Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ein starker Eindruck. Warum kannte ich den Film überhaupt nicht, mußte ich mich dann fragen, denn Filme über Filme sind sowieso interessant, aber dann ein Unterfangen, wie es Fellini unternahm und was gelang!!!, einen Film über einen Film über einen Film zu drehen, das ist eine starke Leistung. Aber zum starken Eindruck gehört auch die unprätentiöse Figur des Regisseurs selber, der ja sein geheimer Hauptdarsteller ist, was man immer dann merkt, wenn es im Aufnahmeort CINECITTÀ wieder drunter und drüber geht und allein sein Erscheinen das Chaos in Bahnen lenkt?
Spielt er hier die Rolle eines Regisseurs oder spielt er sich selber?, diese Frage lag mir auf der Zunge, aber das Gespräch mit Fellinis Mitdrehbuchschreiber und Freund Gianfranco Angelucci fand ja vor dem Film statt. Dies ist nämlich eine interessante Frage und ich beantwortete mir sie dann selbst, daß er wohl so gespielt hat, wie er als Regisseur gerne gewesen wäre (oder eben auch war), daß alles wie von selbst geht, wenn er den gütigen Blick darüber wirft oder auch einmal die harsche Anweisung gibt.
Wir sehen also den Dreharbeiten von einem Film zu, über den wir weiter nichts erfahren, als daß es ein Dokumentarfilm werden soll zum 50. Geburtstag von Cinecittà; wir sehen nur Szenen eben, aber es interessiert einen auch gar nicht, wie der Film werden soll, weil das Drehen selbst einen so viel mehr interessiert, bzw. das Nichtdrehen, denn INTERVISTA zeigt eben auch, welche logistische Leistung es ist, daß überhaupt Filme zustandekommen. In Italien erst recht, wie es das Vorurteil völlig falsch suggeriert, denn der italienische Film ist von Anfang an einer der stärksten, vor Lebendigkeit pulsierenden in der Welt. Wir kommen im Film auch vor, allerdings in der Rolle japanischer Filmjournalisten, einem Fernseteam, die Fellini interviewen wollen und auch dürfen. Die stellen ihm also Fragen, die wir auch gestellt hätten und Fellini beantwortet sie, wenn er kann, aber zwischendurch muß er ja seiner Hauptbeschäftigung nachgehen, den Film drehen.
Das ist so fein gesponnen, wie nicht zerronnen, den diese Konstruktion der Fragenden ist das szenische Gerüst, das alles zusammenhält. Es sind wie die meisten Filme von Fellini eine Abfolge von Episoden, denen wir zuschauen, so wie es ist an einem Drehort, wo zwar die Kamera das Geschehen fokussiert, wo aber drumherum tausend andere Sachen gleichzeitig passieren, Episoden also, der unsere Kamera, also nicht die, die den imaginären Film aufzeichnet, sondern die, die INTERVISTA aufnimmt, folgt. Da gibt es den Ausflug mit der Straßenbahn, da gibt es verschiedene Geschichten, aber der Höhepunkt ist leicht auszumachen.
Höhepunkt ist eindeutig das Treffen von Fellini mit seinem Hauptdarsteller seines Welterfolgs LA DOLCE VITA, also Marcello Mastroianni, der als alternder Gigolo köstlich sich eben nicht selber spielt, nicht Mastroianni, aber seine Rolle in der Welt und die als Marcello aus dem berühmten Film, und dann als Gipfel: das Zusammentreffen der beiden mit und bei Anita Ekberg, die in Rom in einer mit Hunden gesicherten, total verrammelten Villa lebt und eigentlich niemanden hereinläßt, auch nicht den berühmten Regisseur. Es sei denn, er geht selber an die Sprechanlage und sagt. „Ich bin‘s. Federico.“ „Welcher Federico“, blafft sie ihn daraufhin an. Pause. Er erklärt sich ihr und sie antwortet: „Du warst mit mir 19?? verabredet“, und öffnet. Die ganze Zeit spürt man den Film über eine liebevolle Ironie zum Geschehen am Set, so auch hier, ein sich auf menschliche Weise Lustigmachen über die eigene Rolle als Regisseur, die man im Leben so vieler spielen mußte.
Man könnte jetzt Stunden über Fellinis Wirkung in diesem Film schreiben, auch seine Auftritte, die immer mit dem kurzen Mantel, der damals modisch war, und Hut ihn als einen, der unterwegs ist, zeigen. Er bringt in alles Bewegung und ordnet gleichzeitig das Chaos. Er beantwortet die Fragen der Japaner, bekräftigt gleichzeitig die Kulissenschieber in ihrem Eifer oder antwortet nebenbei auf die Kostümfragen, ganz abgesehen von den Schauspielern, die sich um ihn scharren und tausend Fragen beantwortet haben wollen.
Aber zurück zur Villa der Ekberg, die sich dann doch öffnete und ein herzzerreißendes Schauspiel zweier Gealterter zeigt, die per Film einst auf einige Stunden ein großes Liebespaar sein mußten, sein durften. Anita Ekberg hat sich im Gesicht sehr viel besser gehalten, denkt man, aber die Figur!? Die sieht man nicht, die ahnt man. Das ist meiner Meinung nach wunderbar gelungen, eine Göttin von einst (1960) auch heute (1987) als Göttin wirken zu lassen. Die langen blonden Haare, ein Statussymbol, sind das Einende, aber die schwedische Schauspielerin ist gleichzeitig so prall, daß ihre helle Haut glatt wirkt. Um sie herum sind Segel gespannt, nein, natürlich nicht, aber immer bedeckt ein Badetuch, ein Laken, eine ?...ihre Figur vom Brustansatz bis zu den Knien. Höflich.
Das ist wichtig, denn so eine Szene hätte ja auch zur Karikatur verkommen können, wenn die Drei nun in der Villa in Farbe auf aufgespannter Leinwand die berühmtesten Szenen aus LA DOLCE VITA anschauen, natürlich auch die Badeszene im Brunnen in Schwarzweiß und sich auf dies und jenes aufmerksam machen, ganz abgesehen davon, daß sie sich auch die 27 Jahre später gegenseitig versichern, wie damals auszusehen. Das ist ein magischer Moment in diesem Film, und wenn der ganze Film nur aus den Szenen in der Villa bestünde, wäre er schon ein Kunstwerk für sich.
Es fällt einem wohltuend das Schwarzweiß auf, denn INTERVISTA ist ein Farbfilm, doch LA DOLCE VITA ist in wunderbaren schwarz-weißen Bildern sofort als Vergangenheit kenntlich. Das gilt auch für die Eingangsszene des Films von 1960, der in INTERVISTA auch zitiert wird und den gleichen humoristischen Effekt bewirkt, wo immer man die Szenen sieht: wie ein kleinerer Hubschrauber eine überlebensgroße Christusfigur mit ausgebreiteten Händen über Rom fliegt, dem ein größerer Hubschrauber folgt, in dem die Paparazzi sitzen.
Es ist eine irrsinnige Welt, der Fellini liebevoll einen Spiegel vorhält. Einen sehr menschlichen Spiegel. Wie sehr Fellinis Spielfilme auch Dokumente der Zeit sind, fällt einem erst mit dem Abstand von Jahrzehnten auf. Fellini als Chronist. Und noch etwas ist auffällig, was auch für Dolce Vita gilt, man verläßt das Kino mit Wehmut im Herzen. Dazu noch mehr demnächst.
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© Verleih
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