Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Vorneweg durchaus die Frage an uns selbst: Wie kommt es eigentlich, daß wir derzeit so viel mehr Dokumentarfilme im Kino sehen als die ganzen Jahre und wenn man sich die kommenden Filme anschaut, werden es noch mehr. Die Frage nach dem WARUM ist zufällig auch die Hauptfrage an die Leiterin des Filmfestivals LUCAS für junges Publikum in der gestrigen FAZ. Die antwortet nun filmdidaktisch und bringt als Argument für den häufiger gewordenen DOKUMENTARFILM, mit dem übrigens auch das Festival erstmals eröffnet wird: Es ginge darum, dem jungen Publikum, das durch TV und Internet auf eine Menge nonfiktionaler Filme und Videos stoße und keine Maßstäbe habe, mit dem künstlerischen Dokumentarfilm im Kino eine Alternative bieten.
Für Erwachsene kann man das eigentlich fortsetzen. Denn man kann ja wirklich nicht davon sprechen, daß insbesondere die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zu wenige Filme zeigen, die meist Dokumentationen sind, aber auch Dokumentarfilme und immer wieder eben auch die Filme, die in den Kinos gelaufen sind, aber ohne die Mitfinanzierung der Fernsehanstalten – insbesondere ARTE und ZDF – gar nicht zu Stande gekommen wären. Es geht also im Moment eigentlich darum, für die vielen und häufig hervorragenden Dokumentarfilme das Publikum im Kino zu finden. Sicher ist der folgende Film TRÄUM WEITER! dazu geeignet
Eigentlich wünscht man sich, daß mit jeder Kinokarte auch ein Zettel ausgefüllt werden müßte, was eigentlich die eigenen Träume sind. ODER, sinnvoller, nach dem Film, denn er fordert ja durch Beispiele anderer durchaus dazu auf. Hier sind es fünf persönliche Revolutionen, bei einigen verbunden mit einem radikalen Abbruch und Umbruch des bisherigen Lebens: Joy, Van Bo, Line, CarlHeinrich und Günther. Ja, vier Männer und das empfand ich durchaus als Problem, weil es nach Schiller fortsetzt: Der Mann muß hinaus ins feindliche Leben“, und das „Träumen“ gleich etwas martialisch ausgelegt wird.
Aber stellen wir die fünf „Träumer“ erst einmal näher vor:
VAN BO LE-MENTZEL entwirft und baut in Berlin sogenannte Tiny-Häuser. Schmale Häuser aus Holz, die neben Autos auf dem Bürgersteig oder sogar direkt auf der Straße hingestellt werden und als öffentliche Orte Begegnungen ermöglichen sollen. Das Wohnen ist für ihn das größte derzeitige Problem und er will überhaupt mietfreies Wohnen und dann auchHausmodelle, wo alle Generationen sinnvoll gemeinsam wohnen.
CARL-HEINRICH VON GABLENZ hat einen für den Normalbürger erst einmal seltsamen Traum. Er hat seine erfolgreiche Managertätigkeit in einem Maschinenbau-Konzern gekündigt und ist mit seiner Familie ein Jahr in die USA gegangen. Er wollte Zeit zum Überlegen und Anregungen und kam auf folgende Idee, die er konsequent verfolgte: ein Wiederaufleben des Zeppelin, bzw., dessen technologischem Hintergrund durch sein leichter als Luft Sein für das Transportieren von Lasten in der Luft zu nutzen durch sogenannte ‚Cargolifter‘. Die sollten in einer Halle in Brandenburg gebaut werden – ob sich das Elon Musk abgeschaut hat? - , auf jeden Fall kam es erst einmal durch die Finanzkrise, die sein Vermögen vernichtete, nicht dazu, stattdessen die Insolvenz. Aber er macht weiter, weil er für Frachten sein Modell für zukunftsweisend hält, auch unter ökologischen Gesichtspunkten sinnvoller als Flugzeuge und Hubschrauber.
GÜNTHER GOLOB hat die putzigste Idee. Er hatte eine Kulturagentur in Graz geleitet , was er radikal beendete und sich seitdem auf seine Bewerbung für die Mars-One-Mission konzentriert. Dazu mußte er alles Mögliche trainieren und er hat den persönlichen Erfolg erreicht: unter 200 000 Bewerbern wurde er unter die letzten 100 für die letzte Runde ausgewählt, die dann 2026 auf den Mars fliegen wollen. Es ist tatsächlich nur ein Hinflug, denn es geht für diese private Investorengruppe um die Kolonisierung des Mars und dortiges Leben so attraktiv zu machen, daß Menschen in einer neuen Gesellschaft mit ganz neuen Grundlagen ein besseres Leben haben.
