Redaktion
München (Weltexpresso) - Eines war Sönke Wortmann von Anfang an wichtig: „Wir haben uns nicht allzu sehr vom französischen Original beeinflussen lassen, sondern ein eigenständiges Werk daraus gemacht. Sobald ich wusste, dass ich den Film drehen möchte, habe ich mich nur noch mit unserem Drehbuch beschäftigt.” Und das war „sehr auf den Punkt” geschrieben, betont Christoph Maria Herbst. „Als ich das Drehbuch gelesen habe, dachte ich: Hammer! Das ist sehr gelungen, nicht eins zu eins übersetzt, sondern gut und mit feinem Pinselstrich ins Deutsche übertragen”, sagt der Schauspieler, der ein wenig ratlos ist, wenn es darum geht, CONTRA einem Filmgenre zuzuordnen: „Der Film ist keine Komödie reinsten Wassers. Es gibt viele böse Momente, erhellende Momente und komödiantische Momente, die die Zuschauer*innen schmunzeln lassen, ohne dass sie sich ständig auf die Schenkel hauen werden. Ist das eine Dramödie, ein Dramoulette oder ein Culture-Clash-Gesellschaftsdingsbums? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall war das ein super Drehbuch und ist ein super Film geworden.”x
Produzent Tom Spieß findet klare Worte: „Ob das eine Komödie ist oder ein Drama, ist mir eigentlich egal. CONTRA hat zwei klassische Hauptfiguren, und der Film erzählt auf unterhaltsame und interessante Weise den Konflikt zweier Menschen aus verschiedenen Milieus, ohne den Zuschauer die Schwere eines Problemfilms zuzumuten.“ Der Produzent lobt insbesondere Christoph Maria Herbsts Mut, erstmals eine dramatische Kinohauptrolle zu spielen: „Er hat eine großartige Leistung abgeliefert, ohne die Rolle ins Komödienfach rutschen zu lassen. Christoph bringt alles für diese vielschichtige Figur mit: Professor Richard Pohl ist kein Rechter, sondern ein Provokateur, ein Zyniker, ein enttäuschter Romantiker, der aufgrund seiner privaten Biographie verbittert ist und nicht anders kann, als mit seiner Intelligenz und seiner Hybris andere Menschen zu provozieren.“ Auch Produzent Christoph Müller erkennt in Herbst die richtige Persönlichkeit, um den Professor zu spielen: „Nicht nur wegen seiner scharfzüngigen und präzisen Diktion, sondern auch wegen der Wandlung, die er im Laufe des Films durchmacht: von einem kalten, zynischen, distanzierten zu einem letztlich doch einigermaßen warmherzigen Menschen.”
Christoph Maria Herbst freut sich, dass Professor Richard Pohl auch diese weiche Seite hat: „Mir ist wichtig, dass man ihn ein bisschen mögen kann. Ihn nur als herzloses, zombiehaftes Wesen zu spielen, dazu hätte ich keine Lust gehabt. Die Figur entwickelt sich und kann dieser Studentin, die anfangs nur die Zielscheibe seiner Provokationen ist, später etwas abgewinnen. Er freut sich, dass sie lernwillig und lernfähig ist, und öffnet sich ihr gegenüber sogar ein stückweit. Das wird im Film aber nicht zu irgendeiner plumpen Liebes- oder Bettgeschichte. Die Figuren bleiben immer ein bisschen auf Distanz. Vor allem der Professor. Denn die Zuschauer*innen sind von Anfang bis Ende des Films viel näher an Naima dran. Sie führt durch den Film.”
Ein Gemeinschaftserlebnis
Nilam Farooq empfindet den Film als „Kammerspiel”, auch wenn er an einer Vielzahl beeindruckender Locations gedreht wurde: „Der Fokus liegt im Wesentlichen auf zwei Personen und darauf, wie sich ihre ungewöhnliche Beziehung entwickelt.“ Die Schauspielerin hofft, dass der Film einen „Nachhall“ bei den Zuschauer*innen hinterlassen wird: „In den letzten Jahren sind in Deutschland und im Rest der Welt politisch so viele Dinge passiert, die man nicht einfach hinnehmen sollte. Ich habe zum Beispiel nicht das Gefühl, dass rechte Parteien einfach so verschwinden werden. Da ist es hilfreich, wenn wir zu einer Kultur des Debattierens zurückkehren und rassistische Parolen mit guten Argumenten entkräften können.”
