Christian Granderath
Berlin (Weltexpresso) – REDAKTEUR CHRISTIAN GRANDERATH ÜBER DEN OUTLAW BLUES VON THOMAS BRASCH: Er war in den Siebzigern und Achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts fast so etwas wie ein Rockstar. Charismatisch, scharfsinnig, selbstbewusst, sensibel und innerlich zerrissen, ein cooler und bisweilen brutaler Beobachter, umstritten, berühmt und für manche auch berüchtigt – und nach dem Mauerfall 1989 irgendwann dann fast vergessen.
Der Name Thomas Brasch begegnete mir das erste Mal, als ich 1976 für eine Schülerzeitung einen Artikel über das Kölner Konzert und die anschließende Ausbürgerung von Wolf Biermann schrieb. Ein junger ostdeutscher Schriftsteller, der, zweimal zwangs-exmatrikuliert, 1968 aus politischen Gründen im Knast gesessen hatte, in der DDR nicht publizieren durfte und trotzdem nur widerwillig von Ost- nach West-Berlin übersiedelte und bald darauf sein erstes Buch mit dem programmatischen Titel „Vor den Vätern sterben die Söhne“ veröffentlichte – das klang nach Outlaw und „live fast & die young“ und machte sofort neugierig.
In Westdeutschland war damals der Kampf gegen die Berufsverbote ein großes Thema; wir wollten uns jenseits von Journalismus auch via Kunst ein Bild über die und das da drüben in der Deutschen Demokratischen Republik machen. Sänger und Schriftsteller wie Wolf Biermann, Rainer Kunze, Jürgen Fuchs und eben Thomas Brasch hatten dort o¬enbar die Macht, mit ihren Worten und Werken System und Staat zu erschüttern und unerträglich zu werden. Ohnmacht, Verbote, Zensur, Ausbürgerungen und widerwillige Übersiedlungen in die Bundesrepublik und nach West-Berlin waren die Folge. Brasch klang dabei sofort wie eine merkwürdig anarchische und rebellische Stimme von der anderen Seite des Eisernen Vorhangs, der auf dem Primat der Kunst beharrte und das Dissidententum nicht wie eine Monstranz vor sich hertrug.
„Vor den Vätern sterben die Söhne“ erschien 1977, kurz nach „Anarchy in the U.K“, dem ersten Album der Sex Pistols. Braschs Bestseller las sich nicht wie Punk-Literatur, aber bei der Lektüre war trotzdem ein eigentümlicher „No Future“ Klang hörbar. Doch statt Wut und Empörung dominierte Intellekt, gepaart mit kühler Melancholie, erzählte er komplex von Liebe, Revolte und Tod in der DDR. Unter einem Himmel aus Stahl wollte der Autor nur für sich stehen und sich von nichts und niemandem vereinnahmen lassen. Moralische Schreiberei war seine Sache nicht.
1980 erschien der Gedichtband „Der schöne 27. September“, der bei uns einschlug wie eine Bombe. Kunst kann unter die Haut gehen und ins Mark tre¬en und den Blick auf die Welt verändern. Auch deshalb gehört Brasch mit seinen betörend musikalischen Gedichten zu den faszinierendsten deutschen Schriftstellern. Unversöhnt und mit scharfem Blick aus der Distanz erzählen sie mit großer Zärtlichkeit von Mord und Totschlag, Liebe und Tod, von Angestellten und Attentätern, Junkies und Rockern und reflektieren die Geschichte eines wüsten, zerrissenen Landes. „Schlimmer Traum“ brachte gleich zu Beginn die Verhältnisse und das Lebensgefühl mit einem ebenso coolen wie romantischen Sound auf den Punkt:
1
Die oben waren sind immer noch oben
Wer fällt wird aufgehoben
2
Die unten waren sind aufgestiegen
Wer unterliegen will muß siegen
3
Die schweigen wollen müssen reden
Keiner für sich Jeder für jeden
4
Die hassen wollen müssen lieben:
Alle ins Paradies vertrieben
Seine Wahrnehmung als Outlaw auch im Westen verstärkte sich noch, als er beim Bayerischen Filmpreis am 16. Januar 1982 für einen Skandal sorgte. Während der live im Bayerischen Fernsehen übertragenen Preisverleihung begründete er, warum er aus der Hand eines reaktionären Politikers wie Franz Josef Strauß das Preisgeld für seine Gangsterballade ENGEL AUS EISEN akzeptierte. Bei den toten Kriminellen seines Films bedankte er sich für ihr Vorbild und bei der Filmhochschule der DDR für seine Ausbildung. Damals waren Bayern und der BR noch tiefschwarzes CSU-Country – für die anwesende Nomenklatura klang das nach „Anarchy in Bavaria“. Es kam zu Tumulten im Festsaal, der BR verzichtete in der Folge für viele Jahre auf Live-Übertragungen des Filmpreises. „Als Künstler im Zeitalter des Geldes“ war Brasch jemand, der selbstbewusst Haltung zeigte, Widersprüche suchte und aushielt, dabei den Eklat nicht scheute und sich zielsicher zwischen allen Stühlen positionierte – bereit, dafür den Preis zu zahlen. Immer wieder suchte er sich auch Kriminelle, über die er ein Spiegelbild der Verhältnisse zeigen wollte, Werner Gladow, Gary Gilmore, Klaus-Dieter Langer sind nur einige davon.
