Redaktion
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wie ist die Idee zum Film entstanden?
Ich hatte Lust, mich mit dem zu beschäftigen, was unsere Identität ausmacht. Die Amerikaner sind Champions auf diesem Terrain. Sie haben das Sternenbanner, den Pioniergeist und den Mythos des Selfmademan. Die Engländer haben ihre Insellage und die Monarchie. Ich wollte darüber nachdenken, wie ein Projekt über die französische DNA aussehen kann. Bei meiner Lektüre bin ich schnell auf die Erfindung des Restaurants gestoßen. Ich wusste, dass ich auf etwas gestoßen war. Alles war da: dieses typisch Französische, sich Zeit zu nehmen, sich hinzusetzen, um zu essen, um mit anderen etwas zu teilen und dann die Zeit der Aufklärung, der Revolution.
Manceron hat zwei Obsessionen: die regionale Küche zu entwickeln und die natürlichen Aromen wiederzuentdecken. War dies damals schon üblich? Oder ist er damit Avantgarde...?
Damals war man immer noch dabei, die Gerichte aus dem Mittelalter zu kochen. Man wiederholte die ewig gleichen Rezepte, Gerichte reich an Gewürzen und Zucker, der in diesen Jahren entdeckt wurde, und die ästhetisch sehr aufwendig waren, mit Federn und Hahnenkämmen. Aber die Mode begann sich zu wandeln und man konzentrierte sich zunehmend auf den ursprünglichen Geschmack der Lebensmittel. Manceron ist Teil dieses Wandels. Er will frisches Gemüse und Gewürze aus dem Garten. Diese regionale Küche interessiert mich unendlich mehr als das Bild des Luxus, mit dem die französische Küche zu oft assoziiert wird.
Das erste Menü, das Manceron dem Herzog und seinen Gästen serviert, ist luxuriös: ein exzentrisches Dekor, prunkvolle Aufmachung, über 40 Speisen!
Die Adligen der Epoche langweilten sich. Sie hatten keine politische Funktion mehr. Sie spielten auch militärisch keine Rolle, denn es gab keine Kriege mehr. Ihnen blieben nur noch ihre Bonmots, die Ausschweifung und das Essen. Wir sind in der Welt des absoluten Scheins – Ringe, Perücken, Spötteleien. Der Koch war zu einem Schmuckstück geworden, ein Ausdruck des Reichtums und der Presseheft À LA CARTE! Pracht. Diese Reichen hatten nicht wirklich Kultur. Sie verspotten die Köstlichkeit, diese berühmte Pastete aus Kartoffel und Trüffel, die Manceron ihnen eigenmächtig serviert. Im 18. Jahrhundert ist der Koch jemand, von dem verlangt wird, dass er die bekannten Gerichte reproduziert und nicht, dass er etwas Neues erfindet. Aber Manceron begeht ein noch viel schwerwiegenderes Verbrechen: Er benutzt für seine Küche Produkte, die unter der Erde wachsen und von denen die Kirche sagt, dass sie ungenießbar sind und Krankheiten wie Lepra verursachen. Kartoffel und Trüffel galten als Produkte des Teufels. In dieser Zeit glaubte man an eine religiöse Abstufung der Nahrungsmittel. Je mehr sie der Luft angehören, desto himmlischer sind sie; eine Taube ist perfekt, eine Kuh, die näher am Boden ist, schon weniger... Die Kartoffel aber, obwohl sie sehr nahrhaft ist, wird in Frankreich hundert Jahre brauchen, bis sie sich durchsetzt.
Sie erzählen die Geschichte so, dass die Gründung des ersten Restaurants mit der Französischen Revolution zusammen fällt...
In Wirklichkeit erstreckte sich seine Entstehung über 15 Jahre. Das erste Restaurant erblickte erst 1782 das Tageslicht. Der Adel, der zu dieser Zeit vor der Revolution flüchtete, ließ auf dem Spielfeld seine Köche zurück. Und die kursierenden Ideen der Gleichheit, die von den Philosophen der Aufklärung propagiert wurden, taten den Rest. Einer hatte dann die Idee mit der Tischdecke, ein anderer die der Speisekarte, des Buffets etc.
Wie erklärt es sich, dass Manceron, der sich weigert, sich beim Herzog zu entschuldigen, es nicht schafft, sich aus seiner Abhängigkeit zu befreien?
Wenn er sich auch bewusst ist, dass er ein großes Wissen besitzt, so ist er doch weit davon entfernt zu erkennen, dass er auch ein Künstler sein könnte. Der Palast des Herzogs und die Situation als Angestellter sind das Einzige, was er kennt. Er ist unfähig, sich gegenüber Demütigungen zu behaupten. Erst durch die Begegnung mit Louise, durch den Einfluss seines Sohnes und des alten Wilderers wird ihm klar, dass er mehr wert ist als er denkt. Presseheft À LA CARTE!
