Bildschirmfoto 2021 11 13 um 23.48.04Das kleine Fernsehspiel, ZDF, Montag in Dezember, Termin schon heute merken! , Teil 2/2

Maryam Zaree

Berlin (Weltexpresso) - "Es gibt Menschen, die haben Jokes und es gibt welche, die haben keine." Das ist vielleicht nicht der beste Satz, der im Zusammenhang mit einer Geschichte über Folter und Gefängnis fallen sollte, aber er erzählt viel über meinen Blick aufs Leben. Er ist auch nicht zynisch. Zynisch ist, dass ich in einem berüchtigten Foltergefängnis, das „Licht“ der Welt erblicken musste. Man könnte jetzt sagen, dumm gelaufen, aber ist doch alles gut gegangen. Meine Eltern haben beide überlebt, ich bin behütet in Deutschland aufgewachsen, bin eine erfolgreiche Schauspielerin geworden und habe trotz allem Jokes. Ende der Geschichte.

In etwa so wurde den ankommenden Flüchtlingen in großen Teilen unserer Gesellschaft begegnet. Sie haben es geschafft, vor Krieg, Armut oder Verfolgung zu fliehen, und jetzt werden sie sich integrieren und schon bald vergessen, was ihnen widerfahren ist. Das entspricht dem Zeitgeist und ist bewährtes Aufstiegsnarrativ. Und dennoch begeben wir uns damit in eine kollektive Verdrängung, die auch Teil deutscher und europäischer Erfahrung ist. Als Gesellschaft müssen wir aber Bedingungen schaffen, in denen über Gewalt, Entrechtung und Misshandlung gesprochen werden kann. Diese Geschichten sind nicht immer schön, sie sind oft brüchig, lückenhaft und unvollständig, aber sie helfen uns, zu verstehen, wie wir miteinander leben wollen und wie eben nicht. Sie sind ein moralischer Kompass in Zeiten, in denen wieder Hand angelegt wird an unseren menschlichen Werten.

Wir müssen also wieder zuhören lernen. Doch die Versehrten können oft nicht sprechen oder erst Jahrzehnte später. Manchmal sind es auch erst ihre Kinder, die berichten können von dem Versehrtsein ihrer Eltern und selbst ihnen hat es oft die Sprache verschlagen. Das bringt uns zurück zum Humor, diesem Schelm und Lebensretter, der eine Annäherung an das Schrecken ermöglicht - ist er doch das Ying für das Yang oder so ähnlich.

Dieser Film ist mein Lebensprojekt, nicht mehr und nicht weniger. Doch das letzte, was ich je wollte, war einen Film über mich selbst zu machen. Als ich mit der Recherche begann, wollte ich eine Geschichte über die Kinder des Evin Gefängnisses erzählen. Ich wollte sie suchen und verstehen, wie die Verfolgung ihrer Familien ihr Leben bestimmt hat. Bei einem Development Programm in Schweden wurde ich von einem Dramaturgen gefragt, wieso ich in meinem Film nicht vorkomme. Ich fand die Frage absurd und sie offenbarte doch eine tiefe Wahrheit. Ich wollte erzählen, aber ich wollte nicht dorthin gehen, wo es wehtut. Ich dachte, indem ich über die anderen erzähle, wird schon deutlich, was mein Anliegen ist und ich kann mir den Vorwurf einer therapeutischen Selbstsuche ersparen. Doch die Wahrheit ist, ich schwieg einfach weiter, wie meine Mutter. Ich spürte, ich muss erzählen, aber ich wusste nicht wie. Wie sollte ich denn auch erzählen über die Dinge, für die es bis heute keine Worte gibt. Mit der Zeit reifte in mir die Erkenntnis, dass in dem Mut, sich den eigenen mikrokosmischen Tabus zu stellen, Universalität verborgen liegt. Dass ich so über das Menschsein erzählen kann und genauso vielleicht Menschlichkeit zurückgewonnen werden kann. Die Kinder von Evin sind natürlich weiter da, sie sind meine Verbündeten auf meiner Reise zu den Geheimnissen der Vergangenheit. Die Vorrausetzung für meine Reise und für einen großen Film ist aber Tapferkeit und die findet sich manchmal eben dort, wo die Angst wohnt.

Ich bin so weit, die Geschichte von Maryam, ihrem Vater Kasra und ihrer Mutter Nargess zu erzählen - drei Überlebende, deren Würde verletzt wurde und die trotzdem "Ja" zum Leben sagen und ihren Humor nicht verloren haben, obwohl manche Wunden nicht heilen können.

Auszeichnungen (Auswahl)

Biografie Maryam Zaree

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