Serie: Die angelaufenen Filme in deutschen Kinos vom 16. Januar 2014, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schwierig. Schwierig ist es überhaupt, das Grauen der Judenvernichtung durch die Nationalsozialisten, sei es in den Konzentrationslagern oder durch Mord an einem anderen Ort, in einem Film wiederzugeben. Und dennoch haben erst Filme wie Claude Lanzmanns SHOAH oder auch die Fernsehserie um die FAMILIE WEISS eine breite öffentliche Aufarbeitung der Naziverbrechen in Deutschland zuwege gebracht.
DAS RADIKAL BÖSE
Daß dies auch diesem ambitionierten Film des österreichischen Regisseurs Stefan Ruzowitzky, der mit seinem wunderbaren FÄLSCHER einen Oscar erhielt, gelingen könnte, hoffen wir zwar, bezweifeln es aber. Das hat auch mit dem zu tun, was die Filmindustrie 'setting' nennt. Stefan Ruzowitzky weist in dem Heft zum Film selber auf die besonderen Bedingungen des Claude Lanzmann hin, der einerseits noch massenhaft ZEITZEUGEN befragen konnte, die das Grauen schilderten, so daß der Zuschauer die bildlichen Szenen im eigenen Kopf nachvollzog. Andererseits galt: „In Deutschland und Österreich war die Tätergeneration an der Spitze der Gesellschaft angekommen und mußte auch aus dem Kinosaal heraus mit ihrer Schuld und Verantwortung konfrontiert werden – Kiesinger, Filbinger und Waldheim stellvertretend für Viele.“
Und diese gesellschaftliche Diskussion wurde zumindest in der westlichen deutschen Bundesrepublik in späteren Jahren dann auch geführt, weitgehend mit Erfolg. Anders sah es mit FAMILIE WEISS aus, einer Produktion aus den USA, wo am Schicksal einer Familie das vermittelt werden konnte, was bei politischen Diskussionen immer zu kurz kommt, weil mit Worten nicht darstellbar: das rein Menschliche. Hier geht es nämlich ohne deren Schuld, allein durch angebliches oder auch wirkliches Jüdischsein, einer Familie von Deutschen an den Kragen; Täter sind die anderen Deutschen und keiner aus der Bevölkerung hat etwas gesehen oder gewußt, was nicht ganz stimmt, denn auch in diesen Filmen gibt es ein differenziertes Deutschenbild.
Stefan Ruzowitzky will und macht nun etwas ganz anderes. Erstens geht es nicht um die Konzentrationslager, deren „Radikal Böses“ weitgehend bekannt ist, sondern um die systematische Erschießung jüdischer Zivilisten durch deutsche Einsatzgruppen in Osteuropa, die auf zwei Millionen Menschen geschätzt wird. Wer waren die Täter? Was heißt 'Einsatzgruppe'? Nichts anderes als junge und ältere Männer, die auf Befehl zu Tötungsmaschinen wurden, und wahllos Babys, Kinder, Frauen, Männer erschossen. Sehr wenige haben dazu 'nein' gesagt.
Deshalb will Stefan Ruzowitzy deren Tun psychoanalytisch hinterfragen, will wissen, was mit solchen Menschen passiert, die zu Tätern werden und zwar zu Massenmördern, wofür ihm wissenschaftliche Untersuchungen mit erstaunlichen Ergebnissen Erklärungen bieten. Damit will er auch das mörderische Tun dieser – wie gesagt, es geht nicht um die KZs - als einen Genozid brandmarken, vergleichbar anderen Genoziden, wofür beispielsweise in der Literatur in den letzten Jahren Goldhagen steht. Der Regisseur will auf der Suche nach den Ursachen des RADIKAL BÖSEN – Hannah Arendt wollen wir nun nicht bemühen - die Täter über ihre Briefe, ihre Tagebuchaufzeichnungen, über Gerichtsprotokolle von Polizisten und ganz 'normalen' Soldaten von Erschießungskommandos “entlarven“.