Damit wäre ein wesentliches Ziel erreicht, das Produzent Christoph Müller verfolgt: „Ich finde, ein Kinofilm soll immer auch einen gesellschaftlichen Stellenwert haben. Deshalb wünsche ich mir, dass ein Funke auf die Zuschauer*innen überspringt und sie Lust bekommen, sich mit Worten und Überzeugungskraft über die aktuelle Streitkultur zu stellen, gerade wenn es um zentrale Fragen wie das Zusammenleben verschiedener Kulturen geht. Denn Debattieren heißt, eine Position zu vertreten, eine Gegenposition zuzulassen und die Zuhörer*innen mit guten Argumenten zu überzeugen. Ich glaube, dann hat Demokratie auch eine Chance.” Hinzu kommt die verändernde Macht, die wohlgewählte Worte für jeden einzelnen Debattierenden haben können: „Naima ist das beste Beispiel dafür, dass man mit Hilfe von Bildung seine Überzeugungen durchsetzen und seine Träume realisieren kann: Eine Migrantin aus einfachen Verhältnissen ergreift in Deutschland den Beruf einer Anwältin”, sagt Christoph Müller. Dem Produzenten gefällt an CONTRA besonders, dass jeder Zuschauer und jede Zuschauerin automatisch eine Doppelrolle einnimmt: „Er sieht nicht nur einen Film, sondern ist auch ein Teil des Publikums, vor dem sich Naima behaupten muss. Man ist in einer eins-zu-eins-Position mit den Juror*innen und identifiziert sich dadurch besonders leicht mit der Protagonistin. Umso wichtiger ist es, dass man sich den Film als Gemeinschaftserlebnis im Kino anschaut.” Nilam Farooq machte diese Beobachtung schon bei den Dreharbeiten an der Universität: „Wir haben eine sehr wichtige und große Rede über den Islam als vermeintlich gefährliche Religion gedreht. Nach dem xten Take hatte ich schon Mitleid mit den Kompars*innen und war mir sicher, dass sie meine immer wiederkehrenden Worte nicht mehr hören wollten. Aber dann kam eine ältere Dame auf mich zu und sagte, sie wolle sich bei mir bedanken, weil ich ihr mit dieser Rede so viele Denkanstöße gegeben habe. Sie werde das jetzt mit nach Hause nehmen und darüber nachdenken. Das hat mich tief berührt. Wenn wir auch den Zuschauer*innen solche Denkanstöße geben können, dann haben wir mit diesem Film, glaube ich, ziemlich viel geschafft.”
Christoph Maria Herbst macht das besondere Kinoerlebnis auch an Personalien fest: „Die Zuschauer*innen können sich freuen auf den neuesten Sönke-Wortmann-Film und auf eine Quasi-Neuentdeckung: Nilam Farooq, die den ganzen Film mit ihrer Brillanz und ihrer Präsenz trägt. Es ist ja nicht so, dass sie gerade erst geschlüpft wäre, sie hat schon einige Rollen hinter sich, aber sie hat vor allem noch viele Rollen vor sich. Außerdem spiele ich in diesem Film mit, und wer sich auf mich freuen mag, ist herzlich eingeladen, das zu tun.” Doch auch die Texte und Bilder überzeugen Herbst: „Es ist ein toller Stoff, der sehr intelligent und immer wieder sehr amüsant erzählt wird. Und natürlich braucht ein Film, der so textlastig zu sein scheint, noch tollere Bilder als jeder andere Kinofilm. Deshalb ist Holly Fink unser Kameramann, der zu den besten seiner Zunft zählt und unsere wunderbaren Dialoge in Bilder gegossen hat, wie man sie nur im Kino sehen kann. Und aufs Kino freut man sich ja eigentlich immer.”
DEBATTIEREN IN DEUTSCHLAND
„Debattieren” geht auf das französische Wort „débattre” zurück und bedeutet soviel wie „durchsprechen” oder „den Gegner mit Worten schlagen”. Die Wurzel liegt wiederum im lateinischen Wort „battuere” für „schlagen”. Als Mutterland des Debattierens gilt Großbritannien. Der älteste Debattierclub der Welt, die Cogers Society, wurde 1755 gegründet. An Universitäten wird das Debattieren seit dem frühen 19. Jahrhundert als Sport betrieben und heißt dort „Debating”. Der älteste studentische Debattierclub ist die Cambridge Union Society (1814), gefolgt von der Oxford Union (1823). Auch in den USA haben die Clubs eine lange Tradition. Seit dem frühen 20. Jahrhundert stellen viele High Schools und Colleges sogenannte debate teams auf, die gegen lokale, nationale oder internationale Teams anderer Bildungseinrichtungen antreten.
Ihre erste Blütezeit erlebten Debattierwettkämpfe in den 1920er und 1930er Jahren. In dieser Zeit spielt auch das US-Drama THE GREAT DEBATERS, das der zweifache Oscar-Preisträger Denzel Washington 2007 nach einem Drehbuch von Robert Eisele inszenierte. Washington war auch Co-Produzent und spielte den Protagonisten, der vier afroamerikanische Studenten für einen Debattierwettstreit mit weißen Harvard-Studenten coacht. Diese Geschichte entspricht fast der Realität: Im wahren Leben besiegte das entsprechende Team den Titelverteidiger von der University of Southern California, durfte sich allerdings nicht Sieger nennen, weil Schwarze erst nach dem Zweiten Weltkrieg offiziell bei Debattierwettbewerben zugelassen wurden.
