binocheDie 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar (4)

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) -„Ihr Deutschen immer mit Eurer Liebe, wir dagegen wollen viele Kinder haben und dann Familie machen“, meckert die türkische, aber mittlerweile auch ziemlich deutsch gewordenen Mutter Murats im Film „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ (wir berichteten). Doch diese Berlinale ist ein Festival der Liebesfilme aus vielen Ländern:



„Wir haben in diesem Jahr mehr Liebesgeschichten gesehen - und mit Freuden gesehen - als je zuvor: verrückt, unwahrscheinlich, unerwartet und berauschend“, meinte Carlo Chatrian, der Künstlerische Leiter des Filmfestivals vorab im Programmheft. Im Folgenden einige Beispiele aus dem Werttbewerb, die mich begeistert haben.

Ob Sara (Juliet Binoche) in Paris oder Nana (Happy Salma)in Indonesien, beide sind glücklich verheiratet und leben ein neues Leben, ihre ersten Männer haben sie vergessen. Doch in Anna brechen alle alten Wunden wieder auf, als sie ihre alte Liebe wiedersieht („Avec amour et acharnement“). Nana trennt sich, sogar einvernehmlich von ihrem Ehemann, als der Totgeglaubte nach vielen Jahren wieder auftaucht („Nana“). Doch die alten Lieben sind den Frauen fremd geworden - und sie entscheiden sich jeweils für ihre Freiheit. Beides sind sehr elegische, langsam erzählte Geschichten, auf die man sich einlassen muss. In dem französischen Streifen spielt sogar Corona mit, ständig müssen Masken aufgesetzt und - beispielsweise beim Küssen - wieder abgesetzt werden

Ein junges, frisch verliebtes Paar überlebt den islamistischen Anschlag auf den Konzertsaal Bataclan 2015 in Paris, bei dem zahlreiche junge Menschen im Namen Allahs bestialisch ermordet wurden. Während sie scheinbar locker damit umgehen kann, ist ihr Freund tief traumatisiert, schmeißt seine Arbeit hin und zieht aus. Doch beide finden, nach langen schweren Auseinandersetzungen, am Jahrestag des Überfalls wieder zueinander („Ein Jahr, eine Nacht“). Der Spielfilm verdichtet zahlreiche Gespräche und Interviews mit Überlebenden.

In den Schweizer Bergen findet die sitzengelassene Anna (Michèle Brand) mit ihrer kleine Tochter doch noch einen Mann. Marco (Simon Wisler) ist ein Zugereister, für den diese Liebe „ein Traum“ ist. Doch die Dinge wenden sich so dramatisch wie die raue Landschaft, als nach der Hochzeit der beiden bei Marco ein Gehirntumor festgestellt wird. Dieser Film lebt von seinen langen, einfachen Bildern, zwischen denen gelegentlich ein Chor aufgereiht wird, der die Handlung gesanglich paraphrasiert („Drii Winter“).

Noch einmal nach Paris: Hier wurde Elisabeth (Charlotte Gainsbourg) von ihrem Mann verlassen. Sie hatte noch nie richtig gearbeitet, findet aber einen Job bei einer Nachtsendung im Rundfunk. Ihr Sohn verliebt sich in ein obdachloses Mädchen, mitgebracht von seiner Mutter, die sich nach einigen Affären ebenfalls verliebt. Ein in den 1980er-Jahren angesiedelter Film, der bis in alle cineastischen Details diese Zeit wiederaufleben lässt („Les passagers de la nuit“).

Über die amour fou „Peter von Kants“ (alias Rainer Werner Fassbinder), die verrückte Liebe eines älteren Filmemachers zu einem jungen Schönling, hatten wir bereits geschrieben. Es gibt noch einen chinesischen Film im Wettbewerb (Yin ru chen yan"), den ich aber noch nicht gesehen habe. Ein älteres Paar kommt durch ein typisches Ehearrangement zusammen und hat große Schwierigkeiten miteinander zu leben. Doch vielleicht entsteht nach einiger Zeit Nähe und Vertrauen.

Der beste und originellste Film über die Liebe ist für mich allerdings „A E I O U - das schnelle Alphabet der Liebe“ der deutschen Regisseurin Nicolette Krebitz. Da ich doch sehr hoffe, dass sie den Goldenen oder wenigstens einen Silbernen Bären gewinnt, schreibe ich darüber dann nach der Preisverleihung.

Die Berliner Zeitungen favorisieren übrigens den Schweizer Film „Drii Winter“ für einen Goldbären.

Foto:
Juliette Binoche mit Vincent Lindon in „Avec amour et acharnement“
(c) Berlinale / Gaelle Rapp