Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 14. April 2022, Teil 10
Claus Wecker
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Karriere im Pornobusiness von L.A. ist erst einmal beendet, als Mikey Saber (Simon Rex) nach zweitägiger Busfahrt in seinem Heimatort Texas City ankommt. Mit noch 22 Dollar in der Tasche ist er finanziell am Ende. Als einzige Hoffnung bleibt ihm die Frau, mit der er einst nach L.A. zog und in »Filmen für Erwachsene« auftrat. Sie soll ihn für eine gewisse Zeit aufnehmen.
Doch Lexi (Bree Elrod), die formal noch immer mit ihm verheiratet ist, denkt gar nicht daran und jagt ihn erst einmal von ihrem schäbigen Grundstück. Mikey ist zwar pleite, aber nicht auf den Kopf gefallen. Er zieht alle Register, wie ein Spitzen-Verkäufer, der sich selbst als idealen Gast anbieten muss, und bekommt schließlich von Lexi und ihrer Mutter eine limitierte Aufenthaltserlaubnis.
Nun geht er mit dem Fahrrad auf Jobsuche, scheitert aber, weil er weder Arbeitsnachweise noch Zeugnisse vorweisen kann. Und als er, um dies zu erklären, erzählt, dass er ein Star in »Filmen für Erwachsene« war, verspielt er jede Chance auf einen seriösen Service-Job.
So dealt er schließlich mit Drogen. Seine Kunden sind die Arbeiter aus der riesigen, sich über ganze Straßenzüge erstreckenden Raffinerie, an der er entlang radelt. Vor dem »Donut Hole«, einem schmucklosen Laden, in dem die Arbeiter ihre Bestellungen lieber mitnehmen, als sie dort zu verzehren, treibt Mikey seinen Handel.
Die siebzehnjährige Verkäuferin Strawberry (Suzanna Son) ist eine Attraktion für Mikey. Der Film zeichnet sie mit einer Mischung aus Naivität und sexueller Neugier, die an Nabukovs Lolita erinnert. Nach mehreren Anläufen, in denen Mikey seinen Vertreter-Charme einsetzt, verführt er sie oder verführt sie ihn. Es bleibt in der Schwebe.
Fest steht aber, dass der Sex mit ihr dem einstigen Pornostar als Probe für einen verheißungsvollen Neustart dient. Auch für Strawberry, der er das Blaue vom Himmel verspricht. Sie scheint es ihm abzunehmen, lockt sie doch der Ausbruch aus dem texanischen Nest mit der Aussicht, in der Traumfabrik L.A. eine Rolle spielen zu können.
Mikey weiß auch, dass er sie von der Bruchbude seiner Frau und Schwiegermutter, die beide vom jahrelangen Drogenkonsum schwer gezeichnet sind, fernhalten muss. Sie würde dort sehen, wie auch ihre Karriere enden könnte.
Suzanna Son ist in der Rolle der Strawberry eine Entdeckung, die bereits in einer neuen TV-Serie (»The Idol«) mitspielt. Sie agiert erstaunlich natürlich und locker vor der Kamera, und für sie könnte tatsächlich eine Hollywood-Karriere wahr werden – wohl eher nicht in der Porno-Branche.
Aber Simon Rex beherrscht den Film. Er spielt den Mikey als furchtbar nervigen Anbiederer, der es dennoch schafft, das Kinopublikum auf seine Seite zu ziehen. Ihm zuzuschauen bereitet einfach Vergnügen. Man bedauert ihn auch ein wenig und hofft dabei, dass er für seinen Egoismus eine deftige Quittung erhält. Der bislang kaum bekannte Schauspieler (»Scary Movie 3, 4, 5«), Komiker, Rapper und ehemalige MTV-Video-Jockey spielt unverkennbar sich selbst, und gerade weil er als Person mit seiner Rolle eins wird, wirkt er so zwiespältig.
Regisseur Sean Baker hat zusammen mit seinem ständigen Co-Autor Chris Bergoch eine kleine Filmreihe über das zu kurz gekommene Amerika geschaffen, drei Exemplare sind in unsere Kinos gekommen. »Tangerine L.A.«, auf dem iPhone gedreht, handelt von einer Transe auf dem Straßenstrich in Los Angeles, die als Drama Queen ihre Umwelt nervt (sie verkehrte damals im »Donut Time« – diese Lokale haben es Baker offenbar angetan). In »The Florida Project« schildert er Sozialfälle in der Nähe von Disney World und zeigt Willem Dafoe ausnahmsweise in einer sympathischen Rolle als Hausverwalter. Für »Red Rocket« wählte er auf Anraten von Kameramann Drew Daniels 16mm-Filmmaterial, um den 70er Jahre-Look von Spielbergs »Sugarland Express« in unsere Gegenwart zu übertragen. Einmal läuft im Fernsehen Donald Trumps Wahlkampf 2016, und sein »Make America great again« ist auch auf einer Tafel im Hintergrund zu lesen. Wie es in einigen Teilen um die USA bestellt ist, das zeigen Baker und Bergoch auf höchst unterhaltsame Weise.
Foto:
©Verleih
Info:
RED ROCKET
von Sean Baker, USA 2021, 128 Min.
mit Simon Rex, Suzanna Son, Bree Elrod, Brittney Rodriguez, Shih-Ching Tsou, Stanley Buffington
Tragikomödie