Redaktion
Paris (Weltexpresso) - Monsieur Delépine, Monsieur Kervern, ONLINE FÜR ANFÄNGER steht ganz in der Tradition Ihrer bisherigen Filme und ist gleichzeitig ein Film über die Gelbwestenbewegung und eine höchst amüsante, beißende Kritik des digitalen Zeitalters. Womit nahm der Film seinen Anfang?
Benoît Delépine: Dies ist der zehnte gemeinsame Film von Gustave und mir. Wir sind nicht bloß Kollegen, sondern Freunde, die zusammenarbeiten, und unsere Filme sind eigentlich immer von unserem Leben inspiriert. Das begann mit „Aaltra“, zuhause in den Feldern der Picardie, und unser Ziel war es immer, eines Tages auf Mauritius zu landen, wo Gustave geboren wurde. Viele Filme lang haben wir unser Ziel nicht erreicht, doch jetzt war es endlich soweit. Da ONLINE FÜR ANFÄNGER von unkontrollierter Globalisierung handelt, fanden wir endlich einen Grund, es bis nach Mauritius zu schaffen. Denn der Mensch ist der Dodo der künstlichen Intelligenz (Anm. d. Red.: Im Film heißt es in einer Szene, dass der Dodo eine riesige mauritische Taube ist, deren Aussterben vom Menschen verursacht wurde). Genau wie einst der Dodo glaubt auch der Mensch, er sei die Krone der Schöpfung und hätte keine natürlichen Feinde. Doch er hat die K.I. erschaffen – und die ist mächtiger als er. Nun können wir die ersten Anzeichen davon sehen, wie es uns ergehen wird. Wir spüren, dass die Sache kein gutes Ende nehmen wird.
Gustave Kervern: Schon bevor wir überhaupt die Idee zu diesem Film hatten, telefonierten Benoît und ich jeden Tag und unterhielten uns darüber, wie überfordert wir sind von den unglaublichen Irrungen und Wirrungen des Alltags heutzutage. Ich verstehe zum Beispiel immer noch nicht, warum ich 60 Euro für meinen Handyvertrag zahlen soll, wenn ich überall Werbung für 20 Euro-Verträge sehe. Aber egal wie oft ich bei der Hotline meines Anbieters anrufe, höre ich immer nur, dass ich einen guten Vertrag hätte. Man bekommt das ungute Gefühl, verarscht zu werden.
BD: Man kann ja auch gar nicht mehr mit einer echten Person sprechen. Von früh bis spät hat man immer nur ein automatisiertes System am anderen Ende der Leitung.
GK: Die Sache mit der im Internet bestellten Bettlatte, die im Film zu sehen ist, ist mir tatsächlich so passiert. Es war schier ein Ding der Unmöglichkeit, das Ding umzutauschen. Der Shop verwies mich an den Hersteller in der Schweiz, und wenn ich dort anrief, wurde ich zurück an den Shop verwiesen und so weiter. Jeder von uns kennt ja ähnliche Situationen, mit Versicherungen, Banken, Telefonanbietern etc. Drücken Sie die Taste 1, drücken Sie die Taste 2. Wie fürchterlich zeitaufwändig das alles ist. Man muss einen ganzen Nachmittag einplanen, um solche Dinge zu erledigen – und hat am Ende trotzdem keine Garantie, dass man überhaupt die Gelegenheit bekommt, sein Ziel auch wirklich zu erreichen. Man fragt sich natürlich ständig, ob man sich vielleicht zu doof anstellt, aber sobald man mit den Leuten darüber spricht, merkt man, dass eigentlich alle das Gleiche erleben. Mich hat das an den Rand des Burnouts gebracht.
BD: Das alltägliche Leben ist zu einer dauerhaften Halluzination geworden. Für unsere Filme lassen wir uns immer wieder von der Realität überwältigen.
Zu den vielen Momenten, in denen der Film die Absurditäten unseres High Tech-Alltags aufs Korn nimmt, gehört der, in dem wir sehen, dass Marie (Blanche Gardin) sämtliche ihrer Usernamen und Passwörter im Eisfach aufbewahrt!
BD: Stimmt, schließlich müssen die ja auch ständig geändert werden.
GK: Man neigt dazu, überall das gleiche Passwort zu verwenden, aber dann riskiert man natürlich auch, überall gleichzeitig gehackt zu werden. Aber je mehr man sich an die neuen Passwort-Sicherheitsmaßnahmen hält, desto kompliziertere Passwörter muss man wählen – und die sind natürlich fürchterlich schwierig zu merken.
BD: Wir leben alle in einem riesigen Irrenhaus. Man hat keine andere Wahl und kann nicht mehr mit echten Menschen sprechen. Und dann wundern sich die Leute, warum es keine Jobs mehr gibt. Tja, du machst alles nur noch online und nicht mehr von Angesicht zu Angesicht, also ist es kein Wunder, dass die Arbeitslosenzahlen immer weiter steigen. Aber wenn es keine Jobs mehr gibt, warum sollten die Leute dann mit 64 Jahren in Rente gehen? Das ist alles fürchterlicher Unsinn. Vernünftige Menschen, die unsere Zukunft im Blick haben, sind sich bewusst, dass es immer weniger Jobs geben wird, weil zusehends Maschinen und Computer die ganze Arbeit übernehmen, so dass dann am Ende auch niemand mehr übrig ist, der für die Renten einzahlen kann.
