adam 01Eine anrührende Geschichte aus Casablanca , ab heute als DVD von Grandfilm, Teil 1

Maryam Touzani

Nürnberg (Weltexpresso) - Adam ist die Geschichte zweier einsamer Seelen, die erst aufeinanderprallen müssen, ehe sie sich zu verstehen, unterstützen und schätzen lernen. Es sind zwei Frauen, gezeichnet von ihrem je eigenen Schicksal, vor dem sie – letztlich doch erfolglos – zu fliehen versuchen. Samias Leben wird bestimmt von dem Kind, das sie in sich trägt und allmählich in ihr heranwächst. Abla dagegen ist gezeichnet von Kummer und Leid; ein plötzlicher Tod und tiefe Trauer haben sie in eine bittere, fast geisterhafte Person verwandelt.

Wohl oder übel sind die Frauen nun dazu gezwungen, sich dem Leben zu stellen, mit all seinen schönen, wie auch mit seinen grausamen Seiten. Und im Mittelpunkt steht die Geburt, die Mutterschaft. Dieses Ereignis, das uns überwältigt und unsere Urinstinkte weckt, ganz gleich wie tief sie auch verschüttet sein mögen. Das Leben drängt sich auf, in der Gestalt von Adam, genauso wie der Tod, in all seiner Allmacht. Zu dem Film inspiriert hat mich eine tatsächliche Begebenheit. Ich kannte eine junge Frau – vieles von ihr sehen wir hier in Samia wieder – , die auf der Flucht vor ihrer Familie in Tanger gelandet war, nachdem sie schwanger geworden und von dem Mann verlassen worden war, der ihr versprochen hatte, sie zu heiraten. Aus Angst und Scham hatte sie weder ihren engen Freunden und Freundinnen noch ihren Verwandten von der Schwangerschaft erzählt und sie monatelang geheim gehalten. Weit weg von zu Hause hoffte sie, ihr Kind heimlich zur Welt zu bringen und es vor der geplanten Rückkehr in ihr Dorf wegzugeben.

Meine Eltern nahmen die junge Frau bei sich auf, obwohl sie sie gar nicht kannten. Ihr Aufenthalt sollte nur einige Tage dauern, doch sie blieb mehrere Wochen, solange, bis ihr Kind schließlich geboren wurde.

Diese Samia war sanft, introvertiert; sie liebte das Leben. Sie war oft beschwingt und lebensfroh, doch ich sah ihren Schmerz. Und vor allem sah ich, wie innerlich zerrissen sie über dieses Kind war, von dem sie glaubte, es aufgeben zu müssen, um mit ihrem Leben weiterzumachen. Ich sah, wie sie sich zunächst bewusst weigerte, das Kind zu lieben. Ich sah, dass sie es nicht ansehen, berühren oder annehmen wollte, doch auch, wie dieses Kind sich ihr allmählich aufdrängte und wie ihr mütterlicher Instinkt langsam erwachte, den sie so sehr unterdrücken wollte. Ich sah, wie sie dieses Kind liebte, wie sie es mit der unerschütterlichen Liebe einer Mutter liebte, obwohl sie doch wusste, dass ihre Zeit mit ihm zu Ende ging.

An dem Tag, als sie ihr Kind weggeben wollte, wollte sie zeigen, wie stark und würdevoll sie doch war. Ich hielt sie für ungeheuer mutig, erst recht, weil ich das Leid spüren konnte, das dieser Schritt für sie bedeutete. Gleichzeitig hoffte ich tief in meinem Inneren, dass sie es behalten und sich der Gesellschaft, ihren Eltern, ihrer Familie stellen würde.

 Ich war ganz sicher ziemlich naiv und bin es wahrscheinlich immer noch. Ich hatte damals keine Ahnung, dass ich diese Frau und ihre Geschichte so viele Jahre lang in mir tragen würde. Als ich selbst Mutter wurde, verspürte ich den Drang, diese Geschichte zu erzählen. Zu ihr traten nun meine eigenen Wunden, meine Verlusterfahrungen, die Verzweiflung, die man empfinden kann, die Verleugnung und die unbewältigte Trauer. Doch da war auch meine Freude, eine Mutter zu sein. So nahm ADAM langsam Gestalt an.

