Bildschirmfoto 2021 11 03 um 22.19.55Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom Donnerstag, 4. November 2021, Teil 2

Redaktion 

Budapest (Weltexpresso) - Warum wollten Sie den Roman von Milán Füst adaptieren?

Idikó Enyedi
Eigentlich schreibe ich meine eigenen Drehbücher. Dies ist meine erste Adaption einer literarischen Arbeit. Milán Füst könnte man als Sonderfall in Ungarn und in der Weltliteratur bezeichnen. Oft wird er missverstanden, für die falschen Dinge gelobt. Für mich ist er zunächst einmal ein radikaler Denker, der seine Gedanken in eine üppige, sinnliche Textur voller Humor und Verspieltheit hüllt. Er schrieb dieses zutiefst persönliche Buch während des Zweiten Weltkriegs, als sein Leben sich in Gefahr befand. Es ist eine aufschlussreiche Wahl. Es geht nicht um Eskapismus. Es bedeutet etwas anderes: Wenn bösartige und inakzeptable Kräfte deine Umstände bestimmen, dann machst du einen Schritt zurück und fokussierst das größere Bild. Von dieser Warte erscheint die elementare Bösartigkeit der Gegenwart, wie sie wirklich ist: mittelmäßig. Von hier kann die elementare Schönheit des Lebens, vorübergehend verdeckt von diesen Kräften, zum Vorschein kommen. Diese offenkundige Frivolität, diese Gewagtheit seiner Einstellung, ohne gewagt oder weise sein zu wollen, waren es, was ich charmant fand, als ich den Roman als Teenager zum ersten Mal las.

Obwohl es in dem Buch um ein verheiratetes Paar geht, behandelt es die große brennende Frage, die zu stellen einem etwas albern vorkommen mag, wenn man älter als 16 oder 17 Jahre ist: Wie sollen wir unser kleines, kurzes Leben auf der Erde verbringen? Wir gehen dieser Frage durch die Augen eines Frachterkapitäns nach, der seine Frau verstehen will, eine kleine französische Frau, und im Grunde durch sie das Leben verstehen will. Ihm werden einige sehr harte Lektionen erteilt. Und er muss lernen, dass er akzeptieren und sich eingestehen muss, dass sich das Leben nicht kontrollieren lässt.


Läßt sich der Film auch als Parabel auf das Ende des Patriarchats lesen?

So könnte man es nennen. Obwohl es die Absicht des Films ist, mit dem Publikum auf eine grundsätzlichere, sinnlichere Weise zu kommunizieren als mit den Mitteln einer Parabel. Ich verstehe ihn eher als eine Einladung an die Mitglieder des gestürzten Patriarchats, mit uns zusammen etwas zu errichten, dass für uns alle eine Freude und erfüllend ist. Heute haben wir für den männlichen Teil der Menschheit die großartige historische Möglichkeit, sich daran zu beteiligen, ein besseres Leben zu führen und ein erfüllenderes Lebensmodell umzusetzen.


Wie haben Sie sich für die Sprache des Films entschieden? Was war Ihr Prozeß?

Als ich mich hinsetzte, um die letzte Fassung des Drehbuchs zu schreiben, strich ich nach einigem Zögern eine ziemlich komplexe visuelle Erzählstruktur, bei der sich alles in einer artifiziellen Welt abgespielt hätte, im Verstand von Kapitän Störr. Ich beschloss, ein Risiko einzugehen und mich nicht hinter einer starken Autorenvision zu verstecken, die für einen Filmemacher ja auch so etwas sein kann wie eine Rüstung. Ich entschied mich für einen indirekten Ansatz, der Film sollte nicht einfach nur auf der Leinwand ablaufen, sondern auf eine versteckte, sehr persönliche Weise in jedem einzelnen im Publikum.

Die Herausforderung bestand für mich und meine Mitstreiter darin, eine auf den ersten Blick klassische Oberfläche zu erschaffen, die es dem Publikum erlauben würde, sich auch in die Ebenen darunter zu bewegen. Die Geschichte wird aus der Perspektive von Jakob erzählt, dem Kapitän eines Frachters. Kameramann Marcell Rév und ich wollten den Film auf dieselbe Weise aufbauen, wie Frachtschiffe aufgebaut sind, und nur das verwenden, was für die Konstruktion unbedingt nötig ist: Holz. Metall. Seile. Sonst nichts. Der Film beginnt in und auf dem Wasser, an Bord eines Schiffs. Die Sonne, der Wind, die Kraft des Meers. Es ist eine transparente, logische Welt. Um die Mächte der Natur zu bezwingen, haben Seemänner sich ganz besondere, aber auch sehr limitierte menschliche Talente angeeignet. Das ist die Welt von Jakob Störr.

Als er mit seinen Füßen Festland betritt, erweisen sich seine Talente als ausgesprochen inadäquat. Die Regeln sind hier doch ganz anders. Im Verlauf des Films versucht er diese Regeln zu durchschauen, mit geringem Erfolg. Im Café in Paris erweist sich das Geplauder, die Flinkheit, die Glätte und Eleganz und die Art und Weise, wie miteinander kommuniziert wird, für ihn als bezeichnend für das sinnliche Labyrinth, auf das er stößt – sinnlich nicht nur im Hinblick auf eine sexuelle Konnotation, sondern in jeglicher Hinsicht.


Gjs spielt Jakob Störr ganz ausgezeichnet, gleichzeitig viril und kräftig und verletzlich. Wie haben Sie mit ihm gearbeitet?