An deutschen Universitäten erfreuen sich die Debattierclubs seit circa 20 Jahren immer größerer Beliebtheit. Derzeit gibt es mehr als 70 von ihnen, die im Verband der Debattierclubs an Hochschulen (VDCH), dem 2001 gegründeten Dachverband für den deutschsprachigen Raum, organisiert sind. Auch in Österreich und der Schweiz gibt es an einzelnen Universitäten Debattierclubs. Bei einem Wettstreit gibt die Jury ein Thema vor und lost den Teams die Pro- oder Contra-Position zu, die sie vertreten müssen. Nach einer Vorbereitungszeit, die in der Regel 15 Minuten lang ist, beginnt die Debatte, wobei jeder Redner und jede Rednerin meist sieben Minuten Zeit hat. Gegenstand der Debatten sind für gewöhnlich Themen des aktuellen politischen Geschehens oder des kulturellen Lebens sowie gesellschaftliche Ereignisse.
Die erste deutsche Meisterschaft der Debattierclubs fand im Jahr 2001 statt. Zu den frühen Förderern des studentischen Debattierens gehörte die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit”. Sie war mehr als zehn Jahre lang Hauptsponsorin der Veranstaltungen, „Zeit”-Herausgeber und Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt war offizieller Schirmherr der „Zeit-Debatten-Serie“. Neben der Deutschen Debattiermeisterschaft gibt es auch Regionalmeisterschaften und Campus-Debatten, die regelmäßig an deutschsprachigen Universitäten ausgerichtet werden.
„Ich habe Debattierwettbewerbe für eine angloamerikanische und französische Angelegenheit gehalten”, sagt Regisseur Sönke Wortmann. Erst durch die Vorbereitung auf CONTRA beschäftigte er sich intensiv mit der blühenden Debattierkunst an deutschen Universitäten. So besuchte der Regisseur im November 2018 eine Campus-Debatte in Tübingen und war im Juni 2019 in Heidelberg als Ehrenjuror beim Finale der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft dabei. „Wir leben in einer Zeit, in der jeder nur noch seine Meinung loswerden will, ohne eine andere Meinung hören zu wollen”, sagt Sönke Wortmann. „Umso wichtiger ist es, dass wir zu einer Kultur des Debattierens zurückkehren, bei der man sich die Argumente des Anderen anhört und sich darauf einlässt.”
Im Kinofilm CONTRA bezeichnet Christoph Maria Herbst in seiner Rolle als Professor Richard Pohl das Debattieren als „Sport, so hart wie Boxen, so taktisch wie Billard, so analytisch wie Schach”. Gleichzeitig sei das Debattieren eine Kunst: „die Redekunst, die Rhetorik.” Um Menschen für sich einnehmen zu können, müssten Debattierende die Dialektik beherrschen: „Die Gedankenfolge, die die Gegner*innen in Widersprüche verwickelt. Mit dem einzigen Ziel, das Publikum vom eigenen Standpunkt zu überzeugen. Um Recht zu bekommen.”
Foto:
© Verleih
Info:
BESETZUNG
Naima Hamid Nilam Farooq
Prof. Dr. Richard Pohl Christoph Maria Herbst
Mo Hassan Akkouch
Präsident Lambrecht Ernst Stötzner
Lial Meriam Abbas
Junis Mohamed Issa
Benjamin Stefan Gorski
Johanna Lieke Hoppe
Großmutter Fatima Naji
Ali Nassiem X. Al-Sheikh Mustafa
Abu Cristiano Papasimos
Jamal Akim Schödel
Anissa Selin Dörtkades
STAB
Regie Sönke Wortmann
Drehbuch Doron Wisotzky
nach „Le Brio” von Victor Saint Macary, Yaël Langmann, Yvan Attal, Noé Debré
Abdruck aus dem Presseheft
© Verleih
Info:
BESETZUNG
Naima Hamid Nilam Farooq
Prof. Dr. Richard Pohl Christoph Maria Herbst
Mo Hassan Akkouch
Präsident Lambrecht Ernst Stötzner
Lial Meriam Abbas
Junis Mohamed Issa
Benjamin Stefan Gorski
Johanna Lieke Hoppe
Großmutter Fatima Naji
Ali Nassiem X. Al-Sheikh Mustafa
Abu Cristiano Papasimos
Jamal Akim Schödel
Anissa Selin Dörtkades
STAB
Regie Sönke Wortmann
Drehbuch Doron Wisotzky
nach „Le Brio” von Victor Saint Macary, Yaël Langmann, Yvan Attal, Noé Debré
Abdruck aus dem Presseheft