JOY LOHMANN will eine andere Welt, eine andere Umwelt für die heutige Welt und dies in Form von Inseln ermöglichen. Die sind aus Abfällen wie alten Plastikflaschen und können hilfreich sein bei Überschwemmungen und auch dem Klimawandel nützen. Man schaut verwundert auf die jungen Menschen, die eifrig solche Inseln zusammenbauen und aufs Wasser bringen.
Sie merken, daß die vier Männer alle in einem Bereich der Technik, des Bauens, des Kolonisierens ihre Träume ausleben. Das hat uns total verwundert, denn Männer träumen doch nicht nur von Technik und Bauen. Sie träumen doch auch vom Leben, vom schöner leben, vom sinnvollen, angstfreieren Leben. Einer Alternative zu unserer Vereinzelung, die seit dem 19. Jahrhundert eingetreten ist, als durch die Industrialisierung überhaupt erst nach und nach die Kleinfamilie entstand, nachdem sich die Großfamilie auflöste.
Irgendwie typisch, das wieder den Frauen zu überlassen, als einzige Frauen in einer Männerbündelei sich mit der Reform des eigenen Lebens zu beschäftigen. Die Lebensreform war nun gerade eine Antwort auf die Industrialisierung des Lebens im 19. Jahrhundert, die vielfache Antworten hervorbrachte: Rudolf Steiner und die heutigen Waldorfschulen sind eine davon. Den Frauen, um die es gleich geht, geht es auch um Schule, aber ebenfalls um mehr. Leider sind die Hintergründe im Film nicht deutlich erkennbar. Wir hören Line und Katja, die nach Presseheft beide Fuks heißen. Verheiratet? Auf jeden Fall ein Paar, das bekommt man schon mit. Line hat vier Kinder und Katja drei, so steht es ebenfalls im Heft. Im Film kommen allerdings weniger vor und -
ganz wichtig und für uns die Rettung des Films! - die fünf Schicksale werden nicht im Block hintereinander gebracht, sondern erst kurz vorgestellt und dann in ihrer Entwicklung immer wieder im Film gezeigt, bis die letzte Einstellung jeweils ein Resümee zieht.
in der Schlußszene in Portugal taucht auf einmal ganz am Schluß ein junges Mädchen auf, das man noch nie gesehen hatte und das man jetzt nach Kenntnis der Presseinformation als Tochter hinzuzählt, wobei es immer noch nicht alle sind.
Von vorne. Wir lernen LINE in Deutschland kennen, wo sie unzufrieden mit der Schulsituation ihrer Kinder feststellen muß, daß ihr Vorhaben, diese privat zu unterrichten, das sogenannte Freilernen angesichts von Schulpflicht nicht möglich ist. Schon vorher haben sie und KATJA mit deren drei Kindern beschlossen, zusammen zu leben, zusammen zu erziehen und frei zu lernen. Also wandern sie nach Portugal aus. Dort haben sie einen alten Bauernhof reaktiviert und leben in einem Idyll. Wer weiß, wie sehr Kinder auch in der Natur und mit ihr auf sinnliche Weise lernen und wer zudem weiß, daß die Neugier von Kindern für ihr Lernen das entscheidende Movens sind, wird für die dortigen Lernmodelle sicher Sympathie entwickeln.
Aber es stellen sich ganz andere Fragen, auf die der Film überhaupt nicht eingeht. Zwar sieht man, daß Landwirtschaft betrieben wird, aber es wird nicht klar, wie da ganze Leben in Portugal, der Hauskauf und das Leben von neun Personen finanziert wird. Das ärgert einen, denn es ist ja die Grundlage eines alternativen Lebens.
Daß der Filmemacher sich drei Jahre Zeit ließ, die Entwicklung der fünf zu verfolgen, wirkt sich auf den Film positiv aus, weil allein die Kontinuität den Projekten der einzelnen im Zeitverlauf eine andere Ernsthaftigkeit verleihen.
Foto:
© Verleih
Info:
Stab
Regie und Buch Valentin Thurn
Coautor Sebastian Stobbe
Sprecherin Dagmar Manzel
Kamera Gerardo Milsztein
Stab
Regie und Buch Valentin Thurn
Coautor Sebastian Stobbe
Sprecherin Dagmar Manzel
Kamera Gerardo Milsztein