fellini 4 zud rittVERSO SUD 21 im Frankfurter Deutschen Filminstitut & Filmmuseum (DFF), Teil 4

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Zutreffender müßte man sagen, die Antworten, die Gianfranco Angelucci auf die Fragen von Franco Montini zum Komplex FELLINI gab und von denen man erst im Nachhinein beurteilen konnte, wie geschickt die Fragen sowohl die Arbeitsweise von Fellini wie auch dessen Person und Lebensweg in Antworten erzwang. Allerdings mußte man Angelucci nicht lange bitten, über die jahrzehntelange Zusammenarbeit mit Fellini zu sprechen. Sein Herz ist voll, seine Erinnerung ungebrochen und er war wirklich ab irgendwann immer an seiner Seite!

Er selbst gibt gerne die Bezeichnung weiter, er sei Fellinis Mädchen für alles gewesen, weil er wirklich die Vertrauensperson für Fellini geworden war, von dem dieser dann auch die Erledigung all der Dinge erwartete, die den reibungslosen Ablauf beim Drehen garantieren. Seine jahrzehntelange kollegiale Zusammenarbeit und die persönliche Freundschaft befähigten ihn dann auch, all die Bücher über Fellini zu schreiben, so daß er als besonderer Experte gilt. Für den am Eröffnungsabend folgenden Film INTERVISTA (1987) hat er zusammen mit Fellini das Drehbuch verfaßt.

Eine der beiden Hauptlegenden sei, daß Fellini seine Filme ohne Plan, ohne Konzept gedreht hätte. Mitnichten. Aber richtig ist, daß er das Drehbuch situativ abänderte, wenn dies ihm zwingend erschien. Fellini habe gesagt: „Nach ein- zwei Wochen bin ich nicht der Regisseur von diesem Film, sondern der Film ist der Regisseur von mir!“ Ein schönes Bonmot.

Doch Montini gab nicht auf und wollte mehr zu den situativen Änderungen hören. Naja, meinte Angelucci, es habe grundsätzlich ein Drehbuch gegeben, das Fellini aber eher als Entwurf behandelt hätte. Bei den Dreharbeiten hätte es schon damals einen Computer gegeben, mit dem Fellini alle Eindrücke festhielt, mit INTERVISTA wollte er das Ambiente von Cinecittà festhalten und das, was ihm bei den Dreharbeiten auffiel. Es stimme, daß dieser Film wie ein Dokumentarfilm wirke, aber es sei ein Spielfilm. Grundsätzlich hatte Fellini zu Filmen die Position: ein Kino der Wahrheit gibt es nicht. Aber ein Kino der Lügen. Auch die Dokumentarfilme. Aber damit meinte er nicht Dokumentationen, wie auch TV-Sendungen, die erzählen, was auf einem Set passiert, sondern seine Filme.

So habe Fellini in INTERVISTA auch echte Erlebnisse während vergangener Drehsituationen hineingenommen, wie der junge Mann, der von Erinnerungen als Luft spricht. Er habe echten Erlebnissen im Skript dann andere Namen gegeben. So habe er auch seine eigenen Erfahrungen verarbeitet, aber den Handelnden andere Namen gegeben. Schon in ROMA habe er sich gezeigt, spätestens seit 8 ½ war das Erinnern sein Prinzip, wie auch die Verwicklungen von Filmen in Filmen. INTERVISTA sei ein Dreifach-Salto, wie in jener Szene, wo er mit den Schauspielern über den gleich kommenden Dreh spricht, der dann aber schon fertig im Anschluß daran gezeigt wird.

So habe Fellini erzählt, er habe heute Nacht geträumt, daß er in Cinecittà sei; er sei älter gewesen, schwerer, aber er habe über der ganzen Szenerie geschwebt, alles von oben gesehen – und tatsächlich findet man im Film viele Aufnahmen von oben, Luftaufnahmen. Die suggerieren erst recht, daß man etwas Realistisches sehen, aber bei Fellini dürfe man nichts, gar nichts für reine Wirklichkeit halten, es sei alles Artefakt, alles eine ‚Lüge‘.

So auch die Schauspieler, denn in diesem Film habe Fellini diejenigen, die sonst hinter der Kamera stehen, nach vorne, vor sie gezwungen. Sie spielen Rollen, nur Anita Ekberg und Marcella Mastroianni spielen sich selbst, was ja auch nicht ganz stimmt, sie spielen die jeweiligen Schauspieler. Fellini will definitiv zeigen, daß, wenn erst einmal erzählt wird, alles nicht mehr echt, sondern zur Fiktion wird.

