der scein2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. Dezember 2021, Teil 7

Redaktion

Belgard (Weltexpresso) - Obwohl „Der Schein trügt“ als Komödie beginnt, nehmen die Dinge einige sehr dramatische Wendungen in späteren Kapiteln. Wie würden Sie selbst das Genre Ihres Films beschreiben?

Das Ganze ist wie im echten Leben! Es fängt lustig an, aber die Tragödie am Ende ist unausweichlich. Die meisten meiner Filme sind schwarze Komödien. Ich würde mich selbst als Realisten bezeichnen. Als Psychologe und ehemaliger Psychotherapeut, glaube ich, dass es die Aufgabe des Regisseurs ist, die Emotionen des Publikums auf positive Weise zu manipulieren. Ich habe das in meinen früheren Filmen „Dörfer in Flammen“, „Parada“ und „Rane“ auch schon gemacht. Alle diese Filme vermischen komische und tragische Elemente. Dieser Ansatz ist natürlich ein zweischneidiges Schwert. Das Publikum wird wesentlich stärker polarisiert, aber gleichzeitig kann ich ihnen so wesentlich bessere Arthouse-Kost liefern als es die simplifi zierten Filme aus Hollywood oder von Netflix schaff en. Darüber hinaus glaube ich, dass es auch die Aufgabe des Films ist, zu verstören. Zunächst unterhält man sie, bringt sie zum Lachen und leitet dann Stück für Stück in ein anderes Genre über.


Protagonist Stojan könnte als eine Art „böser Jesus“ verstanden werden, der die Sünden der Welt auf sich lädt, indem er alle selbst begeht. Muss man in der modernen Welt ein Sünder sein, um voranzukommen?

Stojan beginnt seine Reise als wahrhaft guter Mensch – beinahe ein Heiliger. Zur Belohnung erhält er einen waschechten Heiligenschein. Aber ist der wirklich ein Zeichen von Gottes Gnade oder vielmehr ein zynischer Verführungsversuch des Teufels? Auf diese Frage gibt es keine klare Antwort. Stojan leidet zu Beginn sehr, als ihn seine Frau Nada zwingt, immer schlimmere Sünden zu begehen. Sie glaubt, dass sie das Richtige tut, sie weigert sich, den Heiligenschein als Gottesgeschenk zu akzeptieren. Dafür gibt es vielschichtige Gründe. Nada ist gewisserweise eine Metapher auf die Medienwelt von heute: Sie ist in der Lage, jeden Menschen zu einem Sünder zu machen. Das ist insbesondere im ehemaligen Jugoslawien der Fall, wo die Medien zu einem Instrument des Turbokapitalismus geworden sind. Im dritten Teil des Films wird der Protagonist zu einer Art dämonischer Kraft, nachdem keine Sünde stark genug war, den Heiligenschein loszuwerden. Er wird zum Präsidenten eines kleinen osteuropäischen Landes. In Ungarn wird man in ihm Orban erkennen, in Serbien Vučić. 
Die Metaphern des Films mischen religiöse und politische Ebenen.


Im Film verstreut finden sich eine Menge Gemälde und Kunstausstellungen. Wurden sie speziell für „Der Schein trügt“ angefertigt oder woher stammen sie?


Ja, sie wurden von Tatjana Strugar gemalt, einer talentierten Künstlerin und Kostümdesignerin des Films, mit der ich schon seit dreißig Jahren eng zusammenarbeite. Jedes Gemälde ist Ergebnis sorgfältiger Diskussionen, in denen wir versuchten, die Kunst aus der Perspektive des Charakters Gojko zu betrachten, der mit einer schweren mentalen Störung kämpft. Die Bilder waren ein Weg, eine Geschichte zweiter Ordnung zu eröff nen. Ich mag keine zufälligen Gegenstände in meinen Filmen, alles ist geplant und essenziell für die kinematografische Idee.


Wer ist die heilige Petka?

Die katholische Religion hat 159 weibliche Heilige von insgesamt 1486, ein Indiz für die männliche Dominanz in der Kirche. Die christlich-orthodoxen Religionen haben über 300 weibliche Heilige. Die heilige Petka ist eine der beliebtesten, vor allem in Balkanstaaten. Neben den „klassischen“ Wundern wie Blindenheilung, konnte sie sich der Legende nach unsichtbar machen – eine Superkraft, die heutigen Comicfans gefallen dürfte. Der zweite Teil von „Der Schein trügt“ dreht sich um einen mental zurückgebliebenen Helden der die heilige Petka anbetet. Er wird zum Tode verurteilt und verwandelt sich über Nacht in ein Baby. Die Behörden sehen ihn aber immer noch als Mörder an und wollen ihn dennoch hinrichten. Manche mögen das zynisch fi nden. Als ob ich sagen möchte, dass Religion bei den geistig Schwachen besser funktioniert. Mein Punkt ist aber, dass nur eine wahrhaft reine Seele von Gott gesehen und erhört werden kann.


Glauben Sie, die Welt wäre eine bessere, wenn die Menschen sich tatsächlich von nahrhafter Kunst ernähren könnten, wie es im Film passiert?

Das ist eine sehr interessante Interpretation, auch wenn ich das im Film gar nicht ausdrücken wollte. Doch das gefällt mir, weil es ein wundervolles Gefühl ist, wenn ein Film quasi zum Rorschach-Test mit unendlicher Interpretationsvielfalt wird. „Nahrhafte Kunst“ – noch so ein Wunder – spielt im Film eine andere Rolle. Es geht dabei um den Begriff „Kreativindustrie“, den ich verabscheue. Der neoliberale Kapitalismus kann schlicht nicht akzeptieren, dass Kunst nicht mehr ist als das Bedürfnis des Künstlers, etwas über die Welt um ihn herum auszudrücken. Dass die primäre Absicht nicht ist, Geld zu verdienen. Der Künstler in „Der Schein trügt“ sieht seine Gemälde, die die Menschen ernähren, als einen Fluch. Er will, dass seine Werke den Geist der Menschen füllen, nicht ihre Mägen. Leider sind wir alle heutzutage auf die ein oder andere Weise gezwungen, über den „Nährwert“ unserer Arbeit nachzudenken. Ich nehme mich da nicht aus: Wenn mein Film den Appetit der Zuschauer und Filmhändler anregt, bekomme ich vielleicht die Chance, einen nächsten Film zu drehen. Alles nur aus meinem inneren Antrieb, versteht sich.
 

Foto:
©Verleih

Info:
Darsteller
Stojan.      Goran Navojec
Nada.        Ksenija Marinković
Gojko.       Bojan Navojec
Pata Atanasije.     Miloš Samolov
Julija.                    Nataša Marković
Little Julija.           Sana Kostić
Stinky.                  Radoslav Milenković
Microbe.               Srdjan Todorović
Giraffe                  Ana Mandić
Borka                   Nela Mihailović
Ljubiša Trgovčević      Nikola Pejaković
Petar Marković           Miloš Timotijević
Snežana Marković      Andjelka Prpić
Rajko                          Dejan Aćimović

Stab
Regie.             Srdjan Dragojević
Drehbuch       Srdjan Dragojević
Kamera.          Dušan Joksimović

Abdruck aus dem Presseheft