Von Anfang an sah und fühlte ich alles durch Bilder. Die Geschichte meiner Figuren zu erzählen, zu versuchen, ihrem wahren Selbst so nahe wie möglich zu kommen und das hervorzubringen, wurde zu einer Notwendigkeit – zu etwas Essenziellem. Ich entschied mich, eine einfache Geschichte zu schreiben, weil ich den Zuschauer*innen einen möglichst einfachen Zugang zum Innenleben der Figuren bieten wollte, ohne große Kunstgriffe.

Für mich ist die Geschichte dieser beiden Frauen – ihre Begegnung, das, was sie sind und was sie werden – der Kern dessen, was ich erzählen wollte. Daher die Entscheidung, sie hinter verschlossenen Türen zu halten. Ich schuf so etwas wie eine Theaterbühne, mit dem Schaufenster der Bäckerei als einziger Öffnung zur Welt. Ich habe auch in der Regie Einfachheit gesucht, wie in den Emotionen, die ich beschreibe, weil ich glaube, dass es einen Zusammenhang zwischen diesem reduzierten Ansatz und dem gibt, was ich erforsche.

Meine Kamerafrau Virginie Surdej und ich strebten einfache und formale Bilder an, die in erster Linie die Tiefe der Beziehung zwischen Abla und Samia abbilden, die den Figuren Zeit lassen und es ihnen erlauben, ihren eigenen Rhythmus zu bestimmen. Meine Kamera sollte Vehikel sein für das, was sie ausdrücken, sie sollte sie manchmal aber auch beobachten, einen Schritt zurücktreten, ihr Leben und ihre Momente der Innerlichkeit gleichsam aufsaugen.

Eher statische und bewegliche Aufnahmen wechseln sich deshalb ab – je nach Stimmung wirken sie mal aggressiver, dann wieder zerbrechlich. Die Bewegung der Figuren, die Art und Weise, wie sie sich in diesem zentralen Raum bewegen, der sie gleichermaßen zusammenbringt wie er sie voneinander trennt, verändert sich nach und nach, so wie sie selbst sich allmählich verändern. Während sich die Bande knüpfen, wird das Licht auf der Terrasse und in den Schlafzimmern heller, durchdringender. So folgt das Licht den Figuren und ist, genau wie das Haus, ein stilles und subtiles Element ihrer inneren Reise.

Adam ist auch ein Film über Stimmungen und Empfindungen, ein Film, in dem wir – durch Bilder und Ton – diesen beiden Frauen auch körperlich nahekommen, zum Beispiel über die Hände, die sinnlich gefilmt Teig kneten. Ich wollte noch in den kleinsten, vermeintlich unbedeutendsten Gesten Bruchstücke ihrer Seelen zeigen. Ich wollte hier und da ein Detail zeigen und Frauen in ihrer körperlichen Hülle. Ich wollte ihre Wahrheit auf die Leinwand bringen und ihr Schweigen sprechen lassen.

Fast unbemerkt kroch Adam auch unter meine Haut, er entwickelte sich und wuchs in mir, jahrelang. Heute fühle ich mich bereit, ihn zum Leben zu erwecken.


AUSZEICHNUNGEN:
Internationale Filmfestspiele Cannes 2019 – Un Certain Regard
Cairo International Film Festival 2019 – Arab Stars Of Tomorrow Award
Chicago International Film Festival 2019 – Roger Ebert Award
Oscars 2020 – Best foreign picture – offizieller Beitrag Marokkos



Buch und Regie:
Maryam Touzani unter Mitarbeit von Nabil Ayouch

Besetzung:
Abla        Lubna Azabal
Samia     Nisrin Erradi
Warda.    Douae Belkhaouda
Slimani   Aziz Hattab
Rkia        Hasnaa Tamtaoui

DVD
Verleih: Grandfilm
Website: grandfilm.de/adam
Facebook: facebook.com/Grandfilmverleih
Filmlänge: 98 Minuten
Sprache: Deutsch, Arabisch
Untertitel: Deutsch
FSK: freigegeben ab 6 Jahren

Bildformat: 16:9 (1,85:1)
Ton DVD: Dolby Digital 5.1
Verkaufsstart: 11. März 2022
Verleih: Grandfilm
Website: grandfilm.de/adam
Facebook: facebook.com/Grandfilmverleih
Filmlänge: 98 Minuten
Sprache: Deutsch, Arabisch
Untertitel: Deutsch
FSK: freigegeben ab 6 Jahren

Bildformat: 16:9 (1,85:1)
Ton DVD: Dolby Digital 5.1
Verkaufsstart: 11. März 2022