Sie zeigen in ONLINE FÜR ANFÄNGER wie schwierig es in der High Tech-Welt geworden ist, mit einer Beschwerde einen echten Menschen zu erreichen. Wer auch immer an den Schaltstellen sitzt, ist nicht zu fassen, gesichtslos, weltumspannend, unwirklich...
BD: Wir haben recherchiert und uns mit Hackern getroffen. Der Sinn der Cloud ist es, dass unsere Informationen an verschiedenen Orten auf der ganzen Welt verteilt sind. Aber es gibt durchaus noch einen physischen Ort, an dem man diese Daten löschen kann – und der befindet sich in der Regel in Kalifornien. Deswegen reist Marie im Film nach San Francisco.
GK: Unsere drei Protagonist*innen sind auf jeden Fall verwirrt und überfordert, wenn sie mit dem digitalen Monster konfrontiert werden.
BD: Sie haben sich dank der Gelbwestenbewegung kennen gelernt und sind zum Glück Freunde geworden, die sich gegenseitig unterstützen. Wie sonst könnten sie überhaupt nur versuchen, diese virtuelle Festung zu stürmen?
GK: Mit kleinen und mittelgroßen Städten in Frankreich haben wir uns schon in „Der Tag wird kommen“ beschäftigt. In ONLINE FÜR ANFÄNGER zeigen wir nun Menschen in ihren Wohnsiedlungen, die nicht Auto fahren, um Benzin zu sparen und den Kilometerstand niedrig zu halten. Ein Running Gag, der ganz gut zeigt, wie sehr sie Gefangene in ihren eigenen Häusern sind.
Haben Sie den Eindruck, dass die Gelbwestenbewegung sich auch aus diesem Gefühl von Einsamkeit und Isolation speiste?
GK: Unsere ursprüngliche Idee war es, dass der Film sich um eine einzelne Figur dreht. Das wäre quasi ein Gelbwestler gewesen, bevor es diese Bewegung überhaupt gab. Jemand, der gegen die Isolation, soziales Elend, die Digitalisierung der öffentlichen Versorgungsbetriebe und all diese Dinge kämpft. Doch kaum war der erste Drehbuchentwurf fertig, nahm die Bewegung ihren Anfang.
BD: Also haben wir das alles verworfen, denn wir hatten die Sorge, dass alle denken, wir würden nur opportunistisch der Herde folgen.
GK: Wir haben uns dann entschieden, die Geschichte so zu ändern, dass sie von drei Protagonist*innen handelt, die mit unterschiedlichen, aber in vielerlei Hinsicht eben doch ähnlichen Problemen zu kämpfen haben.
BD: Wir wollten außerdem stärker den Gedanken der Solidarität in den Fokus rücken, gerade in einer immer individualistischeren Welt, in der elektronische Geräte die Menschen zusehends voneinander isolieren.
GK: Corinne Masiero musste in ihrer Szene in der Mitte des Kreisverkehrs tatsächlich anfangen zu weinen. Wir wussten, dass sie selbst in die Gelbwestenbewegung involviert war, allerdings nicht wie sehr. Die Gelbwesten waren extrem wichtig für sie; durch sie gewann sie wieder Vertrauen in die Fähigkeit der Menschen, an einem Strang zu ziehen und wirklich aktiv zu werden. Sie war der Demonstrationen überdrüssig, die zu nichts zu führen schienen und stand selbst kurz vor dem Burnout. Wenn man als Don Quixote gegen Windmühlen kämpft, wird man einfach irgendwann müde. Die Gelbwestenbewegung hat sie wieder aufgemuntert. BD: Ich erzähle dazu mal eine Geschichte. Wir suchten nach einem Ort, wo wir das Drehbuch schreiben wollten, nicht zu weit weg von Paris. Wir entschieden uns für das Städtchen Arras. Eines führte zum anderen und wir beschlossen, dort auch zu drehen, vor allem, als wir unsere Wohnsiedlung am Rande der Stadt entdeckten. Als wir Corinne erzählten, dass die Dreharbeiten nördlich von Paris, in Arras, stattfinden würden, konnte sie es gar nicht fassen. Genau dort nämlich ist sie aufgewachsen – und hat schon damals ordentlich Aufstand veranstaltet. Was für ein Zufall, dass wir uns aus 35.000 Städten in Frankreich ausgerechnet diese ausgesucht haben.
