Stefan Jäger
Tessin (Weltexpresso) - Anmerkungen: «Monte Verità» ist so entstanden, wie die Menschen auf dem Wahrheitsberg zur Gründungszeit um 1900 gewirkt haben: Als kollektive Vision, frei von Zwängen und im Glauben an die Kraft der Kreativität. Ich habe versucht zu ergründen, welche inneren und äußeren Widerstände eine Frau in der damaligen Zeit erlebt haben muss, wenn sie ihren eigenen Weg gehen wollte. Im Wissen, dass wir immer nur aus der eigenen Perspektive erzählen können, habe ich dabei auf die Schwarmintelligenz unseres Teams vertraut, um meine Sichtweise zu überprüfen. Mit einem Frauenanteil von 77 % in den Head of Departments ist uns dabei vielleicht gelungen, den positiven Wandel zu unterstreichen, der momentan den Globus erfasst: Jedes Geschlecht und jede sexuelle Orientierung erhält den Respekt, der ihr zusteht. Ich hoffe, mit «Monte Verità» diesen Geist der Offenheit und die Sehnsucht nach Freiheit zu beflügeln, so wie es die Gründer*innen des Monte Verità damals schon vorgelebt haben – in der ersten Hippiekommune der Welt.
...und seine Anmerkungen
Seit ich Ende der 80er Jahre zum ersten Mal auf dem Monte Verità war, sind Bilder in mir hängen geblieben, die mich die Jahre über begleitet haben. Bilder von Stille und Konzentration, aber auch von Chaos und Aufbruch. Ich war mir lange nicht sicher, ob das mein verklärter Blick auf einen Hügel bei Ascona ist, um den sich Mythen und Legenden ranken und auf dem Künstler*innen waren, die dort Inspiration gefunden haben, oder ob ich wirklich selber eine Quelle gefunden hatte, die mein künstlerisches Schaffen beeinflussen könnte.
Als die Autorin Kornelija Naraks mit dem Stoff an mich herangetreten ist, wusste ich, dass letzteres der Fall ist. Ich sah, dass mit ihrem Blick auf diesen Ort etwas gelungen ist, das mich im Kino immer wieder interessiert: Wie gelingt es in der Vergangenheit Themen zu erzählen, die unsere Gegenwart meinen? Es gelingt der Autorin einen Bogen in die Gegenwart zu schlagen, der leider noch immer äusserst aktuell ist und die Position der Frau in unserer heutigen Gesellschaft hinterfragt. Denn wie frei ist eine Frau, die noch immer weiss, dass sie für ihre Arbeit schlechter bezahlt wird als ein männliches Pendant? Wie sehr kann sie sich ihren Ambitionen widmen, wenn sie noch immer zu spüren bekommt, dass ihre Aufgabe in der Familie liegt – und das selbst von aufgeschlossenen Menschen, die Offenheit und Freiheit als Lebensideale unterstreichen?
Dass es mehrere Dokumentarfilme und Sachbücher über den Monte Verità gibt, hat uns in der Recherche inspiriert. Mit dem Historiker Andreas Schwab (Autor des Buches „Monte Verità – Sanatorium der Sehnsucht“) hatten wir zudem einen Berater an unserer Seite, der uns wertvollen Input geben konnte. In der fiktionalen Verdichtung glaubten wir etwas erzählen zu können, das stärker in die Gegenwart verweist als die objektive historische Rückschau. Zudem liegt in der Rückschau die Gefahr des Unvollständigen, besonders bei einem Ort wie dem Monte Verità, an dem so illustre Persönlichkeiten ein- und ausgingen wie Literaturnobelpreisträger Hermann Hesse, Anarchist Erich Mühsam oder die Künstlerin Sophie Taeuber-Arp.
Insofern war in der Entwicklung des Stoffes zentral, einen Zeitraum zu finden, in dem Persönlichkeiten auf dem Berg lebten oder zu Gast waren, die unser Thema spiegeln und unsere fiktive Protagonistin herausfordern, um auf den Kern der Geschichte zu fokussieren: Wie kann die Befreiung der Protagonistin gelingen und zu welchem Preis? Wie gelingt ihr, die Kunst über die Familie zu stellen, ohne dass die Zuschauer*innen sie verurteilen und verstehen, dass es ihr ureigenes Recht ist, ihrer Identitätsfindung den Vorrang zu geben, zumal sie in einer Gesellschaft aufgewachsen ist, die ihr kaum eine Chance zur Selbstverwirklichung geben hat.