Ein innerlich zerrissenes, exzessives Leben, Drogen, der Mauerfall und Untergang der DDR und der Tod des Vaters haben Thomas Brasch in den 90ern ausgebrannt und entwurzelt, so heißt es, und ihm die Kraft genommen, eine geeignete Form für sein Opus Magnum über den Mädchenmörder Brunke zu finden. „There’s no success like failure“ – alle Versuche, aus der eigenen Haut zu entkommen, waren wohl gescheitert. 2001, vor zwanzig Jahren ist dieser faszinierende und wichtige Autor und Regisseur der Nachkriegsgeneration viel zu früh gestorben, bis heute ein schwerwiegender Verlust.
Von seiner Familiengeschichte und dem atemberaubenden Verrat des Vaters am eigenen Sohn habe ich detaillierter erst nach seinem Tod erfahren. Seitdem gab es die Idee, in einem Spielfilm inspiriert von diesem leidenschaftlichen Leben im Nachkriegsdeutschland zu erzählen und „life and times of Thomas Brasch“ und sein komplexes Werk auch darüber in Erinnerung zu halten. Der Produzent Michael Souvignier hat das nach einem Gespräch vor vielen Jahren aufgegri¬en, NDR, BR, Arte und der WDR haben diesen Kinofilm unterstützt. Emmy-Preisträger Andreas Kleinert und Thomas Wendrich sind in der DDR aufgewachsen und kennen die Verhältnisse in beiden Teilen Deutschlands gut. Die beiden erzählen nicht nur von einem brutalen VaterSohn Konflikt, einer großen Liebe und von Sex & Drugs & Rock’n’Roll, sondern machen zugleich auch eine Liebeserklärung an einen Künstler, der Einsamkeit unbedingt als politischen und nicht als psychologischen Moment begreifen wollte. Lieber Thomas wirft einen Blick auf ein Leben, das Brasch in seinem Gedicht „Lied“ melancholisch, zärtlich und persönlich besungen hat:
„Wolken gestern und Regen Jetzt ist keiner mehr hier
Ich bin nicht dagegen Singe und trinke mein Bier
Tränen heute und Lieder Bäume verdunkeln den Mond
Ich komme immer wieder Dorthin wo keiner mehr wohnt
Blätter morgen und Winde Bist du immer noch hier
Ich besinge die Rinde Der Bäume und warte bei Dir“
Foto:
©Verleih
Info:
BESETZUNG
Thomas ALBRECHT SCHUCH
Katarina JELLA HAASE
Thomas, älter PETER KREMER
Thomas, Kind CLAUDIO MAGNO
Vater JÖRG SCHÜTTAUF
Mutter. ANJA SCHNEIDER
Klaus / Gladow JOEL BASMAN
Sanda IOANA IACOB
Sylvia EMMA BADING
Gerit LUISA-CÉLINE GAFFRON
Erich Honecker JÖRG SCHÜTTAUF
Regisseur MATTHIAS BUNDSCHUH
Bettina PAULA HANS
Jean ZOË VALKS
Vladimir ADRIAN JULIUS TILLMANNAXAA
Stab
Regie ANDREAS KLEINERT
Drehbuch THOMAS WENDRICH
Info:
1 & 2 Auszug aus Thomas Brasch, Der Papiertiger, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1977
„Vor den Vätern sterben die Söhne“ erschien 1977, kurz nach „Anarchy in the U.K“, dem ersten Album der Sex Pistols. Braschs Bestseller las sich nicht wie Punk-Literatur, aber bei der Lektüre war trotzdem ein eigentümlicher „No Future“ Klang hörbar. Doch statt Wut und Empörung dominierte Intellekt, gepaart mit kühler Melancholie, erzählte er komplex von Liebe, Revolte und Tod in der DDR. Unter einem Himmel aus Stahl wollte der Autor nur für sich stehen und sich von nichts und niemandem vereinnahmen lassen. Moralische Schreiberei war seine Sache nicht.
