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London (Weltexpresso) - Das scheint sich auch in ihrem plan- und wohl auch ziellosen Leben widerzuspiegeln, nachdem sie 1978 ohne Abschluss von der Schule abgegangen war: Sie besuchte Kochkurse, war Tanzlehrerin, Kindergärtnerin, Party-Hostess. Ökonomischen Druck gab es wohl nicht, zumal ihre Mutter ihr ein Apartment schenkte. Wer weiß, welchen Weg sie genommen hätte, wäre nicht ein gewisser Prince Charles, der ihre ältere Schwester gedatet hatte, auf sie aufmerksam geworden.
Und irgendwie schien er für sie der Prince Charming, der sie aus ihrem Aschenputtel-Dasein – zeitweise ging sie auch putzen und babysitten – erlöste. So ein Traumbild vermittelten ihr jedenfalls die erwähnten Cartland-Romanzen, die sie im Teenager-Alter verschlang. Über das böse Erwachen, das sie in der Mühle derWindsors erlebte, wurde viel gedreht und geschrieben. Über ihre eigene Naivität sollte sie sich späterselbst mokieren. Oder in den Worten der preisgekrönten britische Autorin Hilary Mantel, die inRomanen wie „Wölfe“ die Strukturen der englischen Monarchie sezierte: „Sie war eine junge Frau, dieglaubte, mit Delphinen zu schwimmen, während sie unter Haien unterging.“
Doch bekanntermaßen ging Diana nicht unter, allen psychischen Krisen und Anfällen von Bulimie und Selbstverletzung zum Trotz. Ein Jahr nach der Hochzeit findet sie einen ersten Anker: Sohn William, geboren 1982, gefolgt von Harry 1984. „Meine Mutter hat mich und meinen Bruder mit Liebe erdrückt,“ konstatiert der Ältere. Dass sie das Leben ihrer Kinder aktiver organisierte als das für die Frau des Thronfolgers üblich war, passt ins Bild. Und dass sie in der Öffentlichkeit ihre Mutterrolle zelebrierte,etwa indem sie den kleinen William auf eine Australien- und Neuseelandtour mitnahm, formte das Image der mitfühlenden Herzprinzessin.Freilich, die Grundbefindlichkeiten änderten sich dadurch nicht, wie die wachsende Entfremdung von den Windsors zeigte. Doch eine fundamentale Lebensunsicherheit kann einen Vorteil haben: Wer sich selbst anzweifelt, wer sensibel auf seine Umgebung reagiert, der verknöchert innerlich nicht.
Verletzlichkeit kann auch Offenheit bedeuten. Zumindest tut sie das, so möchte man mutmaßen, im Fall Dianas, der man schon zu Schulzeiten eine hohe emotionale Intelligenz attestierte. Sie zog sich nicht hinter den Schutzpanzer ihres Standes zurück, weil sie keinen hatte – oder zumindest, weil dieser wesentlich dünner war. Um es auf eine Formel zu bringen: Statt Etikette verkörperte sie Emotionalität.Und diese Emotionalität könnte sehr wohl aus der Kindheitserfahrung gespeist gewesen sein, dass aller Glanz und Gloria keine persönliche Erfüllung – oder um es schlicht zu formulieren: Glück – bringt.
