Karin Schiefer
Wien (Weltexpresso) – Für Ihren neuen Film HINTERLAND haben Sie sich eine interessante Ära ausgesucht, die Jahre unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Sie werfen damit Fragen auf, die heute nur noch selten gestellt werden. Was passiert, wenn die bewaffneten Auseinandersetzungen beendet werden, aber unklar ist, welche Gesetzgebung greift und, schlimmer noch, nichts mehr so ist, wie es einmal war? Was waren die Gründe, warum Sie sich mit dieser Ära auseinandersetzen wollten?
STEFAN RUZOWITZKY: Ich war vor Jahren in ein Projekt involviert, das in dieser Periode angesiedelt war, aber schließlich nicht realisiert wurde. Damals las ich viel Literatur aus den frühen 1920er-Jahren und der Zeit direkt nach dem Krieg. Mir fiel auf, dass der Kulturschock nach dem Ersten Weltkrieg viel größer war als nach dem Zweiten Weltkrieg, nicht nur in Österreich, sondern überall in Europa. Nicht zuletzt war die Diskussion über den Holocaust lange Zeit ein Tabu und rückte erst viel später in den Fokus. Nach dem Ersten Weltkrieg schien die ganze Welt aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Menschen hatten den Eindruck, dass eine Ära zu Ende gegangen war und auf den Trümmern etwas Neues seinen Anfang hatte, anders als während der zahmen 1950er-Jahre, als eine viel größere gemeinsame Anstrengung unternommen wurde, Frieden und Ruhe zu wahren, die man mit so großer Mühe herbeigeführt hatte.
HINTERLAND kombiniert zwei Elemente, die das Narrativ diktieren: die Konfrontation mit dieser Epoche der Weltgeschichte und das Genre des Horrorthrillers mit der Jagd nach einem Serienmörder. Drei Namen werden für das Drehbuch gelistet: Hanno Pinter und Robert Buschwenter sowie Sie selbst. Wie wurde das Drehbuch entwickelt?
STEFAN RUZOWITZKY: Erstmals habe ich das Drehbuch vor zehn oder zwölf Jahren gelesen. Das Vienna Screenplay Forum hatte ein Programm, in dessen Rahmen junge Autoren die Gelegenheit erhielten, sich mit erfahreneren Kollegen über ihre Drehbücher auszutauschen. Im Fall von Hanno Pinter hatte man mich ausgewählt, und mein erster Eindruck des Drehbuchs war eher gemischt: Einzelne Passagen fand ich hervorragend, andere dagegen waren noch ein bisschen halbgar. Hanno hat sich das Drehbuchschreiben selbst beigebracht, und er hatte eine ganze Reihe ungeschriebener Gesetze gebrochen – was zu einigen großartigen, sehr ungewöhnlichen Lösungsansätzen führte, aber an anderen Stellen auch unterstrich, warum ungeschriebene Gesetze durchaus sinnvoll sind. Ich hatte nicht die nötige Zeit, um mich komplett auf das Material zu fokussieren. Jahre später landete das Drehbuch erneut auf meinem Tisch. Es hatte gute Fortschritte gemacht, aber ich hatte den Eindruck, dass man noch ziemlich viel Arbeit reinstecken würde müssen. Ich nahm mir das Buch also vor, überarbeitete es und führte noch ein paar neue Elemente ein, zum Beispiel die Liebesgeschichte. Hanno Pinter gebührt definitiv der Verdienst, die Geschichte ausgedacht zu haben. Das Grundgerüst – also der historische Kontext und die Motivation des Serienmörders – stand von Anfang an.
Eines der fundamentalen Themen, das Sie oft umzutreiben scheint, ist der innere Tumult, der durch den Verlauf der Geschichte in Menschen ausgelöst wird und sie davon abhält, sich selbst, ihren Werten und Prinzipien treu zu sein. Wie würden Sie Ihren Protagonisten beschreiben? Warum haben Sie Murathan Muslu in der Hauptrolle besetzt?
STEFAN RUZOWITZKY: Die Besetzung von Murathan Muslu als Peter Perg war eine meiner allerersten Ideen, die ich als Regisseur für den Film hatte. Die Geschichte setzt sich mit etwas auseinander, was man heute als toxische Männlichkeit beschreiben würde. HINTERLAND erzählt von Männern, die mit der festen Überzeugung in den Krieg zogen, nach zwei Wochen wieder daheim zu sein. Und dann folgte die Katastrophe, die in eine gewaltige Demütigung mündete. Sie haben den Krieg verloren. Die Männer in HINTERLAND, die Jahre nach dem Ende des Kriegs als Kriegsgefangene nach Hause zurückkehren, verließen ihre Heimat als Vertreter eines riesigen Reichs, aber als sie heimkamen in ihren Zwergenstaat, waren sie gealtert und versehrt, körperlich und geistig geschädigt. Frauen rannten weg, Familien zerbrachen. Niemand war da, um sie willkommen zu heißen und ihre Leistungen wertzuschätzen. Sie erlitten alles, was ein Mann mit einem traditionellen Konzept von Maskulinität am meisten fürchtet. Wir wussten also, dass wir für unseren Peter Perg einen Schauspieler finden mussten, der weder ein intellektueller Sherlock Holmes ist noch ein Schlaumeier, der alles im Hintergrund aufklärt. Wir brauchten einen Alphamann, der diese Identität selbst gelebt haben musste. Einer, der leiden musste und während dieses schmerzhaften Prozesses viel dazulernen würde. Einer, der eine große Fallhöhe haben musste.
