Thomas Reider
Berlin/Wien (Weltexpresso) - Ich bin schwul.“ Lange hat es gedauert, das so zu sagen. Ungestraft. „Du und auf der Flucht?“ – „Bin ich schon mein ganzes Leben!“ Solche Dialoge klingen nur im Kontext eines Gefängnisfilms pointiert. 123 Jahre lang kriminalisierte der Paragraph 175 homosexuelle Männer – lesbische Liebesbeziehungen werden im Gesetzestext nicht erwähnt.
EINE KURZE HISTORIE DES §175 IN WESTDEUTSCHLAND
Strafen von bis zu zehn Jahren Gefängnis wurden verhängt. Allein in der Bundesrepublik Deutschland wurden in der Nachkriegszeit 100.000 Männer vor Gericht gestellt. Der Paragraph ermöglichte es, Liebesbriefe abzufangen, sie zu konfiszieren, dem Gericht als Beweismittel vorzulegen, Kameras hinter Spiegeln zu installieren um in die letzte Privatheit der Männer vorzudringen und deren Intimsphäre der Öffentlichkeit zur Schau zu stellen. Ein Szenario, das an George Orwells 1984 erinnert. Überwachung, Erpressung, Denunziation, Folter und Mord. Wenn nicht von der Justiz vollstreckt, wie im Dritten Reich, so von ihr gedeckt, in der Zeit danach.
Der §175, der mehreren Generationen homosexueller Männer einen Namen gab – ein 175er war ein Schwuler – wurde nicht etwa übersehen, er wurde über die Jahrzehnte hinweg immer wieder aufs Neue begutachtet, beglaubigt und bekräftigt. So bedeutete die Befreiung durch die Alliierten für Homosexuelle nicht Freiheit. Der von den Nazis verschärfte Paragraph 175 (*1872) wurde unverändert vom Nachkriegsdeutschland übernommen und KZ-Häftlinge geradewegs in Gefängnisse verbracht, um ihre rechtmäßige Reststrafe abzusitzen. Es ist kaum verwunderlich, dass die Schwulen der 1950er und 1960er Jahre wenig empathisch und kaum öffentlichkeitswirksam auftraten. Homosexuell zu sein, war schon kriminell. Und bis 1992 offiziell eine psychische Krankheit.
Erst 1969 fällt das Totalverbot der Homosexualität. Doch es würde noch weitere 25 Jahre dauern, bis der Paragraph 175 endgültig im Jahr 1994 aus den deutschen Gesetzbüchern verschwindet. Eine Rehabilitierung der 175er-Nachkriegsopfer passierte in Deutschland am 22. Juli 2017. Benachteiligungen, Stigmatisierung, Kriminalisierung, Ächtung, Bestrafung, Tötung von Homosexuellen herrschen je nach Geografie weiterhin vor: Weltweit steht Homosexualität in einem von drei Ländern unter Strafe.
Info: Thomas Reider hat zusammen mit Regisseur Sebastian Meise das Drehbuch des Films erstellt.
DER §129 IN ÖSTERREICH
Sexuelle Beziehungen zwischen Frauen und solche zwischen Männern waren in Österreich bis 1971 zur Gänze verboten. Die sogenannte „Unzucht wider die Natur mit Personen desselben Geschlechts“ wurde nach den §§ 129 und 130 des Strafgesetzes 1852 mit schwerem Kerker bis zu fünf Jahren bestraft. Zwischen 1920 und 1938 war Österreich, auf die Gesamtbevölkerung bezogen, bei der Anzahl der Verurteilungen europaweit führend.
Strafen von bis zu zehn Jahren Gefängnis wurden verhängt. Allein in der Bundesrepublik Deutschland wurden in der Nachkriegszeit 100.000 Männer vor Gericht gestellt. Der Paragraph ermöglichte es, Liebesbriefe abzufangen, sie zu konfiszieren, dem Gericht als Beweismittel vorzulegen, Kameras hinter Spiegeln zu installieren um in die letzte Privatheit der Männer vorzudringen und deren Intimsphäre der Öffentlichkeit zur Schau zu stellen. Ein Szenario, das an George Orwells 1984 erinnert. Überwachung, Erpressung, Denunziation, Folter und Mord. Wenn nicht von der Justiz vollstreckt, wie im Dritten Reich, so von ihr gedeckt, in der Zeit danach.
