Bildschirmfoto 2021 11 18 um 01.17.01Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 18. November 2021, Teil 10

Karin Schiefer

Berlin/Wien (Weltexpresso) - War es wichtig, in einem echten Gefängnis zu drehen, wie Sie es gemacht haben?

SEBASTIAN MEISE: Die Zellen hätten wir natürlich im Studio nachbauen können, aber ich mag die Arbeit im Studio nicht, sie ist steril und abstrakt. Insofern finde ich den Dreh an Original-Locations essentiell, auch wenn er in unserem Fall mitunter kräftezehrend war. Im Winter war es kalt, die Zellen waren eng und muffig und die Distanzen in diesem riesigen Gebäude groß. Das hat für die Atmosphäre, die wir erzeugen wollten, aber auch geholfen. Wenn man wochenlang auf kleinstem Raum miteinander arbeitet, entsteht unweigerlich eine Intimität, die für unsere Geschichte enorm wichtig war. Dieser Ort, die Schicksale, die sich dort zugetragen haben, hatten oftmals etwas Bedrückendes und dadurch auch etwas Verbindendes. Ich glaube, dass die Umstände, unter denen ein Film entsteht, letztlich immer auf die ein oder andere Weise sichtbar werden. Das zuzulassen, finde ich wesentlich.


Wo haben Sie das Gefängnis gefunden?

SEBASTIAN MEISE: Fündig wurden wir im Osten Deutschlands. Da gab es zu dem Zeitpunkt, an dem wir suchten eine Menge alter leerstehender Gefängnisse. Das waren vielfach ehemalige DDR-Gefängnisse, die jetzt schrittweise abgerissen oder zu Gedenkstätten ausgebaut werden. Das Gefängnis, für das wir uns letztlich entschieden, verfügte über die typische Architektur für die Zeit, in der der Film spielt, mit offenem Mittelgang, der sich über alle Stockwerke erstreckt und ermöglicht, dass ein einziger Wärter mehr oder weniger den gesamten Überblick hat. Die Bauweise stand für eine Gesellschaft, die die allumfassende Überwachung anstrebte: Ein Motiv, das in unserem Film immer wiederkehrt. Kameras hinter Spion-Spiegel, Gucklöcher an den Zellentüren und Inspektionen mitten in der Nacht... Unsere Figuren stehen unter ständiger Beobachtung und werden dennoch nicht müde, sich ihre Freiräume zu erkämpfen.


Haben Sie von Anfang an an Franz Rogowski und Georg Friedrich für die Besetzung der Hauptrollen gedacht?

SEBASTIAN MEISE: Sie waren noch während der Arbeit am Drehbuch meine Traumbesetzung, und vermutlich hätten wir diesen Film ohne sie gar nicht machen können. Franz und Georg haben eine enorme Leidenschaft für das Schauspielen. Sie sind beide einzigartig, unprätentiös und geben sich gänzlich ihren Figuren hin. Franz hat vom ersten auf den zweiten Drehblock an die zwölf Kilo abgenommen, und Georg saß jeden Tag ab fünf Uhr Morgens in der Maske und hat sich seinen Körper mit misslungenen Tattoos und sein Gesicht mit Pockennarben bekleben lassen. Beide investieren viel, sind extrem genau und fordern dasselbe von der Regie. Das macht die Arbeit so intensiv. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass zwischen den Beiden eine ganz besondere Energie entstehen könnte, die jetzt letztlich das Herz dieses Films ist. Ich glaube, ich kann für sie beide sprechen, dass sie sich gegenseitig sehr schätzen – und eine der Hauptaufgaben der Inszenierung war es, die Chemie, die zwischen ihnen als Schauspieler und als Menschen besteht, so gut wie möglich einzufangen. Auch Anton von Lucke als Leo und Thomas Prenn als Oskar waren sehr wichtig für diesen Film. Sie vervollständigen diesen wundervollen Cast, den ich wirklich sehr liebe.


