Bildschirmfoto 2022 03 24 um 09.39.24Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. März 2022, Teil 3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – So einen Onkel möchte ich auch haben, einen solchen Onkel wie den Radiojournalisten Johnny (Joaquin Phoenix) möchte jeder haben, nicht nur der neunjährige Jesse (Woody Norman), der ihn wirklich hat. Allerdings eigentlich nicht, denn der rasende Reporter ist in den ganzen Vereinigten Staaten unterwegs und macht gezielt Interviews. Und als eines Tages unvermittelt die Schwester Viv (Gaby Hoffman) aus Los Angeles anruft, daß ihr Exmann am Boden liegt, sie dringend nach San Francisco muß, Johnny sich um den Neffen kümmern ...

da kommt der Bruder nach L.A,., nimmt aber, als sich das hinzieht, Jesse einfach mit nach New York und von da mit auf seine Recherchereise durch die USA,mit zu seinen Interviews. Die Fragestellung richtet sich an Jugendliche: „Wenn Du an die Zukunft denkst, wie stellst Du sie Dir dann vor?“ Da muß man einfach auspacken oder ist so überrascht, daß man durch viele Ausweichungen mehr über sich erzählt, als eine eigentliche Antwort verraten hätte. Neben der herzberührenden Geschichte, die aber nicht larmoyant rüberkommt, sondern eben warmherzig, also mit Herz, lebt der Film von diesen Interviews, die alle echt geführt wurden und die Meinungen der Leute zu existentiell Fragen einfangen.

Bildschirmfoto 2022 03 24 um 09.56.43Für mich ist es diese Spannung zwischen dem einen individuellen Schicksal, der vor unseren Augen stattfindenden Annäherung zwischen Onkel und kleinem Neffen einerseits und den Meinungen der großen weiten Welt. andererseits, die diesen Film zusammenhält und ihm diese wohlgefällig Tiefe und Menschlichkeit gibt. Ist nicht dies unser aller Problem, wie man seine beruflichen Anforderungen mit den persönlichen Pflichten Angehörigen gegenüber in Eins bringt. Die Lösung, die Johnny wählt, geht für solche Situationen wie diese: er nimmt den Jungen einfach auf seine Interviewreise mit. Und hat sich damit einen neugierigen, skeptischen, ihn kontrollierenden, ja echt herausfordernden kleinen Menschen neben sich eingefangen. Wunderbar echt wirken die Szenen zwischen den beiden. Ja, es gibt sie, die kindlichen Überflieger, die mit ihren Fragen und Urteilen die Welt einteilen in Gut und Böse, in zu tun und Bildschirmfoto 2022 03 24 um 09.58.02nicht zu tun. Die Radikalität von Kindern muß man aushalten, aber dieses Standhalten wird belohnt durch eine immer tiefere Verbundenheit zwischen diesen beiden. Und es ist ja doch ein Film! Aber die beiden bringen uns im Kinosessel zum Glauben, das passiere da gerade wirklich vor unseren Augen.

Daß dies so ist, hat mit den Netzen zu tun, die Regisseur Mike Mills unsichtbar gespannt und gezogen hat, wobei das Entscheidende das Schwarz-Weiß ist. Denn innerhalb von Schwarz und Weiß gibt es mindestens hundert Grautöne, die alle nutzt der Regisseur. So gibt es im Film  keine harten Schnitte, sondern es werden die unterschiedlichen Ebenen von privater Geschichte und beruflichen Interviews ineinandergeschoben, verwoben, mit Bleistift  und schwarzer Kreide übermalt, so daß im Zuschauer ein mitfühlendes Gefühl bleibt, das sich aus völlig unterschiedlichen Gefühlen zusammensetzt. Denn bei den Interviews kann man seinen eigenen Kopf nicht ausschalten, hört das Frage-Antwort-Spiel und hat sofort dazu eine eigene Meinung, dann aber ist schon der nächste dran, dann kommt wieder Jesse ins Spiel. Es ist überhaupt nicht hektisch, obwohl die Situation doch so ist, aber die stille Beharrlichkeit von Johnny hält das alles zusammen.

Das ist einfach ein schöner Film!

Foto:
©Verleih

Info:
DREHBUCH & REGIE
Mike Mills

Darsteller
JOHNNY   Joaquin Phoenix
VIV             Gaby Hoffmann
JESSE        Woody Norman
PAUL          Scoot Mcnairy