Das Brüske, mit dem Manceron Louise empfängt, erstaunt auf den ersten Blick. War die Küche damals rein männlich? Auch auf dem Niveau der Lehrlinge?
In den Küchen der Schlösser gab es keine Frauen. Vor dem 19. Jahrhundert waren Frauen am Herd verboten. Bei den kleinen Leuten mussten sie sich mit etwas Brot und Suppe im Gemeinschaftsraum zufrieden geben. Die Küche war ein sehr männlicher Ort, fast militärisch, mit Trupps, Anführern mit Rang... eine echte Macho-Umgebung.
Welche Gründe hatten Sie, Grégory Gadebois für die Rolle des Manceron auszuwählen?
Ich hatte große Lust, mit ihm zu arbeiten. Ich liebe die Zerbrechlichkeit von Grégory, seine Sanftheit, dieses Kindliche, das er sich bewahrt hat, und seine Hände, die ich mir oft angeschaut habe. Diese Hände, kräftig und zugleich zart, die mir erlaubten, von der männlichen Zerbrechlichkeit zu erzählen. Dieser Film existiert auch, weil der ideale Schauspieler dafür existierte.
Sie haben drei Schauspieler gefunden, mit denen Sie bereits gedreht hatten: Isabelle Carré, Guillaume de Tonquédec, Benjamin Lavernhe...
Ich liebe es, Vertrauen zu den Schauspielern zu haben, die ich kenne. Man versteht sich, es gibt keine Verstellung zwischen uns. Abgesehen davon hatte ich Lust, wieder mit Isabelle zu arbeiten. Es ist eine wahre Maskenrolle, die ich ihr vorschlug. Sie musste in den drei Identitäten überzeugend sein, die sie im Film verkörpert, die einfache Marmeladenköchin, die Kurtisane, die Marquise. Wichtig war auch, dass sie mit einer Persönlichkeit wie Grégory als Paar harmonierte. À LA CARTE! – FREIHEIT GEHT DURCH DEN MAGEN ist ja auch das: die Geschichte eines Paares, das sich durch die gemeinsame Arbeit und im gegenseitigen Respekt zusammen entwickelt.
Foto:
ÉRIC BESNARD
©Verleih
Info:
À la Carte! - Freiheit geht durch den Magen (Frankreich 2021)
Genre: Tragikomödie, Französische Revolution, Kochen
Filmlänge: ca. 112 Min.
Regie: Éric Besnard
Drehbuch: Éric Besnard, Nicolas Boukhrief
Darsteller: Grégory Gadebois, Isabelle Carré, Benjamin Lavernhe, Guillaume de Tonquédec, Christian Bouillette, Lorenzo Lefèbvre u.a.
Abdruck aus dem Presseheft
Manceron hat zwei Obsessionen: die regionale Küche zu entwickeln und die natürlichen Aromen wiederzuentdecken. War dies damals schon üblich? Oder ist er damit Avantgarde...?
Damals war man immer noch dabei, die Gerichte aus dem Mittelalter zu kochen. Man wiederholte die ewig gleichen Rezepte, Gerichte reich an Gewürzen und Zucker, der in diesen Jahren entdeckt wurde, und die ästhetisch sehr aufwendig waren, mit Federn und Hahnenkämmen. Aber die Mode begann sich zu wandeln und man konzentrierte sich zunehmend auf den ursprünglichen Geschmack der Lebensmittel. Manceron ist Teil dieses Wandels. Er will frisches Gemüse und Gewürze aus dem Garten. Diese regionale Küche interessiert mich unendlich mehr als das Bild des Luxus, mit dem die französische Küche zu oft assoziiert wird.
Das erste Menü, das Manceron dem Herzog und seinen Gästen serviert, ist luxuriös: ein exzentrisches Dekor, prunkvolle Aufmachung, über 40 Speisen!
Die Adligen der Epoche langweilten sich. Sie hatten keine politische Funktion mehr. Sie spielten auch militärisch keine Rolle, denn es gab keine Kriege mehr. Ihnen blieben nur noch ihre Bonmots, die Ausschweifung und das Essen. Wir sind in der Welt des absoluten Scheins – Ringe, Perücken, Spötteleien. Der Koch war zu einem Schmuckstück geworden, ein Ausdruck des Reichtums und der Presseheft À LA CARTE! Pracht. Diese Reichen hatten nicht wirklich Kultur. Sie verspotten die Köstlichkeit, diese berühmte Pastete aus Kartoffel und Trüffel, die Manceron ihnen eigenmächtig serviert. Im 18. Jahrhundert ist der Koch jemand, von dem verlangt wird, dass er die bekannten Gerichte reproduziert und nicht, dass er etwas Neues erfindet. Aber Manceron begeht ein noch viel schwerwiegenderes Verbrechen: Er benutzt für seine Küche Produkte, die unter der Erde wachsen und von denen die Kirche sagt, dass sie ungenießbar sind und Krankheiten wie Lepra verursachen. Kartoffel und Trüffel galten als Produkte des Teufels. In dieser Zeit glaubte man an eine religiöse Abstufung der Nahrungsmittel. Je mehr sie der Luft angehören, desto himmlischer sind sie; eine Taube ist perfekt, eine Kuh, die näher am Boden ist, schon weniger... Die Kartoffel aber, obwohl sie sehr nahrhaft ist, wird in Frankreich hundert Jahre brauchen, bis sie sich durchsetzt.
