fast perfekteVERSO SUD 21 im Frankfurter Deutschen Filminstitut & Filmmuseum (DFF), Teil 10

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Zum Glück werden ja alle italienischen Filme im Festival auf Italienisch gezeigt, mit deutschen Untertiteln. Die brauchen Sie bei diesem Film überhaupt nicht, mitzulesen da sie alles von alleine verstehen. Sie kennen nämlich die Situationen und sie kennen auch solche Eltern und auch so exquisite Nachkömmlinge, die natürlich überspitzt dargestellt sind, sonst würde es ja keinen Spaß machen.

Ich kenne alleine drei dieser Simonas (Anna Foglietta), die schon deshalb, weil sie Alleinerziehende sind, glauben, sie müßten den fehlenden Vater dreifach ersetzen und ihr Kind nicht nur mit Überbehütung, sondern auch mit pausenlosen Aktivitätsvorschlägen an den Rand des Nervenzusammenbruchs führen, an dem die Mutter sowieso quasi institutionell steht. Immer. Was soll der achtjährige Filippo (Nicolò Costa) denn sonst tun, als sich dem mütterlichem Treiben zu entziehen und NEIN, NEIN, NEIN zu sagen, zu all dem, was die Mutter gutgemeint vorschlägt. Und nicht nur sagt, sondern auch so handelt. Gut gemeint ist nicht gut gemacht, diese Plattheit, paßt hier wie die Faust aufs Auge (die Doppeldeutigkeit lassen wir mal weg).

Doch steht der arme Junge mit seiner Mutter nicht alleine dar, auch die anderen Mitschüler und Mitschülerinnen haben Eltern! Und die sind auf ihre Art nicht weniger anstrengend, anspruchsvoll und verlogen dazu. Die Klassenelternabende zeigen dies Panoptikum deutlich auf. Aber bleiben wir bei der Kleinfamilie, um die der Film gruppiert ist. Filippo wird nämlich erst acht Jahre, um seinen Geburtstag rankt sich das Geschehen, das darum auch deutlich dreigeteilt ist: die aufwendigen Vorbereitungen vor dem Geburtstag, die aus dem Ruder laufende Geburtstagsfeier und die notwendigen Aufräumarbeiten danach, sowohl materieller wie auch ideeller Art.

Kindern und Jugendlichen werden vor allem die vergeblichen Erziehungsszenen oder die, wo die Kinder unter sich sind, anmachen, denn da geht es durchaus lustig und direkt zu. Aber für den erwachsenen Zuschauer sind die Eltern natürlich das gefundene Fressen. Da gibt es meist Paare, die wie aus dem Bilderbuch daherkommen, Ja, der Film hat viel allzu Typisches von bestimmten Typen, aber wie sollte man die Vielfalt der Lebensverhältnisse sonst bündeln. Da gibt es die Grünen-Vertreterin, die sich als schlimmste Umweltsünderin entlarvt, es gibt die aufgemotzte Blondine, alleinerziehend und ganz schön ordinär, die vor allem von der Frau, - die alles besser weiß, für jeden einen ungewollten Ratschlag hat und mit dem Ehemann, der ihr alles nachsagt, anrückt - attackiert wird, die Verhältnisse umkehrt, in dem sie die Toilette der Gastgeber für einen kleinen Beischlaf mit diesem Ehemann mißbraucht.

In der Folge, nämlich den handgreiflichen Auseinandersetzungen, geht sie zudemaber auch ihrer so blonden Perücke verlustig, womit sie das Aufreizende verliert und sie sich selber dann auch noch als das arme Schwein tituliert, als das sich die anderen Eltern an diesem Nachmittag schon lange bezeichnen. Irritierend der Vater, der alleine mit dem Kind gekommen ist, sich als Manager geriert, aber doch wohl arbeitslos ist – oder ist der Arbeitslose der andere, der Truffaut zitiert und sich als Intellektueller gibt.

Und zum Danach gehört auch, daß sich die emsige Mutter Simona nun auch noch Gedanken machen muß um die sexuelle Orientierung ihres Sohnes, der schon mit dem Wunsch nach rosa Luftballons auf ihren Unwillen stieß, denn für Jungens sind rote doch passender, der aber dann in Mädchenkleidern auf seiner eigenen Geburtstagsfeier als niedliches Mädchen die Mutter peinlich überrascht. Der Zuschauer findet alles in allem den eigenständigen Jungen noch als den Normalsten und Unbeschädigtsten im ganzen Film. Auf Filippos Geburtstag wird also alles derart aufgebauscht, daß die Aufräumarbeiten, die menschlichen und die materiellen länger dauern als Vorbereitung und Fest zusammen.

Zum materieller filmischen Ausdruck, daß etwas nicht stimmt, quasi einer Metapher, wird der Wasserfleck an der Decke, dessen Tropfen stetig Eimer füllen und dann lawinenartig Wasser befördern. Auch ein Ausdruck dafür, daß gewaltig endet, was ganz klein anfängt.

Die Regisseurin Laura Chiossone hatte zu ihrem zweiten Film geäußert: „Das Ganze basiert auf eigenen Erfahrungen. Ich musste feststellen, dass man als Eltern plötzlich wieder ganz neu anfängt, in einem neuen Umfeld, in einer völlig neuen Rolle. Alles, was man nach der Schule überwunden glaubte (die Angst vor den Blicken der anderen, das Gefühl der Unzulänglichkeit) kommt zurück. Nachdem man sich mühsam eine eigene Identität geschaffen hat, muss man sich plötzlich ständig mit Menschen abgeben, die man nie kennenlernen wollte. Nur weil sie zufällig auch Eltern sind. Wenn man das Gefühl hat, dass die anderen alle irgendwie bescheuert sind, muss man sich fragen, ob man es nicht selber ist. Das Geburtstagsfest lässt die Masken fallen und dann kracht es. Am Ende merkt die Protagonistin, die Mutter von Filippo, dass sie vor lauter Mühe, alles richtig zu machen, das Wichtigste vergessen hat: ihren Sohn.

Foto:
©Verleih

Info:
Genitori quasi perfetti – Fast perfekte Eltern
Italien 2019
87 Minuten
Regie: Laura Chiossone.

Darsteller: Anna Foglietta (Simona)
Paolo Calabresi (Aldo)
Lucia Mascino (Ilaria, seine Ehefrau)
Marina Rocco (Sabrina)
Francesco Turbanti (Paolo)
Elena Radonicich (Giorgia)
Paolo Mazzarelli (Alessandro)
Marina Occhionero (Luisa)
Nicolò Costa (Filippo)

Vorstellungen im Rahmen von VERSO SUD am 20., 26. und 27. November