adam1Eine anrührende Geschichte aus Casablanca , ab heute als DVD von Grandfilm, Teil 2

Claudia Schulmerich 

Nürnberg (Weltexpresso) - Das ist doch wieder einmal typisch. Das ist ein Film von zwei Frauen, ein Film von zwei Frauen und einem Mädchen, also drei weiblichen Wesen, die diesen warmherzigen, richtig schönen  Film tragen - aber der Filmtitel trägt einen männlichen Namen, den männlichen Namen überhaupt: ADAM. Doch ist einem das nach dem Anschauen völlig egal, denn dieser Film stellt mit einem etwas an, er verändert den Blick auf das eigene Leben, indem er erst einmal entschleunigt und den Zuschauer zwingt, sich zu fragen, wie er sich in solchen Situationen verhalten hätte, auch, wie er sich mit dem Baby entschieden hätte.
Es geht um die drei Frauen und einen zukünftigen Sohn, den Samia (Nisrin Erradi) gebären wird, die in den ersten Szenen auf einem Markt in Casblanca herumschlendert. Die Schwangerschaft ist ziemlich fortgeschritten, doch sie hat kein Zuhause. Erst später erfährt man, daß sie der Schwangerschaft wegen ihr Dorf verlassen mußte, denn sie hatten keinen Vater vorzuweisen, ist nicht verheiratet und mit einem unehelichen Kind kann weder sie, noch das Kind bei der Familie leben. Sie will rasch gebären, das Kind weggeben und schnell nach Hause zurückkehren. Doch, wer der Vater ist, bleibt unbekannt. Man denkt eher an eine Vergewaltigung, aber dafür gibt es gar keine Indizien, was einem deutlich macht, daß man vorschnell 'schlecht' denkt. 
adam2Samia bietet auf dem Markt und den Häusern drumherum ihre Dienste an, damit sie wenigstens irgendwo schlafen kann. Sie kann waschen, sie kann kochen, sie kann vor allem hervorragend backen, also wäre sie bei Abla recht am Platz, die eine Art  Straßenbäckerei hat. Doch die weist sie brüsk zurück, als sie bei ihr nachfragt. Nur deren Tochter Warda (Douae Belkhaouda), ein aufgewecktes, anteilnehmendes Mädchen, reagiert, als ob sie die Situation überblicke und setzt sich für den Verbleib von Samia ein. Abla verhält sich so zurückhaltend-abweisend und sie hat grundsätzlich ein so verschlossenes, ja trauriges Gesicht, daß es einen nicht wundert, als später im Film von ihrem Ehemann berichtet wird, der durch einen Unfall jäh aus dem Leben an ihrer Seite gerissen wurde. So versucht die Witwe, mit Backen das Leben zu meistern. 

Doch Samia, die sie für einige Tage aufnimmt, kann das alles viel besser. Mit ihr lernen wir eine Frau kennen, die sowohl mit ihrem Körper, mit Musik, mit Kleidung, mit Bewegung entspannt und sinnlich umgeht und die weiß, daß auch das Backen seine Geheimnisse hat, die über das Abwiegen von Zutaten weit hinausgehen. Ein Teig muß nicht nur auf bestimmte Weise geknetet werden, sondern auch gestreichelt. Das stimmt übrigens. Auf jeden Fall blüht das Geschäft auf, denn die durch Samia produzierten Backwaren verkaufen sich im Nu. Allerdings ist Abla wetterwendisch, emotional instabil, mal schickt sie Samia wieder weg, mal nimmt sie sie wieder auf, erst recht als ihre kleine Tochter sie als Monster beschimpft. Wir erleben Abla aber auch als zugewandte Mutter, die vor allem auf die schulische Zukunft der Tochter setzt und ihr Bildung ermöglichen will. Das wäre immer so weitergegangen, hätte Warda nicht ein Machtwort gesprochen, auf das hin Samia bis zur Geburt im Hause bleibt. 

Dieser Film braucht überhaupt keine dramatischen Geschehnisse, kein Getue und Gemache, er erzählt einfach eine Geschichte, der wir mit Interesse und Anteilnahme folgen: bei Samia ist es die Schwangerschaft, die bald zur Geburt führen muß, bei Abla ist es der nette Nachbar, der immer wieder vorbeikommt, um ihr seine Hilfe anzubieten, die sie regelmäßig ablehnt. Noch. Die eigentliche Kehrtwende bringt Samia zuwege, die couragiert Abla zwingt, Musik zu hören, mit ihr zu tanzen, ihre Verkrampfung zu lösen und nach und nach weicher und anteilnehmender zu werden, mit einem Wort, den Verlust ihres Mannes  zu verarbeiten und sich dem Leben wieder zuzuwenden.

Von besonderer Art sind dann die Geburtsszenen und der im Film vermittelte Zwiespalt von Samia, in den sie gerät, als sie das lebendige kleine Wesen in ihren Armen hält, es nach ihrer Milch schreien hört, die sie erst verweigert, weil sie keine Bindung zu dem Baby eingehen will, das sie am Montag zur Adoption freigeben will und dann doch an ihre Brust legt, es streichelt und einfach gerne hat: ihr Kind. Wie es weitergeht? Sicher hätte sie bleiben können, angesichts der neuen Wärme von Abla, aber vielleicht wäre das zu Rosarot gewesen, auf jeden Fall sehen wir sie ihr Bündel schnüren und mit dem eingewickelten Kleinen im Arm und ihrer Tasche in der Hand im frühen Morgen aus dem Haus schleichen.  Das war's. Ein offenes Ende.

Für mich war das vollkommen überraschend, einen solch guten Film, der in den deutschen Kinos kaum eine Chance hätte, angesichts von Corona schon gar nicht, nun auf DVD sehen zu können. Sehr zu empfehlen, muß ich das noch sagen oder hat das Glück, das man beim Sehen empfindet nicht schon aus jeder Zeile geleuchtet?

Foto:
Cover
©Verleih

Info:
Buch und Regie:
Maryam Touzani unter Mitarbeit von Nabil Ayouch

Besetzung:
Abla       Lubna Azabal
Samia    Nisrin Erradi
Warda.   Douae Belkhaouda
Slimani.   Aziz Hattab
Rkia.    Hasnaa Tamtaoui

DVD
Verleih: Grandfilm
Website: grandfilm.de/adam
Facebook: facebook.com/Grandfilmverleih
Filmlänge: 98 Minuten
Sprache: Deutsch, Arabisch
Untertitel: Deutsch
FSK: freigegeben ab 6 Jahren

Bildformat: 16:9 (1,85:1)
Ton DVD: Dolby Digital 5.1
Verkaufsstart: 11. März 2022