alles gutSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 14. April 2022, Teil 6

Redaktion

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – François Ozon wollte schon lange mit Ihnen arbeiten. Wie kam es nun dazu?

 Dieser Wunsch war gegenseitig. Jedoch gab es in der Vergangenheit nicht den richtigen Zeitpunkt oder die passende Rolle. Ich liebe die Filme von François schon seit langem. Er ist ein aufregender Regisseur, energisch, neugierig, mit einem scharfen Auge für die Gesellschaft und ihre Schwächen. Besonders beeindruckt war ich von Unter dem Sand, von Swimming Pool und Angel. Die Figur darin war sehr romantisch, wenn auch nicht unbedingt sehr nett, aber das ist okay. Man darf auch Filme über egoistische Menschen machen, wie Alles ist gutgegangen mit der Vater-Figur so wunderbar beweist. Schon bevor ich das Drehbuch gelesen hatte, war ich bereit, bei diesem Projekt dabei zu sein. Ich konnte François nicht noch einmal abweisen! Dann hat mich der Stoff überzeugt, das Projekt passte mir wie ein Handschuh. Filme sind Schnittpunkte verschiedener Sehnsüchte. Mit einem Regisseur arbeiten, eine Rolle spielen, ein Thema erforschen, einen Moment erleben. Das war ein schöner Schnittpunkt.


Kannten Sie Emmanuèle Bernheim?

Ich kannte Emmanuèle ein wenig durch ihre Arbeit als Drehbuchautorin, ihre Romane waren mir allerdings nicht vertraut. Als François mir Alles ist gutgegangen gab, entdeckte ich eine Autorin, die mit wenigen Pinselstrichen eine plausible Psychologie der Figuren entwirft. Ihre Geschichte ist radikal, aber nie gewalttätig oder brutal. Sie klingt einfach wahr. Ich war erstaunt über die Ähnlichkeiten in den kreativen Prozessen von François und Emmanuèle. Beide verbindet ein gutes Gespür für sachliche Erzählungen, ein gutes Tempo sowie eine perfekte Dramaturgie. Ihre Figuren könnten analytischer sein, aber sie gehen das Leben lieber mit Humor und Spontaneität an: Sie gehen von einer Kunstausstellung zur nächsten, von einer Verabredung zum Mittagessen zur nächsten. Sie sind pragmatische Ästheten. Sie verschwenden keine Zeit mit Smalltalk oder mit Klagen. “Keine Heulsusen!”, wie der Vater am Ende einmal sagt. Emmanuèle und François teilen auch die Kunst, das Leben durch konkrete Details auszudrücken und sie wie ein Brennglas zu benutzen, um die großen Umwälzungen in unserem kleinen Leben zu erkunden. Sie sind wie geschaffen, um zusammen zu arbeiten!


Im Mittelpunkt des Films steht ein Vater, der sein Leben beenden möchte. Wie stehen Sie zu der Figur?

Während wir an dem Film arbeiteten, stellte ich mir einen alten Indianer vor, der oben auf seinem Berg stirbt. Es ist alles Teil eines Rituals und jemand wird ihn dabei begleiten. Ich finde, Euthanasie sollte eine individuelle Entscheidung sein. Wir müssen den Wunsch zu sterben ernster nehmen. Es ist ein Teil unseres Paktes mit dem Leben. Wir dürfen die Menschen nicht im Stich lassen, kurz bevor sie sterben. Diese Geschichte hat mir gezeigt, wie man in Würde sterben kann. Und zwar in einem Land, in dem das noch illegal ist. Mir gefällt in der Geschichte das “Krimi”-Element, welches die Sache noch spannender ausfallen lässt. Pascale und Emmanuèle werden zu Gesetzlosen, die die sprichwörtliche Leiche begraben müssen, die in diesem Fall noch nicht einmal tot ist!


Trotz des ernsten Themas bietet der Film eine Menge Humor. Welche Rolle spielt die Komik für Sie?

Extremkrisen wie diese sind Achterbahnfahrten, die zu komischen Situationen führen und unkontrollierte Lachanfälle auslösen können. Wir alle werden im Leben irgendwann mit Trauer konfrontiert, warum also nicht darüber lachen. André hilft uns dabei. Er ist so frech und herrlich mit seinem Egoismus und seinen Wutausbrüchen. Emmanuèle ist seinem Tod unterworfen, während er ihn selbst gewählt hat. Diese Konstellation verleiht dem Film Komplexität und verhindert, dass daraus eine überflüssige Schnulze wird. Die Entscheidung ihres Vaters trifft Emmanuèle wie ein Vorschlaghammer, sie hat gar keine Zeit, um Trübsal zu blasen. Sie muss schnell handeln und eine höchst ungewöhnliche Situation meistern. Die Lage ist umso brutaler, als André gerade dem Tod entronnen ist. Nun sein Leben tatsächlich zu beenden, ist wie ein zweiter Tod. Und das passiert gerade dann, als die Tochter neue Hoffnung schöpfte.


Wie sehen Sie die Bitte des Vaters, dass seine Tochter die Sterbehilfe organisieren soll?

Vielleicht sind Kinder dafür da, und vor allem Mädchen! Es ist kein Zufall, dass er Emmanuèle bittet, ihm zu helfen, sein Leben zu beenden. Emmanuèle war stets warmherzig und hilfsbereit, zugleich lebte sie in der Angst, ihren unerreichbaren Vater zu verlieren. Der wiederum verhielt sich oft sehr egoistisch, ganz typisch für Väter in dieser Generation.


