Karin Schiefer
Wien (Weltexpresso) – Wie kam es zu der Idee, das historische Ambiente mit Hilfe von VFX heraufzubeschwören und vor Blue-Screen zu drehen?
STEFAN RUZOWITZKY: Diese Entscheidung war ganz unmittelbar verbunden damit, was wir aussagen wollten. Die Welt, die Gesellschaft, die Kultur hatten sich nach dem Ersten Weltkrieg radikal verändert, sodass die, die nicht dabei waren, um es aus erster Hand mitzuerleben, weil sie Jahre später aus Kriegsgefangenenlagern heimkehrten, den Eindruck haben mussten, die ganze Welt sei aus dem Gleichgewicht geraten. Es erschien uns also logisch, diese Verzerrung auch visuell darzustellen. Ich denke nicht, dass es sich um eine Filmtechnik handelt, die bei jedem Filmstoff funktionieren würde. Aber hier war es unbedingt sinnvoll. Wir selbst beschrieben das Projekt als ein „digitales Kabinett des Dr. Caligari“, denn auch Robert Wiene hatte seine Filmwelt mit Hilfe von expressionistischen Verzerrungen erschaffen. Was die Technik selbst anbetrifft, gebührt der Verdienst zunächst einmal Oliver Neumann; er entwickelte das Grundkonzept und ist Produzent des Films. Oleg Podeus, der Digital Art Director, erschuf die Designs basierend auf historischen Fotografien sowie auf Fotos, die er selbst geschossen hatte. Weil es um unmögliche Welten geht, in denen die Perspektiven nicht stimmen, drehten wir zuerst mit den Schauspielern und gaben ihnen auf diese Weise so viel Freiheit bei ihrer Darstellung wie möglich, und adaptierten in der Folge die verzerrten Welten mit den Bildern der Schauspieler, die wir bereits gedreht hatten.
Wie sah der praktische Dreh aus? Wie schwierig ist es für einen Regisseur, einen Schauspieler oder den Kameramann, in einem leeren Raum zu arbeiten, ohne ein Gefühl für die Umgebung und die Ausleuchtung zu haben?
STEFAN RUZOWITZKY: Im direkten Vergleich hatte ich es wohl am schwersten. Die Schauspieler hatten immerhin einander; für sie war es wie auf der Bühne eines Kellertheaters, wo man sich auch vorstellen muss, man befände sich in Elsinore. Nicht zuletzt ist die Vorstellung eines Raums Teil des Rüstzeugs eines Schauspielers. Was es mir so besonders schwer macht, war die grenzenlose Freiheit, ich hatte keinerlei Restriktionen. Normalerweise konfrontiert einen der Drehort mit ganz natürlichen Grenzen und ich versuche dann, als Regisseur so intelligent wie möglich mit diesen Beschränkungen umzugehen. Im Fall von HINTERLAND war immer alles möglich. Das klingt toll, aber bedeutete deutlich mehr Arbeit. Anstatt aus zwei oder drei Optionen auszuwählen, wie man es gewohnt ist, muss man jeden neuen Ort von Grund auf neu erfinden. Kameramann Benedict Neuenfels sah sich vor ähnliche Schwierigkeiten gestellt. Er musste viel Vorstellungskraft mitbringen, weil er sich in einer Situation befand, in der er denken musste: „Der Regisseur sagt, hier befindet sich ein Fenster, also muss es hier auch ein künstliches Licht geben.“ Und das musste er auch dem VFX-Team vermitteln: Um ein warmes Licht zu erhalten, mussten die VFX-Leute auch eine Lampe hinstellen.
Für einen Film wie HINTERLAND ist die Postproduktion ein essenzieller Teil der kreativen Arbeit. Wer waren während dieses Prozesses Ihre wichtigsten Mitstreiter?
STEFAN RUZOWITZKY: Für mich war eine neue Erfahrung, dass es so lange dauerte. Ein ganzes Jahr lang hatten wir jede Woche oder vielleicht jede zweite Woche ein Zoom-Meeting mit den VFX-Kreativen und diskutierten jede einzelne Einstellung, weil alles erst einmal konstruiert werden musste. Bei einem normalen Dreh ist die Konstruktion mit Drehende beendet. Schlimmstenfalls muss man die Farbwerte etwas korrigieren oder vielleicht noch einen Schwarm Vögel hinzufügen. Ein Jahr nach der letzten Klappe gefragt zu werden, ob das Licht aus der Mitte oder von rechts kommen soll, war neu für mich. Die Konzeptideen, die man detailliert entwickelt hatte, zu Licht, Umgebung und Tiefe, waren allesamt hinfällig. Ich hatte die Latte für dieses Projekt ziemlich hoch gelegt, weil ich beweisen wollte, dass es möglich ist, einen Film wie diesen mit einem überschaubaren Budget zu realisieren. Die erste Voraussetzung für die Umsetzung dieser Maßgabe war ein kurzer Dreh. Das ist in gewisser Weise einfacher, wenn man so dreht wie wir, ohne echte Drehorte und ohne warten zu müssen, bis eine Wolke weitergezogen ist oder der Regen aufhört. In der Blue Box kann man den Jahrmarkt im Prater um 10 Uhr in der Früh drehen, das Innere eines Büros im 12 Uhr und die Außenaufnahmen in einem Wald um 2 Uhr am Nachmittag. Der nächste Schritt bestand darin, dass Oleg Prodeus die Grundentwürfe für die Welten erstellte, und dann ging es ab in das Benuts Studio, um alles zusammenzufügen, damit die Figuren in ihren entworfenen Welten zu Leben erwachen.
Was bedeutet es, einen Genrefilm mit dieser Form der Abstraktion zu machen?
