Schülerinnen ernst zu nehmen, schafft er es, eine emotionale Nähe zu erzeugen, die ihresgleichen sucht und eine Vertrauensbasis zu entwickeln, die durchgängig spürbar wird.
Musik schafft Empathie!
Neunzehn Kinder aus zwölf Nationen zu unterrichten und sie emotional als auch intellektuell zu erreichen, das ist nicht immer einfach. Als eines der besten Hilfsmittel hierbei erweist sich das gemeinsame Musizieren: Es stehen nämlich ständig mehrere Instrumente im Klassenzimmer bereit, z.B. ein komplettes Bandequipment: Schlagzeug, E-Gitarre, Bass – aber auch akustische Gitarren. Geduldig führt Herr Bachmann seine Schüler an das Instrumentalspiel heran. Auch im Einzelunterricht, während der Rest der Klasse mit anderen Aufgaben beschäftigt ist. Die Musik ist jedoch immer das verbindende Element über alle Sprachbarrieren hinweg. Beim gemeinsamen Spiel an den Instrumenten schwingen sich die Schülerinnen und Schüler aufeinander ein, hören einander einfühlsam zu und schaffen ein gemeinsames verbindendes Ganzes jenseits aller real vorhandenen Sprachbarrieren und/oder Defizite. Denn „während Sprache Verstehen erfordert, funktioniert Musik ganz ohne Worte, unmittelbar über die Gefühlsebene. Jeder verbindet mit bestimmten Liedern besondere Erinnerungen und damit verknüpfte Gefühle“, so Prof. Dr. Gunter Kreutz von der Universität Oldenburg. Dieses wechselseitige Verstehen schafft Verbindung jenseits aller Sprachbarrieren.
Auffällig ist außerdem zu beobachten, dass sich Herr Bachmann häufig einzelnen Schülern zuwendet, um mit ihnen persönliche Zwie-Gespräche zu führen. Dies schafft eine emotionale Nähe, der im „normalen“ Klassenunterricht viel zu selten Raum gegeben wird. Oft nämlich brauchen Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Erklärungsweisen und Ansätze (u.a. auch verbal vermittelte emotionale Wärme), die im klassisch frontalen Fachunterricht nur schwerlich zu leisten sind.
Es ist durchgängig zu spüren: Lehrer Bachmann will das Vertrauen der Kinder in ihre eigenen Fähigkeiten bestärken. Jenseits der Sprachbarrieren gelingt ihm dies am besten mit gemeinsamem Musizieren, am zweitbesten mit Kunst. Warum das wohl so ist? Musik als auch Kunst vermitteln uns Inhalte jenseits der Sprache in Gefühlsqualitäten, die in der Lage sind, uns tief emotional zu berühren. Aber auch durch Diskussionen, die unterschiedliche Meinungen respektvoll bestehen lassen, gelingt es ihm, Nähe herzustellen. Dabei macht Bachmann auch vor Tabu-Themen nicht halt und fragt zum Beispiel provokant in die Runde: „Wenn zwei Jungen oder zwei Mädchen sich küssen, wer findet das eklig?“ Die Schüler und Schülerinnen können anschließend dazu ehrlich ihre unterschiedlichen Meinungen äußern. „Schule muss auch was mit Emotion zu tun haben.“
Da wil ich ihm vollkommen recht geben. „Schule darf nicht nur kognitiv sein.“ Aber braucht es dazu wirklich zwingend alte, leicht kauzige Männer mit Mollmützen? Das sollte sich die „neue“ Lehrergeneration mal ernsthaft fragen.
Fotos :
Titel
©: AFP/Stefanie Loos
Text:
Regisseurin Maria Späth
©Michael Dellermann
Regisseurin Maria Späth
©Michael Dellermann
Info:
Dokumentarfilm, 217 Minuten, DCP, deutsche Fassung
Regie: Maria Speth
Buch: Maria Speth, Reinhold Vorschneider
Kamera: Reinhold Vorschneider
Schnitt: Maria Speth
Ton: Oliver Göbel
Dokumentarfilm, 217 Minuten, DCP, deutsche Fassung
Regie: Maria Speth
Buch: Maria Speth, Reinhold Vorschneider
Kamera: Reinhold Vorschneider
Schnitt: Maria Speth
Ton: Oliver Göbel