1980 erschien der Gedichtband „Der schöne 27. September“, der bei uns einschlug wie eine Bombe. Kunst kann unter die Haut gehen und ins Mark tre¬en und den Blick auf die Welt verändern. Auch deshalb gehört Brasch mit seinen betörend musikalischen Gedichten zu den faszinierendsten deutschen Schriftstellern. Unversöhnt und mit scharfem Blick aus der Distanz erzählen sie mit großer Zärtlichkeit von Mord und Totschlag, Liebe und Tod, von Angestellten und Attentätern, Junkies und Rockern und reflektieren die Geschichte eines wüsten, zerrissenen Landes. „Schlimmer Traum“ brachte gleich zu Beginn die Verhältnisse und das Lebensgefühl mit einem ebenso coolen wie romantischen Sound auf den Punkt:
1
Die oben waren sind immer noch oben
Wer fällt wird aufgehoben
2
Die unten waren sind aufgestiegen
Wer unterliegen will muß siegen
3
Die schweigen wollen müssen reden
Keiner für sich Jeder für jeden
4
Die hassen wollen müssen lieben:
Alle ins Paradies vertrieben
Seine Wahrnehmung als Outlaw auch im Westen verstärkte sich noch, als er beim Bayerischen Filmpreis am 16. Januar 1982 für einen Skandal sorgte. Während der live im Bayerischen Fernsehen übertragenen Preisverleihung begründete er, warum er aus der Hand eines reaktionären Politikers wie Franz Josef Strauß das Preisgeld für seine Gangsterballade ENGEL AUS EISEN akzeptierte. Bei den toten Kriminellen seines Films bedankte er sich für ihr Vorbild und bei der Filmhochschule der DDR für seine Ausbildung. Damals waren Bayern und der BR noch tiefschwarzes CSU-Country – für die anwesende Nomenklatura klang das nach „Anarchy in Bavaria“. Es kam zu Tumulten im Festsaal, der BR verzichtete in der Folge für viele Jahre auf Live-Übertragungen des Filmpreises. „Als Künstler im Zeitalter des Geldes“ war Brasch jemand, der selbstbewusst Haltung zeigte, Widersprüche suchte und aushielt, dabei den Eklat nicht scheute und sich zielsicher zwischen allen Stühlen positionierte – bereit, dafür den Preis zu zahlen. Immer wieder suchte er sich auch Kriminelle, über die er ein Spiegelbild der Verhältnisse zeigen wollte, Werner Gladow, Gary Gilmore, Klaus-Dieter Langer sind nur einige davon.
Ein innerlich zerrissenes, exzessives Leben, Drogen, der Mauerfall und Untergang der DDR und der Tod des Vaters haben Thomas Brasch in den 90ern ausgebrannt und entwurzelt, so heißt es, und ihm die Kraft genommen, eine geeignete Form für sein Opus Magnum über den Mädchenmörder Brunke zu finden. „There’s no success like failure“ – alle Versuche, aus der eigenen Haut zu entkommen, waren wohl gescheitert. 2001, vor zwanzig Jahren ist dieser faszinierende und wichtige Autor und Regisseur der Nachkriegsgeneration viel zu früh gestorben, bis heute ein schwerwiegender Verlust.
Von seiner Familiengeschichte und dem atemberaubenden Verrat des Vaters am eigenen Sohn habe ich detaillierter erst nach seinem Tod erfahren. Seitdem gab es die Idee, in einem Spielfilm inspiriert von diesem leidenschaftlichen Leben im Nachkriegsdeutschland zu erzählen und „life and times of Thomas Brasch“ und sein komplexes Werk auch darüber in Erinnerung zu halten. Der Produzent Michael Souvignier hat das nach einem Gespräch vor vielen Jahren aufgegri¬en, NDR, BR, Arte und der WDR haben diesen Kinofilm unterstützt. Emmy-Preisträger Andreas Kleinert und Thomas Wendrich sind in der DDR aufgewachsen und kennen die Verhältnisse in beiden Teilen Deutschlands gut. Die beiden erzählen nicht nur von einem brutalen VaterSohn Konflikt, einer großen Liebe und von Sex & Drugs & Rock’n’Roll, sondern machen zugleich auch eine Liebeserklärung an einen Künstler, der Einsamkeit unbedingt als politischen und nicht als psychologischen Moment begreifen wollte. Lieber Thomas wirft einen Blick auf ein Leben, das Brasch in seinem Gedicht „Lied“ melancholisch, zärtlich und persönlich besungen hat:
„Wolken gestern und Regen Jetzt ist keiner mehr hier
Ich bin nicht dagegen Singe und trinke mein Bier
Tränen heute und Lieder Bäume verdunkeln den Mond
Ich komme immer wieder Dorthin wo keiner mehr wohnt
Blätter morgen und Winde Bist du immer noch hier
Ich besinge die Rinde Der Bäume und warte bei Dir“
Foto:
©Verleih
Info:
BESETZUNG
Thomas ALBRECHT SCHUCH
Katarina JELLA HAASE
Thomas, älter PETER KREMER
Thomas, Kind CLAUDIO MAGNO
Vater JÖRG SCHÜTTAUF
Mutter. ANJA SCHNEIDER
Klaus / Gladow JOEL BASMAN
Sanda IOANA IACOB
Sylvia EMMA BADING
Gerit LUISA-CÉLINE GAFFRON
Erich Honecker JÖRG SCHÜTTAUF
Regisseur MATTHIAS BUNDSCHUH
Bettina PAULA HANS
Jean ZOË VALKS
Vladimir ADRIAN JULIUS TILLMANNAXAA
Stab
Regie ANDREAS KLEINERT
Drehbuch THOMAS WENDRICH
Info:
1 & 2 Auszug aus Thomas Brasch, Der Papiertiger, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1977