STEFAN RUZOWITZKY: Für mich war HINTERLAND auch deshalb so spannend, weil er auch ein Experimentalfilm ist. Es gibt kaum einen vergleichbaren Film, der über eine ähnliche Mischung verfügt. Es gibt viele Mainstreamfilme, in denen VFX zum Einsatz kommen, aber doch immer auf eine Weise, dass die Künstlichkeit verborgen ist. Wir haben uns dagegen das Ziel gesetzt, mit den Mitteln der Stilisierung ein kontextuelles Statement abzugeben. Wir wollten außerdem zeigen, dass die Technologie nicht nur für Superheldenfilme interessant ist. Man kann mit Hilfe von VFX großartige narrative Ergebnisse erzielen, wenn man es darauf anlegt. Für mich persönlich war es eine großartige Erfahrung. Ich hatte natürlich schon mit BlueScreen oder Green-Screen gearbeitet. Aber man macht das in der Regel mal bei einer Einstellung. Bei HINTERLAND war der Punkt nicht nur die Technologie selbst, sondern ein völlig neues ästhetisches Konzept.
Foto:
©Verleih
Info:
TITEL: HINTERLAND
Besetzung & Stab
Peter Perg Murathan Muslu
Dr. Theresa Körner. Liv Lisa Fries
Paul Severin Max von der Groeben
Victor Renner Max Limpach
Concierge Margarethe Tiesel
Kovacs Aaron Friesz
Hoffmann Maximillien Jadin
Bauer Stipe Erceg
Josef Matthias Schweighöfer
Regie Stefan Ruzowitzky
Drehbuch Robert Buchschwenter
Hanno Pinter
Stefan Ruzowitzky
Das Gespräch führte Karin Schiefer im Juli 2021.
Abdruck aus dem Presseheft
Für einen Film wie HINTERLAND ist die Postproduktion ein essenzieller Teil der kreativen Arbeit. Wer waren während dieses Prozesses Ihre wichtigsten Mitstreiter?
STEFAN RUZOWITZKY: Für mich war eine neue Erfahrung, dass es so lange dauerte. Ein ganzes Jahr lang hatten wir jede Woche oder vielleicht jede zweite Woche ein Zoom-Meeting mit den VFX-Kreativen und diskutierten jede einzelne Einstellung, weil alles erst einmal konstruiert werden musste. Bei einem normalen Dreh ist die Konstruktion mit Drehende beendet. Schlimmstenfalls muss man die Farbwerte etwas korrigieren oder vielleicht noch einen Schwarm Vögel hinzufügen. Ein Jahr nach der letzten Klappe gefragt zu werden, ob das Licht aus der Mitte oder von rechts kommen soll, war neu für mich. Die Konzeptideen, die man detailliert entwickelt hatte, zu Licht, Umgebung und Tiefe, waren allesamt hinfällig. Ich hatte die Latte für dieses Projekt ziemlich hoch gelegt, weil ich beweisen wollte, dass es möglich ist, einen Film wie diesen mit einem überschaubaren Budget zu realisieren. Die erste Voraussetzung für die Umsetzung dieser Maßgabe war ein kurzer Dreh. Das ist in gewisser Weise einfacher, wenn man so dreht wie wir, ohne echte Drehorte und ohne warten zu müssen, bis eine Wolke weitergezogen ist oder der Regen aufhört. In der Blue Box kann man den Jahrmarkt im Prater um 10 Uhr in der Früh drehen, das Innere eines Büros im 12 Uhr und die Außenaufnahmen in einem Wald um 2 Uhr am Nachmittag. Der nächste Schritt bestand darin, dass Oleg Prodeus die Grundentwürfe für die Welten erstellte, und dann ging es ab in das Benuts Studio, um alles zusammenzufügen, damit die Figuren in ihren entworfenen Welten zu Leben erwachen.
Was bedeutet es, einen Genrefilm mit dieser Form der Abstraktion zu machen?
STEFAN RUZOWITZKY: Für mich war HINTERLAND auch deshalb so spannend, weil er auch ein Experimentalfilm ist. Es gibt kaum einen vergleichbaren Film, der über eine ähnliche Mischung verfügt. Es gibt viele Mainstreamfilme, in denen VFX zum Einsatz kommen, aber doch immer auf eine Weise, dass die Künstlichkeit verborgen ist. Wir haben uns dagegen das Ziel gesetzt, mit den Mitteln der Stilisierung ein kontextuelles Statement abzugeben. Wir wollten außerdem zeigen, dass die Technologie nicht nur für Superheldenfilme interessant ist. Man kann mit Hilfe von VFX großartige narrative Ergebnisse erzielen, wenn man es darauf anlegt. Für mich persönlich war es eine großartige Erfahrung. Ich hatte natürlich schon mit BlueScreen oder Green-Screen gearbeitet. Aber man macht das in der Regel mal bei einer Einstellung. Bei HINTERLAND war der Punkt nicht nur die Technologie selbst, sondern ein völlig neues ästhetisches Konzept.
Foto:
©Verleih
Info:
TITEL: HINTERLAND
Besetzung & Stab
Peter Perg Murathan Muslu
Dr. Theresa Körner. Liv Lisa Fries
Paul Severin Max von der Groeben
Victor Renner Max Limpach
Concierge Margarethe Tiesel
Kovacs Aaron Friesz
Hoffmann Maximillien Jadin
Bauer Stipe Erceg
Josef Matthias Schweighöfer
Regie Stefan Ruzowitzky
Drehbuch Robert Buchschwenter
Hanno Pinter
Stefan Ruzowitzky
Das Gespräch führte Karin Schiefer im Juli 2021.
Abdruck aus dem Presseheft