
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Es beginnt mit dem harten schwarz-weiß Kontrast eines bildfüllenden, sich drehenden Schachbretts, das abgelöst wird von einer flackernden Birne an der Decke. Wer den Inhalt kennt, weiß um die Anspielung auf die später folgende Inhaftierung und Folterung des Anwalts Dr. Josef Bartok /Oliver Masucci ), wer ihn nicht kennt, fühlt den Schauer dennoch. Aber dann sind wir mit ihm schnell mitsamt seiner Ehefrau Anna Bartok (Birgit Minichmayr) in Sicherheit und aus dieser heraus erzählt der Film nun den Beginn. Kurz bevor die Deutschen teils umjubelt in Österreich einmarschieren und das Land ‚angeschlossen‘ wurde, was sich übrigens übermorgen zum 84. Mal jährt, so daß die SCHACHNOVELLE gerade heute vor 84 Jahren beginnt,
geht einerseits das Leben weiter, für die Oberen Zehntausend in einem rauschhaften Fest, für die Nazis im vorauseilenden Gehorsam im siegreichen Fackelzug, für die Verfolgten (Juden und politisch Oppositionelle) einerseits durch überstürzte Abreise unter Zurücklassung ihres Vermögens, andererseits durch Verhaftung, Verhöre, Folter, Tod. Auch der Anwalt und Notar Bartok wurde von einem Freund dringend zur Flucht aufgefordert, seine Frau schickt er sofort los, aber er muß erst noch in seiner Kanzlei Papiere verbrennen, wobei wir ihn memorieren hören: er lernt die Schweizer Nummernkonten auswendig. Denn seine eigentliche Aufgabe, vom Vater übernommen, ist die Vermögensverwaltung für den österreichischen Adel, deren Unterlagen er gerade vernichtet. Auf dieses Geld und diese Papiere haben es die Nazis, hier die Gestapo abgesehen, die in Franz-Josef Böhm (Albrecht Schuch ) ihren scharfdiskutierenden, kulitvierten Vollstrecker haben. Das intellektuelle Scharmützel zwischen beiden funkelt, aber anschließend erfährt Bartok die ‚Sonderbehandlung‘. Dieser folgt der Film nun nicht linear, sondern springt in den Zeitebenen, wobei die Schiffsfahrt die entlastende Gegenwart ist, in der der Gefängnisaufenthalt im Wiener Hotel Métropole in flackernden Erinnerungen ihn bestürmt, aus dem Schlaf reißt, ihn ängstigt und nicht losläßt.
Der Dampfer ist nach Buenos Aires unterwegs, wo 1942 die Erstausgabe der Schachnovelle mit gerade mal 250 Exemplaren erscheint, die Zweig in seinem brasilianischen Exil als letztes Werk vor seinem Selbstmord niederschreibt. Es wird sein berühmtestes Werk, ein Dauerbrenner, auch dank seiner inhaltlichen und formalen Komprimiertheit als Schullektüre geeignet und vielfach genutzt. Und im übrigen erst einmal verfilmt. 1960, das war nur 18 Jahre nach dem Erscheinen, während die letztjährige Verfilmung auf 79 Jahre zurückblickt.
Der Film steuert nun auf das eine der zwei Zentren zu: der Gestapomann denkt immer noch, er könne den Anwalt zur einer Aussage über die Nummernkonten der europäischen Banken, an die die Nazis nur mit deren Kenntnis rankommen, verführen. Dafür ist Albert Schuch wirklich der richtige Schauspieler und Oliver Masucci in seinem Doppelspiel das Pendant, indem er einerseits so tut, als würde er beim Foltern den geforderten Nachweisen durch heftiges Niederschreiben nachkommen, was sich jedoch jedesmal als Homerzitate und zwar die Odyssee herausstellt.
Das andere Zentrum in der Zeitebene ist die Gegenwart auf dem Schiff, wo das ganze Schiff gegen den mitfahrenden Schachweltmeister Mirko Czentovic spielt, den ebenfalls Albrecht Schuch gibt, was erst am Schluß überdeutlich wird. Die Anordnung solcher Schachspiele kennt man aus Bildern, wo an langen Tischen Schachbretter aneinandergereiht sind und die Gegenspieler lange knobeln, der Schachweltmeister aber am inneren Rand entlang in Sekundenschnelle seine Züge setzt – und immer gewinnt. An Owen McConnor (Rolf Lassgård) beißt er sich etwas die Zähne aus. Der will nicht aufgeben, mitsamt seiner Entourage, doch als der gerade einen Zug machen will, flüstert ihm Bartok zu: „Nicht ziehen“ und zeigt ihm stattdessen, wie er sich mit einem Remi aus der Affäre ziehen kann. Dies gelingt. Zum ersten Mal gewinnt der ungarische Schachweltmeister nicht und hat im Anwalt seinen Meister gefunden. Doch hatte Bartok gleichzeitig zum ersten Mal in seinem Leben beim Schachspielen eine echte Schachfigur berührt.