Es gibt im Film die eindrückliche Szene, wie Viktor mit groben Stichen die KZ-Nummer an Hans‘ Arm übertätowiert. Wie haben Sie versucht, die Zeitreise Ihres Films vom Kriegsende 1945 bis Ende der 60er Jahre filmisch in den Blick zu nehmen?

SEBASTIAN MEISE: Dass die nationalsozialistische Bürokratie auch nach dem Krieg noch weitgehend in ihren Ämtern blieb, ist allgemein bekannt. Was im Fall der Verfolgung von Homosexuellen für mich völlig neu war, ist die Rolle der Alliierten. Da sie in ihren eigenen Ländern ähnliche Gesetze hatten, war es für sie offenbar rechtens, dass schwule Männer im Dritten Reich gefoltert und ermordet wurden. Das ergab dieses völlig verrückte Bild: Ein überlebender KZ-Häftling wird nach Kriegsende in ein Gefängnis überstellt und muss dort Hakenkreuze von Uniformen reißen. Für ihn hat sich nichts verändert. Ein System hat das andere abgelöst, und er ist immer noch illegal. Sein einziger Verbündeter wird sein Zellengenosse, ein verurteilter Mörder, der ihm mit einer bewegenden Geste neuen Mut macht. Gute zehn Jahre später hat sich der Vollzug bereits verändert. Im deutschen Wirtschaftswunder werden die Gefängnisse modernisiert, der Schimmel von den Wänden gekratzt, Sanitäranlagen installiert und das Nazi-Personal abgelöst durch dienstwillige Wärter, die daran glauben, Menschen durch harte Strafen bessern zu können. Unser Protagonist ist weiterhin illegal, und er ist es auch noch weitere zehn Jahre später, als die Große Strafrechtsreform bereits vor der Tür steht und der Resozialisierungsgedanke langsam den Vollzug erreicht.


Wie haben Sie mit Ihrer Kamerafrau Crystel Fournier die Rolle des Lichts und die visuelle Sprache des Films festgelegt?

SEBASTIAN MEISE: Grundsätzlich war uns klar, dass wir in jedem Bild bei unseren Figuren bleiben müssen. Der Film lebt von unseren Schauspielern, das ist in einem Setting, das wenig Abwechslung bietet, das einzig Interessante. Ein großes Anliegen war natürlich, das Gefühl des Eingesperrtseins zu erzeugen. Das schafft man letztlich nur, wenn man die Körper in einen Bezug zum Raum setzt. Eine der Grundfragen war, wie wir in den engen Gefängniszellen immer wieder die nötige Distanz zu unseren Darstellern schaffen können. Das konnten wir dadurch lösen, indem wir kleinere Zellen mit Stellwänden in größere hineingebaut haben. In der Auflösung haben wir uns stark an die emotionalen Stadien unserer Figuren in den jeweilige Zeitebenen orientiert. Die etwas höher aufgelösten 40er Jahre, die bewegteren, dynamischeren 50er und schließlich die 60er, in denen unsere Figuren und auch der Film zur Ruhe kommen.

Was ich an Crystel Fournier sehr schätze, ist die Einfachheit, mit der sie auf allen Ebenen arbeitet. Ihr Licht hat immer eine Logik und einen starken Bezug zur Realität. Eine einzelne Lichtquelle, ob eine Neonröhre oder eine Glühbirne, die hart von der Decke leuchtet, kann eine enorme Schönheit haben, weil es in der Regel das ist, was uns tagtäglich umgibt. Das perfekte Licht, bei dem alles weich und ausgewogen ausgeleuchtet ist, kennen wir letztlich nur aus dem Film. Ähnlich ging Crystel auch mit den Farben um, weil die Welt des Kunstlichts voller unterschiedlicher Temperaturen ist. Das verleiht dem Film eine Buntheit, die zu unserer Geschichte passt und die grau-blaue Gefängniswelt mit Leben füllt.


