Bildschirmfoto 2021 11 10 um 20.32.34Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom Donnerstag,11. November 2021, Teil 6

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) – Sie haben an derselben Filmhochschule studiert wie Brasch.

20 Jahre nach ihm. Sein Porträt hängt heute als großes Banner im Foyer der Filmuni. Thomas Brasch beschäftigt mich, seitdem ich an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg studiert habe. Ich hatte ihn bereits als Dichter gekannt – es wurde aber auch über ihn gesprochen, weil er von dieser Filmhochschule geflogen war, nachdem er 1968 gegen den Prag-Einmarsch Flugblätter verteilt hatte. Zu meiner Zeit von 1984 bis 1989 war in der DDR der Umbruch bereits spürbar. Wir konnten uns mehr und mehr trauen, nachdem anfangs noch der alte Wind wehte. Ich hatte selbst noch zwei Verbotsfilme gedreht, die nicht gezeigt werden durften. 1986 kam Lothar Bisky, der spätere Vorsitzende der Linken, als neuer Rektor der Filmhochschule; er hielt eine schützende Hand über mich. Er sorgte dafür, dass meine gesperrten Filme wieder freigegeben wurden und sogar außerhalb der DDR gezeigt werden konnten, auch wenn ich selbst nicht mitreisen durfte. Das war die entscheidende Wende. Und es war die Zeit, in der ich auch meine ersten Begegnungen mit dem Filmregissseur Brasch hatte, der einem Mut machte in seiner Radikalität in den noch stalinistisch geprägten Sechzigerjahren. Seine Widerständigkeit ist inspirierend. Wenn man anfängt Filme zu machen, will man wahrgenommen werden. Konflikt und Reibung sind für einen Künstler dringlich, um zu merken: Du kannst etwas bewirken. Das Schlimmste ist, wenn es keinerlei Reaktionen gibt. Gleichgültigkeit ist tödlich.



Wie viel wussten Sie damals von Brasch?

Brasch fand in der DDR nicht statt. Es gab ein kleines Gedichtbändchen, und das war’s. Unter der Hand hat man sich damals manches aus dem Westen mitbringen lassen. Aber grundsätzlich war es schwer, mehr zu bekommen, auch an alle Filme ranzukommen. Ich kannte also dieses Bändchen, sehr wenige Filme von ihm und wusste von Braschs Schwierigkeiten auf der Filmhochschule. Aber so richtig bewusst wurde mir Brasch erst nach der Wende – auch weil der Produzent, mit dem ich meinen ersten Kinofilm im Westen gedreht habe, auch der Produzent der Brasch-Filme ENGEL AUS EISEN und DER PASSAGIER – WELCOME TO GERMANY war: Joachim von Vietingho¬. Er hat mir viel von Brasch erzählt.



Wie würden Sie LIEBER THOMAS beschreiben?

Braschs Leben ist von barocker Fülle und Komplexität geprägt. Thomas ist ein schwieriger, widersprüchlicher Mensch. Wir sehen einen Mann, der offensichtlich ein pralles Leben mit vielen Erlebnissen und Ereignissen hat. Der immer intensiv und extrem ist, in seinem Leben, in seinem Lieben, in seiner Arbeit. Nichts ist schlimmer als Langeweile. Und langweilig ist Thomas Brasch nie, zu keiner Sekunde.

Es geht um einen Künstler, der sich nie angepasst hat, ähnlich einem Pasolini oder Genet. Wenn man ihn umarmen wollte, hat er sich freigemacht. Er wollte nie so sein, wie andere ihn haben wollten. Unser Film will auch ausrufen: Lasst euch nicht vereinnahmen! Widerstand ist auch Lustgewinn. Alle, die bei der Flugblattaktion dabei waren, die dazu führte, dass Thomas der Filmhochschule verwiesen wurde, sagten uns in Gesprächen, dass die Aktion ihnen auch einen Kick gab, etwas Sinnliches hatte. Man soll den Mut aufbringen zu widerstehen, sich zu verweigern, nicht alles mitzumachen. Dabei ist es wichtig, seinen eigenen Weg zu finden und zu gehen.



