VERSO SUD 21 im Frankfurter Deutschen Filminstitut & Filmmuseum (DFF), Teil 9
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Seltsam. So historisch und kulturhistorisch interessant Fellinis LA STRADA mit Ehefrau Giulietta Masina aus dem Jahr 1954 ist, so aufwühlend modern ist Fellinis SCHIFF DER TRÄUME, 30 Jahre später und von heute her: vor 38 Jahren in die Kinos gekommen. Ich mochte es beim Wiedersehen kaum glauben, wie zwei Sachverhalte, die heute unsere Welt zu einer nichtheimischen machen, auf dem Schiff Thema sind: in kurzer Szene potentieller Kindesmißbrauch, in sehr langen Szenen, ach was, in der Struktur der Geschichte wesentlich: die Flüchtlingsproblematik.
Dazu gleich mehr. Denn natürlich muß man erst einmal auf die Geschichte eingehen, bei der zu kurz kommt, daß man im Film auch die Augen zumachen und nur der Musik lauschen könnte. Denn selten gab es einen ‚normalen‘ Film mit so viel Musik, die mit dem Dreieck dramatischer Verdi, schmalzender Wiener Walzer und herzinnigliche sängerische serbische Folklore noch längst nicht erledigt ist. Daß es um‘s Singen gehen wird, liegt in der Natur der Sache, denn im Juni 1914, also kurz vor dem Ersten Weltkrieg, als die Hin- und Her- Scharmützel aber schon stattfinden, sticht ein schöner großer Luxusdampfer in See, der allein mit denjenigen bevölkert ist, die dem Wunsch der verstorbenen Operndiva Nr. 1 der Welt, Edmea Tetua , folgen, daß ihre Asche im Meer vor der Insel Erimo, auf der sie geboren wurde, verstreut werde.
Wer das sind, diese Menschen? Die gerade untergehende Belle Époque, kann man nonchalant sagen und man weiß nach diesem Film auch sinnlich, warum eine Welt an ihr Ende gekommen war. Ohne, daß Fellini die Personen lächerlich machen würde, sind sie es doch einfach durch ihr simples Sein: selbst solche Opernintendanten, wie die hier von der Mailänder Scala oder Wiener Staatsoper, die noch lange überlebten, sind heute perdu. Und natürlich auch die Sänger, die im Geschehen die Hauptrollen spielen. Auch die Spitzensänger sind heute Ensemblemitglieder, die Diven haben ausgedient und die als Helden verehrten Sänger auch. Hier sind sie aber noch einmal versammelt mit ihren Eifersüchteleien und Streitigkeiten. Köstlich.
Wir wissen so viel über die einzelnen, weil – genialer Gedanke – Fellini einen Kommentator auf‘s Schiff schickte, der als Reporter mit Kamerateam – im Jahr 1914! - sowohl die Leute vorstellt, mit ihnen Gespräche oder richtige Interviews vor der Kamera macht oder uns allen erzählt, was gerade auf dem Schiff passiert und dies kommentiert. Das ist Orlando (Freddie Jones).
Es ist bekannt, daß es überhaupt kein anderes Werk von Fellini gibt, was so vielschichtig und derart interpretationsreich ist, so daß man in einer herkömmlichen Kritik darauf überhaupt nicht eingehen kann: was zum Beispiel das riesengroße Nashorn bedeutet, das zu Beginn auf‘s Schiff gehievt wird, dann im Schiffsverlies so zu stinken anfängt, daß man es an die frische Luft zurückhievt, in ein Rettungsboot verfrachtet und lange mit Wasser übergießt. In der Schlußszene – wo das Schiff standesgemäß untergeht, die meisten Leute aber gerettet werden - wird dieses Rettungsboot auf‘s Wasser gelassen und unser Erzähler fährt davon, mit lebendem Nashorn natürlich. Eine unglaubliche Silouette, wie überhaupt dieser Film, der zu Beginn in Schwarz-Weiß die harte körperliche Arbeit am Hafen zeigt, wenn ein Schiff in See sticht, dann bei den opulenten Szenen im im Stil der Zeit drapierten Speisesaal in Farbe den Samt, das Glas, die aufwendigen Kostüme der Damen und das unterschiedliche Schwarz der Herrengarderobe zum Leuchten bringt. Dies allein lohnt das Anschauen. Aber mir wurde etwas anderes wichtiger, ja ich finde, daß der Film uns heute noch mehr angeht, als damals, was sicher damit zu tun hat, daß unsere gesellschaftliche Lage sehr viel stärker von Unsicherheiten und Zeitsprüngen geprägt ist als es 1983 der Fall war. Insofern hat der Film sogar an politischer Aktualität gewonnen.