Dr. Körner ist die weibliche Hauptfigur, eine Gerichtsmedizinerin – ein Beruf, der in dieser Zeit eigentlich Männern vorbehalten war. Sie steht nicht nur für Emanzipation, sondern auch für den neuen Geist der Zwanzigerjahre. Wie stehen Sie zu Ihrer weiblichen Hauptfigur?
STEFAN RUZOWITZKY: Die Besetzung von Murathan Muslu als Peter Perg war eine meiner allerersten Ideen, die ich als Regisseur für den Film hatte. Die Geschichte setzt sich mit etwas auseinander, was man heute als toxische Männlichkeit beschreiben würde. HINTERLAND erzählt von Männern, die mit der festen Überzeugung in den Krieg zogen, nach zwei Wochen wieder daheim zu sein. Und dann folgte die Katastrophe, die in eine gewaltige Demütigung mündete. Sie haben den Krieg verloren. Die Männer in HINTERLAND, die Jahre nach dem Ende des Kriegs als Kriegsgefangene nach Hause zurückkehren, verließen ihre Heimat als Vertreter eines riesigen Reichs, aber als sie heimkamen in ihren Zwergenstaat, waren sie gealtert und versehrt, körperlich und geistig geschädigt. Frauen rannten weg, Familien zerbrachen. Niemand war da, um sie willkommen zu heißen und ihre Leistungen wertzuschätzen. Sie erlitten alles, was ein Mann mit einem traditionellen Konzept von Maskulinität am meisten fürchtet. Wir wussten also, dass wir für unseren Peter Perg einen Schauspieler finden mussten, der weder ein intellektueller Sherlock Holmes ist noch ein Schlaumeier, der alles im Hintergrund aufklärt. Wir brauchten einen Alphamann, der diese Identität selbst gelebt haben musste. Einer, der leiden musste und während dieses schmerzhaften Prozesses viel dazulernen würde. Einer, der eine große Fallhöhe haben musste.
Dr. Körner ist die weibliche Hauptfigur, eine Gerichtsmedizinerin – ein Beruf, der in dieser Zeit eigentlich Männern vorbehalten war. Sie steht nicht nur für Emanzipation, sondern auch für den neuen Geist der Zwanzigerjahre. Wie stehen Sie zu Ihrer weiblichen Hauptfigur?
STEFAN RUZOWITZKY: Dr. Körner ist eine Mentorin, die Perg einen Schubs in die neue Richtung gibt. Und sie ist jemand, der diesen neuen Geist lebt, den sie auch durch ihre Romanze mit Perg repräsentiert. Es war mir sehr wichtig, dass man Pergs Frau, die ihn für tot hält und aufs Land gezogen ist, nicht als Gegensatz zu Dr. Körner ansieht, als albern, altmodisch und naiv. Im Gegenteil. Ich wollte, dass man sie als starke, intelligente Frau erlebt. Ich wollte nicht, dass ihr altes Leben entwertet wird, indem Perg entscheidet, nicht zu ihr zurückzukehren. Mir war wichtig, dass deutlich ist, wie wichtig ihm seine Ehe immer noch ist. Sie sollte nicht die Verkörperung der Vergangenheit sein.
Fortsetzung folgt
Foto:
©
Info:
TITEL: HINTERLAND
Besetzung & Stab
Peter Perg Murathan Muslu
Dr. Theresa Körner. Liv Lisa Fries
Paul Severin Max von der Groeben
Victor Renner Max Limpach
Concierge Margarethe Tiesel
Kovacs Aaron Friesz
Hoffmann Maximillien Jadin
Bauer Stipe Erceg
Josef Matthias Schweighöfer
Regie Stefan Ruzowitzky
Drehbuch Robert Buchschwenter
Hanno Pinter
Stefan Ruzowitzky
Das Gespräch führte Karin Schiefer im Juli 2021.
Abdruck aus dem Presseheft
Fortsetzung folgt
Foto:
©
Info:
TITEL: HINTERLAND
Besetzung & Stab
Peter Perg Murathan Muslu
Dr. Theresa Körner. Liv Lisa Fries
Paul Severin Max von der Groeben
Victor Renner Max Limpach
Concierge Margarethe Tiesel
Kovacs Aaron Friesz
Hoffmann Maximillien Jadin
Bauer Stipe Erceg
Josef Matthias Schweighöfer
Regie Stefan Ruzowitzky
Drehbuch Robert Buchschwenter
Hanno Pinter
Stefan Ruzowitzky
Das Gespräch führte Karin Schiefer im Juli 2021.
Abdruck aus dem Presseheft