babylonberlin.euVERSO SUD 21 im Frankfurter Deutschen Filminstitut & Filmmuseum (DFF) , Teil 6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – War das damals so? Diese ausgelassene Feierlaune, dieses Alkoholtrinken, das unaufhörliche Qualmen von Zigaretten, wo die Streichhölzer einfach auf den Boden geworden werden, die ausgetretenen Kippen auch. Eine dekadente römische Stadtgesellschaft, die sich aus Geld und altem Adel zusammensetzte, in herrlichen, aber verfallenden Gebäuden selbst großbürgerliche Ladies im Kleinen Schwarzen zum Striptease brachten. Ja, es war so.

Denn Fellini spitzt nur zu, was vorhanden war und was es in Italien sehr viel stärker als im verbürgerlichten Deutschland zu sehen war. Der letzte Ausbruch einer untergehenden Welt, wo gesellschaftlicher Rang noch vererbt wurde und Namen mehr wert waren als eine kleine Fabrik (kleine Anleihe bei Brecht). Das ist die eine Seite, die andere Seite sind die Paparazzis, die hier fröhlich Urständ feiern, und als Horde sich gegenseitig ausstechen wollender Triebtäter auf der Leinwand ihr Wesen treiben. Ja, das war – vor dem Internet, das auf neue Weise bestimmt , was aktuell ist – die Zeit, wo ein Foto in der Zeitung eine Person aus dem Alltag heraushob, bei mehrmaliger Ablichtung sie zum Kreis der Eingeweihten beförderte und eine gute Beziehung zum angesagten Gesellschaftsreporter die halbe Miete war.

Dieser Gesellschaftsjournalist, wir sagen dazu Klatschreporter, ist Marcello Rubini (Marcello Mastroianni), der es nie so übel meint, wie es dann oft ausgeht. Ein alter ego von Fellini sei das, der selbst als Journalist und Karikaturist angefangen hatte. Ja, aber nicht nur. Es gibt über das Persönliche hinaus damals eine Aufwertung der nach Öffentlichkeit gierenden oberen Gesellschaftsschicht, denen die Reporter geben, was sie brauchen und dem staunenden Volk auch, das das Leben der Reichen und Schönen zumindest in der Zeitung nachverfolgen möchte. Daß das Genre des Journalisten/Fotografenfilms so beliebt war, zeigt auch BLOW UP von Michelangelo Antonioni von 1966, wo zusätzlich das Problem von Sein und Schein zum Thema wird. Das zeigen im übrigen auch deutsche Filme wie Kir Royal mit dem Klatschreporter Baby Schimmerlos, der im nachhinkenden Deutschland zwar erst 1986 herauskommt, übrigens auch einen Reporter mit quengelnder, aber taffer Freundin zeigt, dann aber mit einem derartigen Erfolg gekrönt , wovon heutige Fernsehanstalten nur träumen können. Der Journalistenfilm ist ein eigenes Genre, die Kollegen haben sich jedoch vom damaligen Klatschreporter heute in Politthrillern eher zum Wahrer der Demokratie gegen die mächtigen, verbrecherischen Politiker gemausert.

Aber zurück zu Fellini und seinem Hauptdarsteller. Der ist eigentlich den ganzen Film über wie eine rückspiegelnde Folie unterwegs. Er ist persönlich an eine Frau gebunden, Emma (Yvonne Fourneax), eine Narzißtin, ja Psychopathin, die ihn ständig kontrolliert und mit ihren potentiellen Selbstmord bedroht, ihn dann auch halbherzig versucht, ihm auf jeden Fall ununterbrochen vorwirft, daß er es mit anderen Frauen treibe, worin sie völlig recht hat. Wie erleben ein Paar, in dem sie mit ihren Szenen den Ton angibt, er immer wieder flieht und zurückkommt. Überhaupt hatte sich Marcello das Leben anders vorgestellt. Er wollte Schriftsteller werden und dieser Wunsch durchwabert den Film. Er ist einerseits einer der besten seines Faches, weil die High Society ihn als Berichterstatter ihres feudalen Lebenstils schätzt und gleichzeitig ist er nicht der Betrachter von außen, sondern längst Teil dieser dekadenten Gesellschaft, was ihm aber immer wieder mit Abscheu sich selbst und seiner Rolle gegenüber bewußt wird. Er ist der Melancholiker per se und steckt uns damit gehörig an, denn bei allem liegt Wehmut in der Luft. Das kann nicht nicht ausgehen. 