Sie erzählen die Geschichte so, dass die Gründung des ersten Restaurants mit der Französischen Revolution zusammen fällt...
In Wirklichkeit erstreckte sich seine Entstehung über 15 Jahre. Das erste Restaurant erblickte erst 1782 das Tageslicht. Der Adel, der zu dieser Zeit vor der Revolution flüchtete, ließ auf dem Spielfeld seine Köche zurück. Und die kursierenden Ideen der Gleichheit, die von den Philosophen der Aufklärung propagiert wurden, taten den Rest. Einer hatte dann die Idee mit der Tischdecke, ein anderer die der Speisekarte, des Buffets etc.
Wie erklärt es sich, dass Manceron, der sich weigert, sich beim Herzog zu entschuldigen, es nicht schafft, sich aus seiner Abhängigkeit zu befreien?
Wenn er sich auch bewusst ist, dass er ein großes Wissen besitzt, so ist er doch weit davon entfernt zu erkennen, dass er auch ein Künstler sein könnte. Der Palast des Herzogs und die Situation als Angestellter sind das Einzige, was er kennt. Er ist unfähig, sich gegenüber Demütigungen zu behaupten. Erst durch die Begegnung mit Louise, durch den Einfluss seines Sohnes und des alten Wilderers wird ihm klar, dass er mehr wert ist als er denkt. Presseheft À LA CARTE!
Das Brüske, mit dem Manceron Louise empfängt, erstaunt auf den ersten Blick. War die Küche damals rein männlich? Auch auf dem Niveau der Lehrlinge?
In den Küchen der Schlösser gab es keine Frauen. Vor dem 19. Jahrhundert waren Frauen am Herd verboten. Bei den kleinen Leuten mussten sie sich mit etwas Brot und Suppe im Gemeinschaftsraum zufrieden geben. Die Küche war ein sehr männlicher Ort, fast militärisch, mit Trupps, Anführern mit Rang... eine echte Macho-Umgebung.
Welche Gründe hatten Sie, Grégory Gadebois für die Rolle des Manceron auszuwählen?
Ich hatte große Lust, mit ihm zu arbeiten. Ich liebe die Zerbrechlichkeit von Grégory, seine Sanftheit, dieses Kindliche, das er sich bewahrt hat, und seine Hände, die ich mir oft angeschaut habe. Diese Hände, kräftig und zugleich zart, die mir erlaubten, von der männlichen Zerbrechlichkeit zu erzählen. Dieser Film existiert auch, weil der ideale Schauspieler dafür existierte.
Sie haben drei Schauspieler gefunden, mit denen Sie bereits gedreht hatten: Isabelle Carré, Guillaume de Tonquédec, Benjamin Lavernhe...
Ich liebe es, Vertrauen zu den Schauspielern zu haben, die ich kenne. Man versteht sich, es gibt keine Verstellung zwischen uns. Abgesehen davon hatte ich Lust, wieder mit Isabelle zu arbeiten. Es ist eine wahre Maskenrolle, die ich ihr vorschlug. Sie musste in den drei Identitäten überzeugend sein, die sie im Film verkörpert, die einfache Marmeladenköchin, die Kurtisane, die Marquise. Wichtig war auch, dass sie mit einer Persönlichkeit wie Grégory als Paar harmonierte. À LA CARTE! – FREIHEIT GEHT DURCH DEN MAGEN ist ja auch das: die Geschichte eines Paares, das sich durch die gemeinsame Arbeit und im gegenseitigen Respekt zusammen entwickelt.
Foto:
ÉRIC BESNARD
©Verleih
Info:
À la Carte! - Freiheit geht durch den Magen (Frankreich 2021)
Genre: Tragikomödie, Französische Revolution, Kochen
Filmlänge: ca. 112 Min.
Regie: Éric Besnard
Drehbuch: Éric Besnard, Nicolas Boukhrief
Darsteller: Grégory Gadebois, Isabelle Carré, Benjamin Lavernhe, Guillaume de Tonquédec, Christian Bouillette, Lorenzo Lefèbvre u.a.
Abdruck aus dem Presseheft