Welche Rolle kommt der sehr akzentuiert eingesetzten Musik in Ihrem Film zu?

SEBASTIAN MEISE: Nils Petter Molvær und Peter Brötzmann sind zwei meiner Lieblingsmusiker und ich bin sehr glücklich, dass ich beide für unseren Film gewinnen konnte. Ich sah diesen Film immer als eine Gratwanderung zwischen zwei Genres, dem Gefängnisdrama und dem Liebesfilm. Da gibt es die Rohheit und Hässlichkeit des Vollzugs und darin unsere Figuren, die versuchen, ihrem Leben einen tieferen Sinn zu geben, den sie einzig und allein in der Zärtlichkeit des Zwischenmenschlichen finden können.

Je weniger Musik man verwendet, desto mehr fällt auf, wenn sie fehlt. Die Leerstellen sollten demnach für das Gefängnisdrama mit all seiner Kargheit und Härte stehen. Was aber – um sich immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass man hier einen Liebesfilm sieht – mit der hingebungsvollen SoloTrompete von Nils Petter Molvær regelmäßig gebrochen wird. Der Free Jazz von Peter Brötzmann am Ende steht für die Dekonstruktion, gleich einer kathartischen Entladung. Und natürlich darf auch ein Liebeslied am Ende nicht fehlen.


Sie haben Ihrem Film den Titel „Große Freiheit“ gegeben. Was ist Ihr Begriff von Freiheit?

SEBASTIAN MEISE: Der Begriff der Freiheit ist mir ehrlich gesagt zu groß, als dass ich ihn fassen könnte. Mit Sicherheit sagen kann ich aber, dass es mir völlig schleierhaft ist, wie man Liebe kriminalisieren kann. Der Paragraph 175 war nicht nur inhuman, sondern auch verfassungswidrig. Der Staat wollte über Jahrzehnte hinweg nicht einsehen, dass er gegen diejenigen Menschenrechte verstoßen hatte, die er eigentlich verteidigen sollte. Diese Geisteshaltung spüren queere Menschen nicht selten auch heute noch. In unseren freien Demokratien scheint der Kampf nach Gleichberechtigung zwar weitgehend ausgefochten, die Rückkehr eines derartigen Paragraphen vorerst unwahrscheinlich, wenn man aber davon ausgeht, dass die Geschichte einer Kultur voller zyklischer Wiederholungen ist, wird einem bewusst, wie fragil dieses Gut ist. Die jüngsten Entwicklungen in Ungarn und Polen zeigen das. Natürlich kann man diesem ständigen Kampf nach Anerkennung auch irgendwann überdrüssig werden und schafft sich dann lieber Parallelwelten, in denen man die Freiheit findet, die einem zusteht. Da wird der Begriff der Freiheit und auch der der Liebe dann ein sehr persönlicher. Unsere Hauptfigur Hans findet die Liebe ausgerechnet im Gefängnis. Und das ausgerechnet mit einem verurteilten, anfangs offen homophoben Mörder. Im Laufe der Arbeit an diesem Film bin ich immer wieder Leuten begegnet, die das Bedürfnis hatten, die Beziehung von Hans und Viktor zu definieren. Aber ist das wirklich wichtig? Brauchen wir denn für alles eine Kategorie? Diese beiden Menschen teilen etwas Tiefes und begegnen sich in ihrer Sehnsucht nach Liebe und Freiheit. Eine Sehnsucht, die, so stark die Unterdrückung auch sein mag, meiner Meinung nach immer einen Weg finden wird.

Foto:
Sebastian Meise
©Verleih

Info:
Darsteller
Franz Rogowski, Georg Friedrich, Anton von Lucke, Thomas Prenn

Stab
Drehbuch: Thomas Reider, Sebastian Meise
Regie Sebastian Meise
Bildgestaltung Crystel Fournier

Interview: Karin Schiefer imJuni 2021
Abdruck aus dem Presseheft