Mit dieser Offenheit wandte sich Diana den Menschen zu, die die Verwerfungen des Lebens auf andere, noch gnadenlosere Weise kennengelernt hatten. Um noch einmal Hilary Mantel zu zitieren: „Sie bewegte sich auf das Leiden zu, anstatt ihm auszuweichen.“ Dass gekrönte Häupter ihre Privilegien auch damit rechtfertigen, dass sie sich wohltätigen Zwecken widmen, ist nicht neu. Aber bei Diana erreichte das eine besondere Qualität. Nicht zuletzt, weil sich hier eine im Innersten verwundete und empfindliche Person, die sich ihrem royalen Umfeld zumindest zum Teil als Außenseiterin erlebte, anderen Menschen stellte, die in ihrer Welt mit anderem Leiden konfrontiert waren. Das erklärt Sätze, die man in ihrer Intensität wohl nie von einem Mitglied des britischen Königshauses erwartet hätte: „Wenn Menschen sterben, dann sind sie viel offener, viel verletzlicher und viel realer als andere Leute.“ Und sie verband diese Fähigkeit des Mit-Leidens mit einem Bewusstsein für die Wirkmacht von Medienbildern. Bestes Beispiel ist ihr Besuch eines Krankenhauses in London 1987, bei dem sie einem AIDS-Patienten die Hand hielt – um mit den berühmt gewordenen Aufnahmen den Kranken ihr Stigma zu nehmen. Und sie beließ es nicht bei der Geste, sondern fügte unmissverständlich hinzu: „Es ist nicht
gefährlich, Menschen, die an HIV leiden, kennenzulernen. Du kannst ihnen die Hände schütteln und sie umarmen. Das können sie Gott weiß gebrauchen.“ Bei Besuch in Leprakrankenhäusern wiederum suchte sie den körperlichen Kontakt mit Erkrankten. In dieses Bild passte es auch, dass sie eine enge Freundschaft zu Mutter Teresa entwickelte, deren Hospiz in Kalkutta sie besuchte. Und als sie sich gegen den Einsatz von Landminen engagierte, ließ sie die Realität näher an sich heran als man das von Menschen ihres Status gewohnt war: 1997 durchquerte sie einen Streifen eines Minenfelds in Angola – vor laufenden Kameras versteht sich. Denn das war ihre bewusste Strategie: „Ich möchte die Wirkung von Fotos nutzen, um eine Botschaft über wichtige Werte zu vermitteln.“
War sie in ihrer Gefühlsbetonung nahe an den Befindlichkeiten der Gesellschaft, die die emotionalen Verkrustungen der Nachkriegsjahrzehnte abschüttelte, so war sie es auch in ihrem Stilbewusstsein. Sie war auch ein „material girl in a material world,“ deren Regeln sie immer besser beherrschte. Sie entwickelte ihren persönlichen, legeren Dresscode für Besuche in wohltätigen Einrichtungen, weil da - in ihren Worten - „herunterbaumelnde Juwelenketten“ nur gestört hätten, arbeitete eng mit Designerinnen wie Donatella Versace oder Catherine Walker. So verdiente sie sich ein Label, das längst inflationär benutzt wird, aber in ihrem Fall tatsächlich zutrifft: Sie wurde zu einer Stilikone, die „Kleider dadurch verkaufen konnte, indem sie sie nur anschaute,“ wie ein Journalist bemerkte. Doch ihre Nähe zur populären Kultur, auch ersichtlich in Freundschaften zu Stars wie Elton John oder Freddie Mercury, war ein zweischneidiges Phänomen. Sie brauchte die Medien, und die Medien brauchten sie.
Das zitierte BBC-Interview von 1995 ist das beste Beispiel. Einerseits nutzte sie das, um sich mit dem Schlagwort „Königin der Herzen“ publikumswirksam zu positionieren, andererseits kam dieses Interview nach neuesten Erkenntnissen nur deshalb zustande, weil Journalist Bashir Diana und ihren Bruder mit gefälschten Unterlagen getäuscht hatte. Und das war die Crux: Gerade, weil Diana eine neue, moderne Art von Adel verkörperte, verfügte sie nicht über eine ausreichende Lobby im royalen System. Infolgedessen fand sie eine andere in der Öffentlichkeit. Doch deren Vertreter verfolgten ihre eigene Agenda. Um es dramatisch-plakativ auszudrücken: Sie bestieg den Thron der Königin der Herzen, aber
unter denjenigen, die sie daraufsetzen, waren auch die Verschwörer, die sie zu Fall bringen sollten.