DIE GESCHICHTE MEINER FRAU ist tatsächlich die Geschichte des Ehemanns. Wir bewegen uns mit ihm in diesen sich mehr und mehr beschleunigenden Mahlstrom, und wir bleiben während des kompletten Films Geisel seiner Perspektive. Er ist ein guter Schiffskapitän. In seiner Welt auf See gibt es kein Vielleicht. Wenn man mit einem Problem konfrontiert wird, muss man es lösen. So begegnet er jeder neuen Situation, immer und immer wieder, mit der naiven Überzeugung, dass er sie öffnen kann wie eine Schachtel, hineinsehen und eine passende Antwort finden kann. Es macht ihn mehr und mehr irritiert und verzweifelt, dass er mit dieser Methode nichts greifen kann, dass sich ihm die Essenz entzieht. Schließlich lernt er durch die Beziehung mit seiner Frau Lizzy, dass man diese flüchtige und unerreichbare Lebensqualität umarmen und lieben muss. Man könnte also sagen, dass Lizzy mit Humor, Leidenschaft, Konflikten und überraschenden Wendungen die Rolle eines Zen-Lehrers innehat. Wenn die Schüler etwas nicht verstehen, dann erklärt ein Zen-Lehrer nicht, sondern gibt nur deutliche Hinweise, manchmal nur einen Klaps auf den Kopf.

Gijs ist ein großes Talent, ein konzentrierter und hart arbeitender Kollege, der tatsächlich in jeder Szene des Films zu sehen ist – er liefert an jedem Drehtag absolute Topleistungen ab. Seine Präsenz ist allumfassend, bedeutsam. Er bringt uns Jakob ohne große Gesten nahe, einzig durch die Tiefe und Aufrichtigkeit seiner Darstellung. Er ist stark und verletzlich – das Geheimnis aller großen Stars. Als wir daran arbeiteten, die Figur des Jakob Störr zu finden, teilten wir beide miteinander, wie man das so kennt, persönliche Erinnerungen. Er erzählte von seinem Vater, mit Liebe und Verständnis, von der Weltsicht, die sich sein Vater und alle Jungs seiner Generation beim Großwerden aneigneten, und den Limitierungen dieser Weltsicht. Es war anrührend, beim Dreh zu erleben, dass Gijs‘ Vater, der schon lange kein junger Mann mehr ist, viele seiner einstmals wie in Stein gemeißelten Ansichten mittlerweile revidiert hat, sich geöffnet hat, zugänglicher und kommunikativer geworden ist. Es ist niemals zu spät.


Die unerreichbare Lebensqualität wird von Lizzy personifiziert. Wie ist Leá Seydoux an diese komplexe Aufgabe herangegangen?

Nun, es ist eine ziemlich raffinierte Rolle, alles andere als leicht zu spielen. In DIE GESCHICHTE MEINER FRAU gibt es nicht einen einzigen Moment, in dem die Geschichte aus Lizzys Warte erzählt wird. Ich habe Léa gleich zu Beginn gesagt und wir waren uns darüber auch von Anfang an einig, dass dies nicht die Geschichte einer Femme fatale ist. Lizzy umhüllt kein Geheimnis. Sie ist eine vollwertige, komplexe Person. Und wie jeder von uns hat sie etwas, das für andere Menschen unerreichbar ist, auch denen, die ihr am nächsten stehen. Die Geschichte spielt in den 1920er-Jahren, und alle Figuren, Lizzy inklusive, sind ein organischer Teil dieser Gegenwart. Sie spielen die Rollen, die ihnen von der Gesellschaft angeboten werden. Das bedeutet, dass Léa eine noch größere Verantwortung hatte, die sich ergebenden Vorurteile gegenüber Lizzys Charakter einzig und allein durch die Komplexität ihrer Darstellung zu entkräften.

Aber wie spielt man eine Figur, deren Beweggründe vor uns, den Zuschauern, verborgen bleiben? Anstatt uns eine Hintergrundgeschichte auszudenken, arbeiteten wir an einer Haltung, einer Herangehensweise ans Leben. Ich versuchte, einen Raum für Léa zu erschaffen, wo sie Lizzy nicht spielen, sondern werden konnte, mit all ihren Geheimnissen und den wunderbaren Unregelmäßigkeiten, die einen echten Menschen ausmachen.


Deshalb arbeiteten wir mit Gijs und Léa mehr oder weniger getrennt voneinander, sie gingen an ihre Rollen jeweils mit einer ganz anderen Methode heran. Es ist meine Absicht, dass der Film für den Zuschauer, wenn er das Kino verlässt, keine endgültige Erklärung bereithalten soll. Vielmehr will ich erzielen, dass der Zuschauer am Ende des Films eine endgültige Erklärung gar nicht mehr benötigt. Man sieht es nicht auf der Leinwand, aber es war harte Arbeit für Léa, während des gesamten Films die richtige Balance für diese Ambivalenz zu finden. Es liegt in unserer Natur, immer nach Lösungen und Erklärungen zu suchen. Nach jeder Szene denken wir ganz instinktiv, dass wir wissen, was sie als nächstes vorhat. Dann muss sie den Zuschauer in der folgenden Szene wieder aus dem Gleichgewicht bringen und wie selbstverständlich einen anderen Hinweis andeuten. Wir haben wie Komplizen zusammengearbeitet, voller Vertrauen und Intimität. Léa hat Unglaubliches geleistet, diese komplexe Rolle zu meistern.

Foto:
©Verleih

Info:
BESETZUNG
Lizzy     LÉA SEYDOUX
Jakob   GIJS NABER
Dedin    LOUIS GARREL
Kodor   SERGIO RUBINI
Viola     JASMINE TRINCA
Grete.   LUNA WEDLER
Herr Blume   JOSEF HADER
Herr Lange    ULRICH MATTHES
Herr Voss     UDO SAMEL

STAB
Regie & Drehbuch    ILDIKÓ ENYEDI
Romanvorlage          MILÁN FÜST