Thomas Brasch war ein Mann der Widersprüche – seine Radikalität kann man durchaus auch negativ wahrnehmen. Wie hat das Ihren Film beeinflusst?

Brasch macht es uns nicht einfach, er ist kein strahlender Held, er ist kein Wohltäter. Natürlich klammern wir das nicht aus, weil wir ihn nicht heroisieren wollen. Er war auch rücksichtslos, brüsk, abweisend, verletzend und konnte in seiner extremen Haltung über Menschen hinwegfegen. 

Bei Brasch ist das Besondere, dass er bis zu seinem Lebensende die Frauen seines Lebens auf seine Art geliebt hat. Er hat sich nie im Hass von seinen Partnerinnen getrennt, sondern hat stets weiter für sie stark empfunden.

Als ich in der DDR aufwuchs, hatte ich viele emanzipierte, sehr selbstbewusste Frauen um mich, die nicht Zuhause blieben, sondern arbeiten gingen und sich
auch darüber definierten. Die Scheidungsrate in der DDR war sehr hoch, auch weil Frauen nicht abhängig davon waren, dass ihre Männer das Geld nach Hause brachten. Sie verdienten ihr eigenes Geld und konnten auf eigenen Beinen stehen. Die Frauen, die wir in unserem Film zeigen, haben ein starkes Selbstbewusstsein, eine extreme Selbstbestimmtheit. Das sollte sich auch in der Besetzung widerspiegeln – Frauen, die für etwas stehen, die sich nichts gefallen lassen.



Was wollen Sie in LIEBER THOMAS rüberbringen?


Es ist eine sehr moderne Geschichte in unserer chaotisch komplexen Zeit. Um den Film zu schauen, ist es nicht nötig, Thomas Brasch und sein Werk zu kennen. Er ist ein besonderer Mensch, den man gerade in seiner Verquerheit, in seinem ewigen Hadern mit sich und seinen Ansprüchen an sich und andere, lieben kann. Dfferenziertheit ist uns ein Anliegen. Wir wollen zeigen, warum er geworden ist, wie er war – die Erfahrungen in der Kadettenanstalt, in seinem Elternhaus, besonders mit seinem Vater. Er ist auch so geworden durch seine Entwicklung in einer konkreten historischen Situation.

Aber: LIEBER THOMAS ist immer ein Blick von uns auf Brasch. Wir behaupten nicht: So war Brasch! Das wäre anmaßend. Es ist ein Erinnern an ihn, ein Nachdenken über Brasch. Wir wagen eine Annäherung, eine Interpretation, eine auf Tatsachen fußende Fiktion eines realen Lebens. Wir wollten keine Dichterbiographie machen, kein Biopic. Dieser Begriff suggeriert für mich einen Anspruch auf Eindeutigkeit, auf Vollständigkeit. Das war gar nicht unser Ansatz, sondern wir arbeiteten von Anfang an eher assoziativ. Der Film soll wie ein atemloser Ritt durch verschiedene Bewusstseinsebenen sein, bei dem jeder seine eigenen Assoziationen haben kann. Wie eine Überforderung, die beim Sehen sinnliche, nahezu traumähnliche Lust macht.

Foto:
©Verleih

Info:
BESETZUNG
Thomas       ALBRECHT SCHUCH
Katarina      JELLA HAASE
Thomas, älter   PETER KREMER
Thomas, Kind  CLAUDIO MAGNO
Vater               JÖRG SCHÜTTAUF
Mutter.            ANJA SCHNEIDER
Klaus / Gladow       JOEL BASMAN
Sanda            IOANA IACOB
Sylvia             EMMA BADING
Gerit               LUISA-CÉLINE GAFFRON
Erich Honecker     JÖRG SCHÜTTAUF
Regisseur              MATTHIAS BUNDSCHUH
Bettina                   PAULA HANS
Jean                       ZOË VALKS
Vladimir         ADRIAN JULIUS TILLMANNAXAA

Stab
Regie          ANDREAS KLEINERT
Drehbuch   THOMAS WENDRICH

Info:
1 & 2 Auszug aus Thomas Brasch, Der Papiertiger, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1977