Diese Verstrickungen verdichteten sich in den Tagen vor ihrem Tod: Am 17. Juli 1997 hatte Prince Charles eine üppige Geburtstagsparty für seine Freundin Camilla Parker Bowles veranstaltet. Rund zwei Wochen später – ob Zufall oder nicht, sei dahingestellt – zeigte sich Diana ohne Scheu vor den Fotografen mit ihrem neuen Boyfriend, dem Unternehmer Dodi Al-Fayed in St. Tropez und sorgte Tage lang für titelseitenträchtige Aufnahmen. Selbst wenn man Paparazzi nicht immer beim Wort nehmen sollte, sei doch der Fotograf Frederic Garcia zitiert: „Uns allen war klar, dass Diana dem britischen Establishment zeigen wollte, dass sie frei war.“ Das alles wäre nur eine belanglose Randnotiz in der ohnehin nicht sehr denkwürdigen Geschichte der Klatschpresse, wäre dies nicht der Beginn eines Dramas mit tödlichem Ausgang gewesen. Offenbar wurden die Fotografen, angefeuert durch diese sensationsträchtigen Entwicklungen, in den Wochen darauf immer zudringlicher. Bis zum Abend des 30.12 August in Paris. Dianas Chauffeur lieferte sich eine Verfolgungsjagd mit den Paparazzi, im Seine-Tunnel prallte das Auto gegen einen Betonpfeiler. Das Ende ist bekannt.
Und doch war das nicht das wahre Ende. Es ist ein bekanntes menschliches Phänomen, dass erst nach dem Verlust die wahre Bedeutung einer Person oder eines Gegenstands erkannt und geschätzt wird. So ist denn auch der letzte Akt dieses Lebens von einem mythenträchtigen Nimbus umgeben. Rund eine Million Menschen drängten sich in den Straßen Londons, um ihr das letzte Geleit zu erweisen. 2,5 Milliarden sollen das Begräbnis weltweit am Fernsehschirm verfolgt haben – rund dreimal so viel wie bei ihrer Hochzeit. Und auch ihre Familie bewies Sinn für mythologische Symbolik: So wie ein König Artus auf die Insel Avalon entrückt wurde, so liegt Diana auf einer kleinen Insel in einem künstlichen See auf dem Familiengrundstück begraben.
Auf diese Weise bekam ihre Biografie eine Symbolkraft, die kaum abgeklungen ist. Anlässlich des ersten Todestages schrieb der britische Journalist Andrew Marr Zeilen, die streng genommen auch aus dem Jahr 2021 stammen könnten: „Mit Dianas Tod starrte England auf sein Spiegelbild und vermochte sich selbst nicht wiederzukennen. Denn sein Gesichtsausdruck war nicht mehr schweigsam verschlossen und verkrampft. Seine Hautfarbe war nicht mehr weiß. Diana war die Königin eines anderen Landes – multikulturell, liberal und emotional offen.“ Diese Lektion lernte man auch im Königshaus, das sich wesentlich publikumsnäher zu zeigen begann. „Die Windsors verdanken ihren Fortbestand ihrem Vorbild,“ so der Guardian-Kolumnist Jonathan Freedland. Und so weiß denn auch Sohn William: „Im normalen Alltagsleben müssen wir offener und direkter mit unseren Gefühlen umgehen.“ Wenn man nun Diana als Märchenprinzessin bezeichnet, so ist das bei weitem nicht so kitschig gemeint, wie das klingt. Denn was sind Märchen? Bildkräftige Geschichten über Charaktere, die traumatisierende, hoch schmerzvolle, lebensgefährliche Erfahrungen durchmachen. Glückseligkeit gibt es erst als Schlussakkord. Und nur wegen dieser Verwerfungen und Grausamkeiten prägen sich Märchen überhaupt erst ein. Was wäre Rotkäppchen ohne den bösen Wolf? Schmerz und Tod gehören unabdingbar zu der Geschichte von Diana Spencer. Aber genau deshalb gilt: Auch wenn sie gestorben ist, so lebt sie noch heute.
Foto:
©Verleih
Info:
Spencer (Deutschland, Großbritannien 2021)
Originaltitel: Spencer
Genre: Drama, Biopic
Filmlänge: ca. 117 Min.
Regie: Pablo Larraín
Drehbuch: Steven Knight
Darsteller: Kristen Stewart, Timothy Spall, Jack Farthing, Sally Hawkins, Sean Harris, Richard Sammel, Amy Manson, Jack Nielen, Freddie Spry u.a.
Abdruck aus dem Presseheft