Im gewissen Sinn ist INTERVISTA Fellinis Vermächtnis, denn es ist ein Film von ihm, über sich, mit sich als Hauptdarsteller und es folgte nur ein anderer Film, als Fellini sehr plötzlich am 31. Oktober 1993 an Herzversagen stirbt, im selben Jahr hatte er als fünften Oscar, den Ehrenoscar erhalten. Angelucci meint, daß Fellini schon lange wußte, daß ihm nicht viel Zeit bliebe. Er liebte das Leben, er liebte schöne Frauen, die Liebe an sich, in Interviews spricht er davon, daß man auf Erden leben müssen, denn man können nichts in den Tod mitnehmen. Ihm habe er über die Filme gesagt: „Wir machen Häuser ohne Dächer!“ Sein Zorn richtete sich gegen das Fernsehen, das den Film zerstöre. Er habe dies mit dem Einfall der Indianer ausgedrückt, die nicht Pfeil und Boden trugen, sondern Antennen.

Montini hatte auch nach dem Stellenwert der Filmstadt Cinecittà für Fellini gefragt. Sie sei ihm alles gewesen, sein Leben, seine Luft. Er habe es wie ein Puppentheater aufgezogen, wie Marionetten sind die Schauspieler in allen Szenen quasi choreographisch unterwegs. Fellini sei ein hoffnungsvoller Lügner gewesen, der alle mit falschen Angaben über sich versorgt habe. Andererseits habe er sein Leben öffentlich gemacht und über seine Lügen niemanden im Unklaren gelassen. Als er einmal einen Journalisten auf der Via Veneto getroffen habe, der seit sechs Monaten mit ihm ein Interview habe machen wollen, habe dieser empört gesagt, Du hast mir für heute abgesagt, weil Du in Hongkong seiest, bist aber hier. Fellini habe ihn beschwichtigt: „Nein, nein, Du bist in Rom, ich bin in Hongkong.“

Er sei grundsätzlich ein Spieler gewesen, ein Dauerspieler, ein Rumspinner, ein Humorist mit tiefer Menschlichkeit; er hatte übrigens als Karikaturist angefangen und konnte hämisch sein. Nein, es gäbe heute keinen einzigen Regisseur, den man als seinen Nachfolger oder Erben bezeichnen könne. Er war einzigartig, man kann ihn nicht nachahmen, einfach originär. Er habe auch keine Filmschule gegründet, aber es gäbe sehr viele Filmleute, die sich an ihm orientieren. Grundsätzlich habe er die Freiheit als unabdingbar für Regiearbeiten gehalten und mußte damit zurechtkommen, daß er Kritik sowohl von rechts wie von links bekam. Unter Kritiken, die seine Filme ablehnten, habe er sehr gelitten. Er wollte verstanden werden. Er sei ein Heiliger gewesen und Heilige können Wunder bewirken und Regisseure solche Filme drehen.

Sein Ruhm sei in den USA so gestiegen, daß er Angebote für Filme bekam, echte Schinken mit irren Regiegagen in Millionenhöhe und zwei Jahren kostenlosen Recherchearbeiten...Aber darüber habe Fellini nur gelacht. Genauso über die Idee, er wolle einen Film über Dante und seine Höllenfahrt drehen, was sich als Gerücht lange hielt. Absolut nichts dahinter, das wäre das Letzte gewesen, was ihn als Film interessiert hätte.

Zum Schluß kam dann doch noch die Frage nach Fellini und den Frauen. Eine schwierige und einfache Frage zur gleichen Zeit. Giulietta Masina lernte er im Studium kennen, sie heirateten 1943, als er 23 Jahre und sie 21 Jahre alt war. In diesem Jahr ist ihr hundertster Geburtstag gefeiert worden. Ohne sie hätte er nicht leben können. Sie war Halt und Orientierung, sie war unantastbar und spielte ja auch in vielen seiner Filme – mit großem Erfolg. Er hätte sich nie von ihr getrennt, sie war sein Kreativitätsbrunnen. So habe er auch seinen Ehrenoscar noch auf der Bühne an sie weitergegeben, weil sie sein Zentrum gewesen sei. Aber sie, klein und wie eine Ballettänzerin sei bei aller großen Liebe nicht sein Typ Frauen gewesen. Seine Neugier auf Frauen sei unerschöpflich gewesen, imposante, sehr weibliche Frauen, eigentlich komplett das Gegenteil von Giulietta. Er zeichnete die Frauen, mit denen er zusammen war. Daß dies relativ viele waren, sprach Angelucci nicht aus.

Aber zum Abschluß sagte er über Fellini und sich selbst: „Meine Religion ist die Kunst. Fellini ist ihr Priester. Viva Fellini!“

Fotos:
Angelucci, Übersetzerin, Montini
©Redaktion

Info:
Gianfranco Angelucci hat das Drehbuch zu INTERVISTA mitgeschrieben, war ein enger Kollege und langjähriger Freund von Fellini, über den er auch mehrere Bücher verfaßte.

Franco Montini vertritt Made in Italy aus Rom und ist jedes Jahr ein verläßlicher Garant für die Anwesenheit des italienischen Kinos aus Rom bei VERSO SUD.