Diesen, für die Zuschauer sichtbaren Widerspruch, lösen die nächsten Szenen auf. Da sind wir zurück im Hotel Métropole, wo der Gefangene bei einem Verhör ein Schachbuch liegen sieht und es unter seine Jacke schiebt. Dies Buch wird das Zentrum seines Widerstand und ihm das geistige Leben retten, wenigstens gegenüber den Nazis, die einfach nichts aus ihm herausholen, weil sein Kopf ständig mit den imaginären Schachfiguren auf dem vorgestellten Schachbrett beschäftigt ist: E 5 gegen.... Um an die Gelder ranzukommen, wird die Folter verschärft, der besonders sadistische NS-Scherge Johann Prantl (Andreas Lust) ertränkt ihn fast, dabei wird das Schachbuch und seine aus Brot geformten Schachfiguren gefunden, die sein Überleben sicherten. Doch er ist so weit fortgeschritten, daß er die gar nicht mehr braucht, sondern in seinem Kopf das Spiel fortsetzen kann.
Auf dem Schiff fordert nun der Schachweltmeister von ihm eine Revanche und gleichzeitig bietet ihm der Gönner McConnor einen horrend hohen Scheck, falls er sich auf dieses Schachspiel einläßt. Spätestens jetzt überträgt sich das Manische auch auf den Zuschauer, denn die Empfindung in der Zelle, das Eingesperrtsein, das flackernde Licht lassen das eine für das andere erscheinen. Gleichzeitig beginnt das Spiel E 2... mit viel Alkohol und im ständigen Schnitt wird gezeigt, wie der Gestapomann dem vermutet endlich geständigen Anwalt den Whiskey nachgießt, damit der die Zahlen schneller niederschreibt, die ihn in die Freiheit führen.
Doch mit der Freiheit hat es seinen Preis, den Bartok jetzt beim Schachspiel auf dem Schiff zahlt. Da sieht er im Publikum seinen NS-Peiniger sitzen, sein Geist ist verwirrt – und anders als in der Vorlage, wo zwar vom Schachwahnsinn und der Schachvergiftung gesprochen wird, aber durch Bartoks Entscheidung, nie wieder Schach zu spielen, die Dämonen gebannt sind, setzt sich hier der Wahn des Bartok fort.
Denn der Film geht an der literarischen Vorlage vorbei, der erfundene, dann erschossene Freund, die ständig gezeigt Ehefrau, mit der er am Schluß den Anfangswalzer wiederholt. Jetzt zeigen die Züge des Schachweltmeisters für Bartok eindeutig die des Gestapomanns. Die Szenen verschwimmen wie sein Lebern.
Doch wenigstens waren die aus dem Gedächtnis aufgeschriebenen Zahlen des Notars nicht die von Nummernkonten, sondern die von Schachspielen, was der ausgetrickste Gestapomann mit Anerkennung für den Freigelassenen in späterer Aufnahme mit „Alle Achtung“ quittiert.. . Warum Stölzl so viel dazu erfindet und den armen Mann in der Psychiatrie enden läßt, verstehe ich – ehrlich gesagt – nicht.
Es gibt EXTRAS
Sehr kurz äußern sich über das Buch die Schauspieler und die Produzenten.
Sie sprechen auch über den Zeitbezug, den man übrigens angesichts des Ukrainekriegs als noch aktueller empfindet.
Rolf Lassgård vergleicht sogar unsere Gegenwart mit damals, was man mit dem immer stärker werdenden Rechtsradikalismus interpretiert und worin er recht hat.
Andreas Lust sieht „gelebten Geschichtsunterricht“
Quintessenz: Gegen sich selbst Schachspielen. Schachspielen gegen die Nazis. Es geht ums Überleben.
Foto:
Cover und Verleih
Info:
Die Schachnovelle nach Stefan Zweig, verfilmt von Philipp Stölzl
Dr. Josef Bartok Oliver Masucci
Franz-Josef Böhm/ Mirko Czentovic Albrecht Schuch
Anna Bartok Birgit Minichmayr
Owen McConnor Rolf Lassgård
Johann Prantl Andreas Lust
Alfred Koller Samuel Finzi
Blu-ray
Label: Arthaus
Genre: Drama, History
Produktionsjahr: 2020
Produktionsland: Deutschland
Kinostart: 23.09.2021
FSK 12
Lauflänge: ca. 112 Min. Minuten
TECHNISCHE ANGABEN
Bild: 2,40:1 1080/24p Full HD
Sprachen/Ton: Deutsch (5.1 DTS-HD MA)
Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte
EXTRAS
Featurettes: Über das Buch | Ein Werk für die Gegenwart | Hinter den Kulissen, Making-of, Kinotrailer
ANGABEN ZUM VERTRIEB
Blu-ray im Verkauf ab 10.03.2022
Bst.-Nr.: 507237
EAN: 4006680096148
Als EST/VoD ab 24.02.2022
Label: Arthaus
Genre: Drama, History
Produktionsjahr: 2020
Produktionsland: Deutschland
Kinostart: 23.09.2021
FSK 12
Lauflänge: ca. 112 Min. Minuten
TECHNISCHE ANGABEN
Bild: 2,40:1 1080/24p Full HD
Sprachen/Ton: Deutsch (5.1 DTS-HD MA)
Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte
EXTRAS
Featurettes: Über das Buch | Ein Werk für die Gegenwart | Hinter den Kulissen, Making-of, Kinotrailer
ANGABEN ZUM VERTRIEB
Blu-ray im Verkauf ab 10.03.2022
Bst.-Nr.: 507237
EAN: 4006680096148
Als EST/VoD ab 24.02.2022