Leider ist es nicht zu leugnen: Ich bin ein Mann, weshalb es mir wichtig war, mit möglichst vielen Frauen zu arbeiten. Denn meine Sicht auf die Geschichte soll denjenigen gerecht werden, von denen sie erzählt. Und das konnte ich nur, indem ich bereit war, meine Vision in das künstlerische Kollektiv einzubringen, das gemeinsam diesen Film realisiert hat. In dieser Vision finde ich mich in Hannas Position wieder. Fast jedes Individuum kommt in seinem Leben an einen Punkt, der ihm eine Gewichtung oder vielleicht sogar eine Entscheidung abverlangt: Für den Traum der Freiheit und damit vielleicht auch künstlerischer Verwirklichung oder für ein Leben in Sicherheit – was bedeuten kann, eine Familie gründen zu wollen und sie ernähren zu müssen.
Beides unter einen Hut zu bringen ist möglich, aber für Frauen, die den Weg der Freiheit einschlagen, wesentlich komplexer und selbst heute noch ein Akt, der Aufruhr verursachen kann, je mutiger die Künstlerin den Schritt in das eigenständige (und von einer Familie losgekoppelte) Schaffen tut. Ich möchte die Zuschauer*innen emotional an die Figur Hannas heranführen, sie auf den Monte Verità begleiten und dort in eine Welt eintauchen lassen, die von ein paar Idealisten gegründet wurde mit dem Ziel, jedem Individuum seine (psychische und physische) Genesung zu ermöglichen, um sich letzten Endes verwirklichen zu können. Dabei möchte ich alle Geschlechter und Identitäten erreichen, denn unsere Fragen sind universell, unmittelbar und gegenwärtig.
Fotos:
(c) Verleih
Info:
„Monte Vertità - der Rausch der Freiheit“, Schweiz 2021, 116 Minuten, Filmstart 16.12. 2021
Regie: Stefan Jäger mit Maresi Riegner, Max Hubacher, Julia Jentsch, Hannah Herzsprung u.a.
Abdruck aus dem Presseheft
Leider ist es nicht zu leugnen: Ich bin ein Mann, weshalb es mir wichtig war, mit möglichst vielen Frauen zu arbeiten. Denn meine Sicht auf die Geschichte soll denjenigen gerecht werden, von denen sie erzählt. Und das konnte ich nur, indem ich bereit war, meine Vision in das künstlerische Kollektiv einzubringen, das gemeinsam diesen Film realisiert hat. In dieser Vision finde ich mich in Hannas Position wieder. Fast jedes Individuum kommt in seinem Leben an einen Punkt, der ihm eine Gewichtung oder vielleicht sogar eine Entscheidung abverlangt: Für den Traum der Freiheit und damit vielleicht auch künstlerischer Verwirklichung oder für ein Leben in Sicherheit – was bedeuten kann, eine Familie gründen zu wollen und sie ernähren zu müssen.
Beides unter einen Hut zu bringen ist möglich, aber für Frauen, die den Weg der Freiheit einschlagen, wesentlich komplexer und selbst heute noch ein Akt, der Aufruhr verursachen kann, je mutiger die Künstlerin den Schritt in das eigenständige (und von einer Familie losgekoppelte) Schaffen tut. Ich möchte die Zuschauer*innen emotional an die Figur Hannas heranführen, sie auf den Monte Verità begleiten und dort in eine Welt eintauchen lassen, die von ein paar Idealisten gegründet wurde mit dem Ziel, jedem Individuum seine (psychische und physische) Genesung zu ermöglichen, um sich letzten Endes verwirklichen zu können. Dabei möchte ich alle Geschlechter und Identitäten erreichen, denn unsere Fragen sind universell, unmittelbar und gegenwärtig.
Fotos:
(c) Verleih
Info:
„Monte Vertità - der Rausch der Freiheit“, Schweiz 2021, 116 Minuten, Filmstart 16.12. 2021
Regie: Stefan Jäger mit Maresi Riegner, Max Hubacher, Julia Jentsch, Hannah Herzsprung u.a.
Abdruck aus dem Presseheft