Auf hoher See entdeckt der Kapitän auf dem Meer herumtreibende Menschen in Booten. Es sind Flüchtlinge aus Serbien, wo am 28. Juni der Thronfolger Österreich-Ungarns, Erzherzog Franz Ferdinand von einem serbischen Nationalisten, Gavrilo Princip ermordet wurde, was dann zum Ersten Weltkrieg führte. Doch das wissen die handelnden Personen noch nicht. Nach Seerecht ist der Kapitän verpflichtet, die hilflos auf dem Meer treibenden Flüchtlinge aufzunehmen. Weil sich die feine Gesellschaft von 'solchem Gesindel' bedroht fühlt, müssen die Serben dann auf‘s Zwischendeck, wo sie sich Fleisch braten, Musik machen, tanzen. Ein lustiges Völkchen. Diese Szenen sieht man als Mitteleuropäer nach 2015 einfach anders, als zur Entstehungszeit des Films. Sicher, es gab immer Flüchtlinge, auch bei uns in verschiedenen Wellen. Aber die Bundesrepublik hatte niemals eine derartige gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Flüchtlingen wie mit dem bekannten: „Wir schaffen das!“. So deutlich wird das auf dem Schiff nicht, da geht es nicht um echte Integration, aber zumindest um Auf-dem-Schiff-Leben-Lassen.
Zu den unglaublichsten Gestalten gehört auch Il Granduca, also der österreichische Großherzog (Fiorenzo Serra, links) und dessen blinde Schwester, La Principessa Lherimia (Pina Bausch, rechts), der hellblonde Fette in roter Uniform, hier in blauer, und die schmale Dunkle mit den Zügen einer Zauberin. Früher war mir nicht aufgefallen, daß auf einmal Wagnerklänge auftauchen, die beiden auf Deutsch von den zwei Königskindern singen, die zueinander nicht kommen konnten, weil das Wasser viel zu tief war (nicht mit der bei uns üblichen Melodie!) und die beiden inzestuöse Sprüche loslassen, so daß ich diesmal sofort an Sigmund und Sieglinde denken mußte, die sich in der WALKÜRE auch so anmachen und zu ihrem Schrecken sich als Geschwister erweisen. Jedoch die wichtigere Funktion des österreichischen Potentaten kommt jetzt: Auf dem Meer taucht ein Schlachtschiff der Österreicher auf, das die Herausgabe der Serben fordert. Mit militärischen Mitteln wie Kanonenfeuer unterstützt. Zwar will der sein Amt ordentliche ausfüllende Kapitän dies nicht zulassen, weil er die Verantwortung für alle Schiffsinsassen trägt, aber die Lage zwingt ihn und so machen sich die Serben unter Absingen ihrer nationalen Lieder auf den Weg in Booten.
Doch dann wird der Granduca eingeschaltet, der sofort mit dramatischer Flaggensprache an Deck Kontakt mit dem österreichischen Kriegsschiff aufnimmt, mit der Folge, daß das Schiff weiterfahren darf, die Flüchtlinge auf es zurückdürfen und das Kriegsschiff weiterzieht. Doch längst hatte die Bombardierung schon begonnen und es trifft das edle Luxusschiff ins Herz. Es rutscht im Speisesaal erst alles nach links, dann nach rechts. Wir erleben, das Untergehen der Einrichtung, die Schieflage des Schiffes, das sinken wird, wie die Welt von 1914 infolge des Ersten Weltkrieges unterging.
Nach dieser Erfahrung des Wiedersehens werde ich mir die DVD, die es zu E la nave va gibt, zulegen. Obwohl man für Filme von Fellini die große Leinwand braucht. Das ist jedoch ein Film, den man sich immer wieder ansehen kann, weil er die Zeit, in der man lebt, zurückspiegelt. Und das schon vor über 100 Jahren. Fellini ist wirklich ein Filmemacher, für den der Spruch, wir wissen nicht, wohin wir gehen, wenn wir nicht wissen, woher wir kommen, in besonderem Maße gilt.
Foto:
©Verleih
Info:
E la nave va - Fellinis Schiff der Träume
Regie: Federico Fellini
Drehbuch: Federico Fellini und Tonino Guerra
Darsteller: Freddie Jones, Barbara Jefford, Victor Poletti, Fiorenzo Serra, Pina Bauch
ACHTUNG! Da manche Vorstellungen von VERSO SUD ausverkauft waren, gibt es Zusatzvorstellungen :
Mittwoch, 1. Dezember, 18:00 Uhr. ROMA Fellinis Roma. +. Auf alles, was uns glücklich macht, 20.30 Ihr
Donnerstag, 2. Dezember. 18.00 DIE RAUBTIERE
Freitag, 3. Dezember, 20 Uhr LA DOLCE VITA
Besuch der Vorstellung am 29. November, weitere Vorstellung im Rahmen derFellini-Retrospektive des DFF am 29. Dezember!