Das Wort ist von uns, Ruzowitzky geht viel analytischer vor und läßt in seinem, von ihm selbst als 'nicht-fiktional' bezeichneten Film, aus dem historischen Material gewonnene Szenen von heutige Schauspielern und vielen Komparsen nachspielen. Dabei erscheinen eher selten die Morde im Bild, sondern eben auch 'normales' Alltagsleben von Soldaten, während wir über die schriftlichen Quellen gleichzeitig die Geschehen hören, wir sehen, wie sich die Einsatzkräfte aneinander reiben, sich mit dem anderen stärker machen oder einfach heraumalbern. Wir haben also auf einen Schlag mit sehr vielen Personen, Biographien, Schicksalen – Täter und Opfer – zu tun und mit psychologisch und psychoanalytisch geschulten Helfern, also denen, die erklären sollen, wie auch einem 25jährigen Vater - der zu Hause gerade sein drittes Kind gezeugt hatte und von der Mama einen neu gestrickten Pullover ins Feld mitbekam und von der Frau einen Kuchen, von den Kindern selbstgemalte Bilder - , wie aus so einem normalen Familienvater ein Massenmörder wird.
Ehrenwerter Versuch, aber er geht nicht auf. Da das Thema gleichzeitig gesellschaftlich das sicher wichtigste unserer Generationen bleibt, tun wir uns schwer daran, dem Regisseur ein filmisches Scheitern zu attestieren. Denn sicher werden Zuschauer hier Dinge hören und sehen, von denen sie nichts wußten, und das ist allemal gut. Gemessen aber an dem, was Ruzowitzy wollte, nämlich das RADIKAL BÖSE erklären zu können, muß er scheitern. Uns kann man noch so viel, und sei es auch psychoanalytisch begründet, erklären, wir werden nie, nie, nie verstehen können, wie diese Verbrechen, ein Völkermord an deutschen und ein Völkermord an osteuropäischen Juden geschehen konnte.
Es bleiben die Bilder. Manche setzen sich fest, wenn Ruzowitzky aus der Vogelperspektive – warum mußten wir nur immer an Lars von Trier und seinen Film DOGVILLE denken – das Grauen am Boden filmt, wie beispielsweise diese unsagbare Szene, die wie ein Ballett daherkommt, als eine am Boden liegende Frau von einem Mann geschlagen und vergewaltigt wird, der später wiederkommt, sie erneut vergewaltigt und ermordet. Hierbei geht es jetzt nicht um die Psyche des Mannes, sondern darum, daß diese Vergewaltigungen und den späteren Mord sehr viele Menschen mitbekommen haben, zugesehen haben und keiner sich gerührt hatte, weder beim ersten Mal, noch beim zweiten Mal.
Das ist so unerträglich, daß einem auch dabei keine analytischer Erklärung hilft und man gerne entgegnen möchte, aber der und der, der hat doch etwas getan. War aber nicht. Folgerungen wären für unsere Gesellschaft sofort zu ziehen. Wo ist heute nicht sooft das Wegsehen mit im Erziehungsprogramm integriert, was dann auch noch als Toleranz verkauft wird. Sich öffentlich zu wehren, wenn Unrecht an anderen geschieht, dies nicht zuzulassen, wäre eine Konsequenz, die nun über eine Filmbesprechung weit hinausgeht, aber die eigentliche Rolle spielt
Zwei aber spielen eine Rolle, weshalb wir den Film also aus ganz anderen Gründen sowieso angeschaut hätten: Benjamin Ferenc, den wir als jungen Juristen aus den Filmen der Nürnberger Prozesse kennen und der nun alt geworden uns die Lebensspanne von damals zu heute zeigt. Den französische Holocaustforscher Père Desbois kannten wir weniger, sind aber froh, jetzt mehr zu wissen. Und wenn allein die Tatsache, daß auch außerhalb der Gaskammern so viele Menschen im Namen der Deutschen in Osteuropa umgekommen sind, durch diesen Film bekannter würde, wären wir froh. Wir finden diesen Film schwierig, mehr als schwierig. Oft unerträglich. Aber notwendig.
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