Serie: Die angelaufenen Filme in deutschen Kinos vom 19. Dezember 2013, Teil 1

 

Romana Reich

 

Berlin (Weltexpresso) – Noch halten sich die Verleiher zurück, aber da der nächste Donnerstag schon der zweite Weihnachtsfeiertag ist, werden die großen Familienfilme dann anlaufen, wie auch DER MEDICUS. Aber auch diese Woche gibt es genug Neues, mit gutem Ruf übrigens.

 

 

BLAU IST EINE WARME FARBE

 

Das gilt auch für diesen französischen Film, der dieses Jahr in Cannes Triumphe feierte und die Goldene Palme errang. Zum einen berühmt des Mutes wegen,mit dem die zwei Französinnen Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos hier echte Liebesszenen auf der Leinwand begehen, zum anderen des Regisseurs Abdellatif Kechiche wegen, der in seiner Radikalität bei den Dreharbeiten das Letzte aus den Schauspielern herausholte, weshalb sie ihm Ausbeutung und mangelnden Respekt der Kamera vorwarfen, die sie entblößt habe. Das, was die doch sehr erfahrene und in den letzten Jahren pausenlos spielende Seydoux auf jeden Fall in mehreren Interviews zum besten gab, klingt zudem furchterregend anstrengend, weil der Regisseur seinen Film so sehr im Kopf hatte, daß die Schauspieler viele Drehs brauchten, bis Kopfbild und Filmbild übereinstimmte.

 

Wie immer entscheidet sich ein Urteil zum Film dann beim Anschauen auf der Leinwand. Und da überfährt einen der Film mit voller Wucht und das 179 Minuten lang, was drei Stunden bedeutet. Die 15jährige Schülerin Adèle (Adèle) ist voll auf den Schulstoff orientiert, der sich um Pierres de Marivaux Romanfragment „La vie de Marianne“ dreht und sieht plötzlich auf der Straße, wie Emma (Lea), eine Kunststudentin, eine andere Frau stürmisch und voll Liebe umarmt und ist fassungslos über diese öffentlich zur Schau gestellte Intimität, die ihr jedoch gleichzeitig die Leidenschaft zeigt, von der sie in der Schule gelesen hat. Die Frau hat zudem blaue Haare, sie wirkt auf Adèle wie von einem anderen Stern. Deshalb macht sie sich an sie ran, was zur Folge hat, daß nun andererseits Emma die Begehrende wird, die Adèle umwirbt, bis beide in einem Liebestaumel enden, der ihr ganzes Leben umfaßt, ihr Wissen, ihre Sehnsüchte, ihre ganzes Sein.

 

Der Film basiert auf einem Roman,der in der französische Tradition der Bildungsromane über die Herzensbildung ruht. Nur hat ihn der Regisseur mit einem völlig neuen Schluß ausgestattet. Denn Adèle, die im Roman Clémentine heißt, ist dort die Forschere, die am Schluß mit ihrer Liebe draufzahlt und sogar stirbt. Hier überleben beide, weil der Regisseur sie gleichberechtigt leben läßt. Natürlich beruht der klassische Bildungsroman auf zwei Geschlechtern. Allerdings sind es diesmal zwei Frauen, die zudem, ein beliebter topos, aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten stammen, was die eine stärker zur Gebenden macht und die andere zur Nehmenden.

 

Aber auf Dauer gleicht sich der Vorsprung aus und die beiden leben eine Normalität. Allerdings nur für sich selbst, für den Zuschauer sind das Szenen, die wir eigentlich gar nicht sehen wollen, denn das Liebesleben von anderen anzuschauen, bleibt einem peinlich, genauso gut könnte man diese Szenen pornographisch nennen, auch wenn sie im Film ihre Funktion haben. Noch dazu gehen sie über viele viele Minuten. Also uns war das zu viel. Liebe erlebt man lieber selber in der eigenen Intimität. Auf der Leinwand wirkt die Darstellung immer auch als Darstellung, was sie bleibt.

 

Im mittleren Teil erleiden die beiden Liebenden – Adèle ist Lehrerin geworden, das klassische Aufstiegsmodell, Emma eine bekannte Malerin - das Schicksal vieler. Was das Besondere war, wird Alltag und es kommt zum Seitensprung von Emma und dem Sprung in der Liebesschüssel. Aber, da Adèle überlebt, sind wir sicher, daß sie noch weitere Lieben erleben wird.

 

Und Emma? Sie war die Initiatorin und lange Zeit Führerin in der Beziehung. Wie es mit ihr weitergeht, weiß man viel weniger. Sie wird weitermalen und im Kunstbetrieb eine Rolle spielen. Der Kunstmarkt ist auch in diesem Film der eigentlich pornographische Markt. Denn Emma hatte mit Adèle das gemacht, was sonst männliche Maler mit ihren Modellen immer gemacht haben: sie gemalt, den Ruhm und das Geld kassiert.Aber das, was Emma hier malt, stellt dem Kunstmarkt ein schlechtes Zeichen aus, wenn sie davon auch noch berühmt wird und viel Geld bekommt.