Der §175, der mehreren Generationen homosexueller Männer einen Namen gab – ein 175er war ein Schwuler – wurde nicht etwa übersehen, er wurde über die Jahrzehnte hinweg immer wieder aufs Neue begutachtet, beglaubigt und bekräftigt. So bedeutete die Befreiung durch die Alliierten für Homosexuelle nicht Freiheit. Der von den Nazis verschärfte Paragraph 175 (*1872) wurde unverändert vom Nachkriegsdeutschland übernommen und KZ-Häftlinge geradewegs in Gefängnisse verbracht, um ihre rechtmäßige Reststrafe abzusitzen. Es ist kaum verwunderlich, dass die Schwulen der 1950er und 1960er Jahre wenig empathisch und kaum öffentlichkeitswirksam auftraten. Homosexuell zu sein, war schon kriminell. Und bis 1992 offiziell eine psychische Krankheit.
Erst 1969 fällt das Totalverbot der Homosexualität. Doch es würde noch weitere 25 Jahre dauern, bis der Paragraph 175 endgültig im Jahr 1994 aus den deutschen Gesetzbüchern verschwindet. Eine Rehabilitierung der 175er-Nachkriegsopfer passierte in Deutschland am 22. Juli 2017. Benachteiligungen, Stigmatisierung, Kriminalisierung, Ächtung, Bestrafung, Tötung von Homosexuellen herrschen je nach Geografie weiterhin vor: Weltweit steht Homosexualität in einem von drei Ländern unter Strafe.
Info: Thomas Reider hat zusammen mit Regisseur Sebastian Meise das Drehbuch des Films erstellt.
DER §129 IN ÖSTERREICH
Sexuelle Beziehungen zwischen Frauen und solche zwischen Männern waren in Österreich bis 1971 zur Gänze verboten. Die sogenannte „Unzucht wider die Natur mit Personen desselben Geschlechts“ wurde nach den §§ 129 und 130 des Strafgesetzes 1852 mit schwerem Kerker bis zu fünf Jahren bestraft. Zwischen 1920 und 1938 war Österreich, auf die Gesamtbevölkerung bezogen, bei der Anzahl der Verurteilungen europaweit führend.
Im „Dritten Reich“ entsprach die Rechtsprechung dem verschärften §175 und die Verurteilungen erreichten einen neuen Höhepunkt. Nach 1945 wurde wie vor 1938 weitergemacht. Die kleine Strafrechtsreform 1971 schaffte zwar das Totalverbot ab, ersetzte dieses aber durch neue Bestimmungen: dem Verbot homosexueller Prostitution, dem Verbot von ‚Werbung‘ für Homosexualität und dem Verbot solcher Kontakte vor dem 18. Lebensjahr. (Im heterosexuellen Vergleich liegt das Schutzalter bei 14 Jahren.)
Diese weiterlaufenden Diskriminierungen wurden erst 1997 bzw. 2002 aufgehoben. 2004 wird schließlich die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung gesetzlich verboten. Homosexuelle werden nicht mehr vom Militärdienst ausgeschlossen. 2010 wird die eingetragene Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt. Die gleichgeschlechtliche Ehe ist in Österreich seit 1. Januar 2019 möglich, wobei auch hier wieder eine binationale Eheschließung erst erkämpft werden musste
DER §175 IN DER DDR
Diese weiterlaufenden Diskriminierungen wurden erst 1997 bzw. 2002 aufgehoben. 2004 wird schließlich die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung gesetzlich verboten. Homosexuelle werden nicht mehr vom Militärdienst ausgeschlossen. 2010 wird die eingetragene Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt. Die gleichgeschlechtliche Ehe ist in Österreich seit 1. Januar 2019 möglich, wobei auch hier wieder eine binationale Eheschließung erst erkämpft werden musste
DER §175 IN DER DDR
Nach anfänglichen Lockerungen Rückkehr zum §175 in der bis 1935 gültigen Fassung, wobei es in der Praxis selten zu Inhaftierungen kam. 1958 wird die Strafverfolgung im §8 des Strafergänzungsgesetztes de facto außer Kraft gesetzt. Im DDR-Strafgesetzbuch von 1968 wird der §175 durch den §151 ersetzt, der nur noch homosexuelle Handlungen eines Erwachsenen mit einem Jugendlichen unter Strafe erstellt. Im Dezember 1988 wird auch der §151 ersatzlos gestrichen.
Foto:
©lsvd.de
Info:
Darsteller
Franz Rogowski, Georg Friedrich, Anton von Lucke, Thomas Prenn
Stab
Drehbuch: Thomas Reider, Sebastian Meise
Regie Sebastian Meise
Bildgestaltung Crystel Fournier
Abdruck aus dem Presseheft
Foto:
©lsvd.de
Info:
Darsteller
Franz Rogowski, Georg Friedrich, Anton von Lucke, Thomas Prenn
Stab
Drehbuch: Thomas Reider, Sebastian Meise
Regie Sebastian Meise
Bildgestaltung Crystel Fournier
Abdruck aus dem Presseheft