Irgendwie denkt man beim Zuschauen auf einmal, Marcello ist ein Mann ohne Eigenschaften, der wie im Totentanz den Auskehrer gibt, aber auch selbst daran glauben muß. Man könnte natürlich auch sagen, er geht in seinem Beruf auf, nimmt seine Tätigkeit des Dabeiseins – ein wahrer Adabei – als existentiell wahr: alles für die Aufklärung der Öffentlichkeit. Doch so ist das nicht, er ist nicht ein kritisches Potential, sondern frißt, was vom Tisch der Herrschaft übrig bleibt, wenn ihn die schöne Millionärstochter Maddalena (Anouk Aimée) vernascht, ihn dann aber später zwar anmacht, aber dumm stehenläßt und sich einem anderen hingibt. Er gehört eben doch zum Service der Herrschenden und beherrscht sie nicht, was ja zunehmend die Rolle der Skandalpresse wird. 

Interessant übrigens, daß nicht die Dekadenz des römischen Adels, auffällige Homosexualität – gab es in Italien keinen Paragraphen 175 oder wurde er bei diesen Herrschaften nicht angewandt? - Transvestiten etc., diese in Alkohol und Rauschgift öde endenden Festen den Ruhm von LA DOLCE VITA ausmachen, sondern die Episode – auch hier zeigt Fellini nicht eine durchgehende Handlung, sondern ein episodisches Geschehen analog dem Tages- und vor allem Nachtablauf des Reporters – die wichtigste wurde: das Ankommen und kurz in Rom Verweilen des schwedisch-amerikanischen Hollywoodstars, der Sexbombe Sylvia (Anita Ekberg). Tatsächlich ist sie das Gegenmodell zu den italienischen, vom Leben gezeichneten, verruchten Frauen. Wir erleben eine naive, begeisterungsfähige junge Frau, die vor Vitalität, Entdeckerfreude, ja Lust sich auf das Rom der Zeit einläßt, was in der Szene, die mit der aufgefundenen kleinen Katze beginnt, im Bad in der Fontana di Trevi endet. Sie steigt im tief ausgeschnittenen wallenden schwarzen Kleid in den Brunnen und watet zum Wasserfall, der jäh endet. Vorher hatte sie den verblüfften Marcello zu sich gewunken, der ihr folgt.

Nun ist der spätgotische Trevi-Brunnen um 1750 eigentlich für ganz anderes bekannt, für die Münzen, die man rückwärts hineinwirft und die bedeuten sollen, daß man wiederkommt, was sogar gerade am 31. Oktober die Staats- und Regierungschefs der G20 taten. Doch bei Fellini ist es nicht der Mammon, sondern pure, ja tatsächlich naive Lebenslust, die Sylvia überfällt. Es ist ja auch kein Fotograf dabei, der das festhält, sondern ihr Privatvergnügen. Davon hat sie, wenn man ihren eifersüchtigen, ständig alkoholisierten Ehemann Robert (Lex Barker) betrachtet, eh nicht viel, der sie dann sogar öffentlich ohrfeigt. Zwar ist Sylvia ein Star, aber ihr Ehemann eben doch nur ein ganz gewöhnlicher Mann, der mit dem Erfolg seiner Frau nicht zurechtkommt.

Beim Wiedersehen des Films hat mich eigentlich die positive Rolle, die Sylvia hier spielt, am meisten überrascht. Und dabei kam mir der Gedanke, daß wir ja mit den Filmen altern. Diesn hatte ich als ganz junges Ding gesehen, aber vieles anders in Erinnerung, als ich es jetzt sah, weshalb ich mir fest vorgenommen habe, diesen Film von Zeit zu Zeit wiederanzuschauen. Da geht es mir wie mit Marcel Prousts DIE SUCHE NACH DER VERLORENEN ZEIT, das ich lange jedes Jahrzehnt wiederlas, weil man jedes Mal etwas anderes erlas. Proust ist es auch, der sagte, daß jeder Leser der Leser seiner selbst sei, also das hinein- oder herausliest, was ihn besondern betrifft. Und das ändert sich eben mit den Jahren. Gleiches gilt für Filme, für besondere Filme. LA DOLCE VITA gehört dazu.

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