STOLZLSEUTSXHEDer Literaturklassiker in der Verfilmung von 2021 ab heute auf DVD/Blu-ray von Studiocanal, Teil 1

Philipp Stölzl 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die „Schachnovelle“ ist mir schon früh begegnet. Zweigs rätselhafte und bedrückende Erzählung hat sich mir damals eingebrannt und gehört zu den Geschichten, die mich in der einen oder anderen Form durchs Leben begleitet haben. Als mir Philipp Worm und Tobias Walker von ihren Plänen zu einer Neuverfilmung erzählten, habe ich mich sehr gefreut, interessiert das Drehbuch gelesen – und war begeistert.

Unser Ziel war es, einen sinnlichen, intensiven Kinofilm zu gestalten, der ein breiteres Publikum anspricht mit einer tollen Besetzung, einer dichten Inszenierung und einer starken Visualität, die die Leinwand wirklich ausfüllt. Der Kontrast zwischen der Klaustrophobie der Haft und der Weite des Schiffs, das durch den ewigen Nebel über den Atlantik nach Amerika stampft, schafft ein Spannungsfeld, in dem sich Zweigs literarische Metapher als „große“ Geschichte erzählen lässt.

Das Schöne am sehr beherzten Zugriff von Drehbuchautor Eldar Grigorian auf die SCHACHNOVELLE ist, dass er eigentlich so etwas wie eine Verdichtung des surrealen Geheimnisses darstellt, das der Novelle sowieso innewohnt. Die kafkaeske Tonlage, die Zweig für seine Erzählung gewählt hat, wird zur entscheidenden Inspiration auf dem Weg des Stoffes auf die Leinwand.

Da gibt es einmal ein intensives, beengendes Kammerspiel, in dem es um das Duell zwischen Bartok und dem Gestapomann Böhm geht, der ihn verhört und foltern lässt. Dann ist da die – scheinbare – Schiffsreise nach Amerika und an Bord das Spiel gegen den wortlos enigmatischen Schachweltmeister. Der ständige Nebel gibt der Fahrt etwas Irreales, als wäre der Ozeanriese eine Totenfähre, die Passagiere nur Geister. Dass sich das Ganze dann als Traum in Bartoks Kopf herausstellt, ist deshalb keine Pointe und Überraschung im eigentlichen Sinn, sondern eher der finale Akkord eines düster-poetischen Gedichts. Und zuletzt der Kampf des Häftlings gegen seinen eigenen Wahnsinn in der Isolationszelle, dem er mit seinem „Schach im Kopf“ zu entrinnen versucht und gleichzeitig immer weiter hineinrutscht. Hier ist der Film ein intensiver Trip, denn wir sind ganz nah dran an unserer Hauptfigur und begleiten sie hinab in den Abgrund und die geistige Verwirrung.

All diese Erzählebenen sind im Film ineinander montiert und ergeben zunächst einen „Sinn“. Doch je länger Bartok in der Isolationshaft sitzt und die Bodenhaftung in der Wirklichkeit verliert, je rätselhafter die Dinge auf dem Schiff werden, desto mehr verliert sich auch der Zuschauer in einem Labyrinth, das einem bedrückenden Wachtraum gleichkommt. Insofern wird in diesem Film, so glaube ich, aus Zweigs eher distanzierter Versuchsanordnung ein kathartisches, intensives und emotionales Vexierspiel, das hoffentlich auch die Zuschauer im wahrsten Sinn des Wortes fesselt und ergreift.

Das Ende dieses Films hat Zweig so nicht geschrieben. Aus seinem kargen, trostlosen Novellenende spricht die Angst vor der kommenden Weltherrschaft der Nazis. Wir wissen aber, dass es anders gekommen ist, dass es nach düsterer Nacht wieder hell geworden ist. Und wir wollen, dass die Zuschauer mit dieser sinnstiftenden und Mut machenden Gewissheit aus dem Film gehen.

Hinter all dem steht noch die wahre Geschichte, die vom Anschluss Österreichs an Nazideutschland handelt. Diese politische Ebene der SCHACHNOVELLE macht den Film zeitlos aktuell, denn sie erzählt, wie wahnsinnig schnell eine scheinbar fest verankerte freie Welt umkippen kann in eine Diktatur des Unrechts. Sie erzählt, wie dünn die Hautschicht der Zivilisation ist und wie unmittelbar darunter die Barbarei liegt. Und sie mahnt auf diese Weise zur Wachsamkeit.

Philipp Stölzl, 19. Oktober 2020

Foto:
Deutsche Oper Berlin

Info:
Die Schachnovelle nach Stefan Zweig, verfilmt von Philipp Stölzl
Dr. Josef Bartok            Oliver Masucci
Franz-Josef Böhm/ Mirko Czentovic               Albrecht Schuch
Anna Bartok                  Birgit Minichmayr
Owen McConnor           Rolf Lassgård
Johann Prantl                Andreas Lust
Alfred Koller                  Samuel Finzi

 Abdruck aus dem Presseheft