Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom Donnerstag,11. November 2021, Teil 7
Redaktion
Berlin (Weltexpresso) – Wie haben Sie sich der Aufgabe genähert, Thomas Brasch zu spielen?
Als ich zu Beginn der Vorbereitung täglich um die 300 Seiten gelesen habe, befand ich mich in einem ständigen Wechselbad der Gefühle. Himmel auf Erden einerseits, so eine massive, vielschichtige Persönlichkeit spielen zu dürfen. Größte Angst andererseits, dem nicht gerecht werden zu können. Ich habe keinen Anfang und kein Ende gesehen. Die größte Schwierigkeit für mich war, mich von diesem Bild zu lösen, das ich selbst von Brasch hatte und von ehemaligen WeggefährtInnen, die ich getroffen habe, gespiegelt bekam. Ich musste mich lösen von dem Gedanken: So war er! Das ist der Thomas Brasch! Nur so! Wenn ich mich davon nicht löse, kann ich ihn nicht spielen. Dann lastet auf mir so viel Wissen und Wahrheitsaberglaube, dass ich nur noch ersticke und gar nicht mehr loslegen und eine Spielfreude entwickeln kann. Das war schwer für mich – besonders weil so viele von mir höchst geschätzte Kollegen so klare Erinnerungen an ihn haben. Ich musste das mit erhobenem Haupt innerlich vorbeiziehen lassen und sagen: Leute, ich mache es aber anders. Ich hatte während der Schauspielschule einen Text von ihm in der Hand. Der hieß „Warum spielen?“. Er könnte auch heißen „Warum schreiben?“, weil er ganz grundsätzliche Fragen stellt zur kreativen Arbeit. In diesem Fall ist er aber auf Schauspieler gemünzt. Er lebt vor allen Dingen von widersprüchlichen Aussagen und vielen Fragen. Das mochte ich sehr gerne. Das ist ein Text, der sich lohnt zu lesen. Der auch übertragbar ist für andere künstlerische Bereiche oder gar eine generelle Sinnfrage und Antwort an das Leben ist.
Wie spielt man eine Figur über einen so langen Zeitraum?
Das Drehbuch deckt eine große Zeitspanne im Leben des Thomas Brasch ab. Da überlege ich mir im Vorfeld schon, wo die verschiedenen Stufen sein könnten. Was verändert sich durch den Gefängnisaufenthalt, durch den Vater, der ihn verrät, durch den Westen, in den er kommt, durch die Begegnung mit verschiedenen Autoren, Schriftstellern und Frauen? Meine Entscheidungen sind also schon bewusst. Teilweise versuche ich aber, trotz aller Vorbereitungen, aller Texte, aller Menschen, die ich treffe, es passieren zu lassen, das Unterbewusstsein über mich bestimmen zu lassen. Da hilft das Kostüm: Je schwerer die Jacke, desto unterschiedlicher der Gang. Je mehr Haare usw. In Worte lässt sich das nicht wirklich fassen. Dieses Wunder wünsche ich mir – etwas, das ich nicht beschreiben kann, was sich meiner Wissenschaft entzieht.
Was war, Ihrer Meinung nach, Braschs Motor?
Er ist 1945 geboren und war jemand, der immer und immer wieder Fragen stellt an seine Eltern. Er wird von seinen Eltern verletzt auf eine Art, dass Vertrauensbrüche stattfinden, die so existenziell sind, dass sie sein ganzes Leben bestimmen. Der Vater verrät ihn an die Polizei und er geht in den Knast. Der Vater, der einen Selbstmordversuch unternimmt, weil ihn die Partei ausschließen will. Entscheidende Eckpunkte in seinem Leben waren immens schmerzhaft. Aber man muss aufpassen, wenn man das sagt. Brasch selbst hat sich dagegen verwahrt, vereinnahmt zu werden. Er wollte nicht vereinfacht, greifbar gemacht werden. Man muss die Ereignisse in Braschs Leben verstehen, wenn man eine Emotion für das Spiel vor der Kamera finden will. Man darf aber nicht einfach Striche von A nach B machen. Ich muss nach dem Woher fragen, vielleicht auch nach dem Warum. Ich darf aber keine Antworten geben, im Sinne von: So war er, das ist er. Das wäre vermessen. Ich weiß doch gar nicht, wer Thomas Brasch war. Jeder seiner Weggefährten und Partner weiß etwas anderes über ihn zu berichten, hat ein ganz eigenes Bild. Vieles ist widersprüchlich. Der Thomas Brasch der Achtzigerjahre war ein anderer Mensch als der Thomas Brasch, der in der DDR die Filmschule besucht hat. Für mich und alle anderen Beteiligten war es eine tägliche Suche. Jeden Tag aufs Neue haben wir uns gefragt, wer da vor uns stehen soll. Wir haben unseren Thomas Brasch gesucht.
Foto:
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Info:
BESETZUNG
Thomas ALBRECHT SCHUCH
Katarina JELLA HAASE
Thomas, älter PETER KREMER
Thomas, Kind CLAUDIO MAGNO
Vater JÖRG SCHÜTTAUF
Mutter. ANJA SCHNEIDER
Klaus / Gladow JOEL BASMAN
Sanda IOANA IACOB
Sylvia EMMA BADING
Gerit LUISA-CÉLINE GAFFRON
Erich Honecker JÖRG SCHÜTTAUF
Regisseur MATTHIAS BUNDSCHUH
Bettina PAULA HANS
Jean ZOË VALKS
Vladimir ADRIAN JULIUS TILLMANNAXAA
Stab
Regie ANDREAS KLEINERT
Drehbuch THOMAS WENDRICH
Abdruck aus dem Presseheft