FORTSETZUNG FOLGT
Foto:
©Verleih
Info:
Darsteller
MARIE BLANCHE GARDIN
BERTRAND DENIS PODALYDÈS VON LA COMEDIE- FRANÇAISE
CHRISTINE. CORINNE MASIERO
SEXTAPE TYP. VINCENT LACOSTE
ALIMAZONE LIEFERANT. BENOÎT POELVOORDE
GOTT BOULI LANNERS
BIOBAUER VINCENT DEDIENNE
SCHMAROTZER PHILIPPE REBBOT
SELBSTMÖRDER MICHEL HOUELLEBECQ
CATHYA CLEMENTINE PEYRICOT
SYLVAIN LUCAS MONDHER
REGIE & DREHBUCH
BENOÎT DELÉPINE & GUSTAVE KERVERN
Frankreich 2020
Länge: 112 Minuten Bildformat: 2,35:1 (cinema scope) Tonformat: 5.1
Abdruck aus dem Presseheft
BD: Sie haben sich dank der Gelbwestenbewegung kennen gelernt und sind zum Glück Freunde geworden, die sich gegenseitig unterstützen. Wie sonst könnten sie überhaupt nur versuchen, diese virtuelle Festung zu stürmen?
GK: Mit kleinen und mittelgroßen Städten in Frankreich haben wir uns schon in „Der Tag wird kommen“ beschäftigt. In ONLINE FÜR ANFÄNGER zeigen wir nun Menschen in ihren Wohnsiedlungen, die nicht Auto fahren, um Benzin zu sparen und den Kilometerstand niedrig zu halten. Ein Running Gag, der ganz gut zeigt, wie sehr sie Gefangene in ihren eigenen Häusern sind.
Haben Sie den Eindruck, dass die Gelbwestenbewegung sich auch aus diesem Gefühl von Einsamkeit und Isolation speiste?
GK: Unsere ursprüngliche Idee war es, dass der Film sich um eine einzelne Figur dreht. Das wäre quasi ein Gelbwestler gewesen, bevor es diese Bewegung überhaupt gab. Jemand, der gegen die Isolation, soziales Elend, die Digitalisierung der öffentlichen Versorgungsbetriebe und all diese Dinge kämpft. Doch kaum war der erste Drehbuchentwurf fertig, nahm die Bewegung ihren Anfang.
BD: Also haben wir das alles verworfen, denn wir hatten die Sorge, dass alle denken, wir würden nur opportunistisch der Herde folgen.
GK: Wir haben uns dann entschieden, die Geschichte so zu ändern, dass sie von drei Protagonist*innen handelt, die mit unterschiedlichen, aber in vielerlei Hinsicht eben doch ähnlichen Problemen zu kämpfen haben.
BD: Wir wollten außerdem stärker den Gedanken der Solidarität in den Fokus rücken, gerade in einer immer individualistischeren Welt, in der elektronische Geräte die Menschen zusehends voneinander isolieren.
GK: Corinne Masiero musste in ihrer Szene in der Mitte des Kreisverkehrs tatsächlich anfangen zu weinen. Wir wussten, dass sie selbst in die Gelbwestenbewegung involviert war, allerdings nicht wie sehr. Die Gelbwesten waren extrem wichtig für sie; durch sie gewann sie wieder Vertrauen in die Fähigkeit der Menschen, an einem Strang zu ziehen und wirklich aktiv zu werden. Sie war der Demonstrationen überdrüssig, die zu nichts zu führen schienen und stand selbst kurz vor dem Burnout. Wenn man als Don Quixote gegen Windmühlen kämpft, wird man einfach irgendwann müde. Die Gelbwestenbewegung hat sie wieder aufgemuntert. BD: Ich erzähle dazu mal eine Geschichte. Wir suchten nach einem Ort, wo wir das Drehbuch schreiben wollten, nicht zu weit weg von Paris. Wir entschieden uns für das Städtchen Arras. Eines führte zum anderen und wir beschlossen, dort auch zu drehen, vor allem, als wir unsere Wohnsiedlung am Rande der Stadt entdeckten. Als wir Corinne erzählten, dass die Dreharbeiten nördlich von Paris, in Arras, stattfinden würden, konnte sie es gar nicht fassen. Genau dort nämlich ist sie aufgewachsen – und hat schon damals ordentlich Aufstand veranstaltet. Was für ein Zufall, dass wir uns aus 35.000 Städten in Frankreich ausgerechnet diese ausgesucht haben.
FORTSETZUNG FOLGT
Foto:
©Verleih
Info:
Darsteller
MARIE BLANCHE GARDIN
BERTRAND DENIS PODALYDÈS VON LA COMEDIE- FRANÇAISE
CHRISTINE. CORINNE MASIERO
SEXTAPE TYP. VINCENT LACOSTE
ALIMAZONE LIEFERANT. BENOÎT POELVOORDE
GOTT BOULI LANNERS
BIOBAUER VINCENT DEDIENNE
SCHMAROTZER PHILIPPE REBBOT
SELBSTMÖRDER MICHEL HOUELLEBECQ
CATHYA CLEMENTINE PEYRICOT
SYLVAIN LUCAS MONDHER
REGIE & DREHBUCH
BENOÎT DELÉPINE & GUSTAVE KERVERN
Frankreich 2020
Länge: 112 Minuten Bildformat: 2,35:1 (cinema scope) Tonformat: 5.1
Abdruck aus dem Presseheft