Der Tod spielte in dem Vater-Tochter-Verhältnis schon stets eine zentrale Rolle. Während André suizidgefährdet war, fantasierte Emmanuèle als Kind darüber, ihn umzubringen.

Kinder haben Angst vor dem Tod ihrer Eltern, denn er unterstreicht ihre Verwundbarkeit. Auch die junge Emmanuèle fürchtete, dass ihr Vater sich in den Kopf schießen könnte. Als er sie bittet, ihm beim Sterben zu helfen, löst dies Erinnerungen an die allgegenwärtige Präsenz des Todes zwischen ihnen aus. Und die Tochter findet sich in der alten Dynamik wieder: sie muss sich abermals dem Vater unterordnen, seinen Wünschen folgen. Zugleich bleibt ihre eigene Frustration dabei unausgesprochen. Emmanuèle hatte eine Vorliebe für Horrorfilme, zweifellos war das ein Ventil für ihre aufgestaute Wut.


Emmanuèle steht ihrer Schwester sehr nahe. Wie sehen Sie diese Beziehung?

Ich selbst habe nur einen Bruder, umso mehr gefiel mir die Idee einer engen Schwesterbeziehung! Erst recht, wenn meine Schwester von Géraldine Pailhas verkörpert wird. Ich liebe ihre Arbeit, wir sind beide ein bisschen burschikos und auf alle Fälle sind wir keine Girlie-Mädchen! Vielleicht haben wir ihre Beziehung ein wenig idealisiert. Ich weiß nicht, wie sie im wirklichen Leben miteinander umgegangen sind. Aber diese Krise, obwohl sie einige Ressentiments auslöste, hat ihre Komplizenschaft an die Oberfläche gebracht. Wir erfahren, dass Pascale vielleicht weniger geliebt wurde als ihre Schwester. Aber ihr Vater ist so ungewöhnlich und egoistisch, dass beide Probleme mit ihm haben. Unterschiedliche Probleme natürlich, aber ihre Komplizenschaft hilft ihnen, sich weniger allein zu fühlen, während sie ihre jeweilige Last tragen. Ihre gegenseitige Faszination und Bewunderung für ihren Vater bringt sie einander nahe. Sie können lachen, Witze machen und Dampf ablassen.


Wie verkörpern Sie eine Figur, die es tatsächlich gegeben hat?

Es macht für mich keinen Unterschied, ob ich eine Figur spiele, die fiktiv ist oder die tatsächlich gelebt hat. Es war ohnehin unmöglich, ein Abbild von Emmanuèle zu werden. Wir sehen uns nicht ähnlich, was völlig irrelevant ist, weil diese Geschichte eine starke universelle Kraft besitzt. Allerdings haben wir uns bei der Kleidung eng an ihren Geschmack angelehnt. Die Art und Weise, wie man sich kleidet, hilft einem wirklich, einen Charakter zu kreieren. Emmanuèle mochte dezente Farben, Blau-, Grau- und Schwarztöne, und praktische, bequeme Kleidung. Und sie trug oft Turnschuhe. Das alles sagt viel aus über sie und ihre Lebensphilosophie.


Hatten Sie das Bedürfnis, die Menschen zu treffen, die ihr nahestanden?

Ich hatte Serge Toubiana schon vorher getroffen und sah ihn einmal vor den Dreharbeiten, allerdings nicht, um über den Film zu sprechen. Ich las sein Buch über Emmanuèle, was mir half, sie mit den Augen des Mannes zu sehen, der sie liebte. Er hat sie ins Licht gerückt und enthüllte ein paar kleine, private Details, die mir halfen, sie besser kennenzulernen. Emmanuèle war sehr verliebt in ihren Partner, er brachte Gleichgewicht in ihr Leben. Sie war entspannter mit ihm, sie wurde kindlicher, weniger verantwortungsbewusst, nicht mehr die harte Emmanuèle, die nie aufgibt. Es ist absolut hilfreich, solche Dinge zu wissen, wenn man eine Figur spielt.


Wie fällt Ihre Bilanz aus zur Zusammenarbeit mit François Ozon?

Jeder Regisseur hat seine eigene Art zu arbeiten. François ist effizient, klar, rigoros. Er ist organisiert und direkt. Er redet nicht um den heißen Brei herum. Sobald man den Sinn einer Szene verstanden hat, hält er sich nicht mit psychologischen Details auf. François ist immer hinter der Kamera, auch im Leben! Er beobachtet dich immer. Nicht unbedingt, um alles zu verwenden, sondern um auszuwählen, was er braucht. Um die Farben zu finden, welche zu dir passen. Schauspieler mögen es, auf diese Weise gesehen zu werden. Es kann ein schmaler Grat sein zwischen Proben und Aufnahmen mit ihm. Wir gehen in Position und fangen an zu proben, und im nächsten Moment ist er in der Szene gefangen und startet die Kamera. Das kann anfangs beunruhigend sein, aber man muss mit ihm mitgehen. Alle müssen auf Zack sein, von der Crew bis zu den Schauspielern. Er mag es nicht, wenn wir uns in unseren Wohnwagen verstecken! Das Set von François ist wie ein Drahtseil, von dem man nie herunterfällt. Seine Herangehensweise erfordert eine echte Geistesgegenwart und intensive Konzentration, aber es spart auch viel Zeit und Energie. Ich hatte seit mehreren Jahren nicht mehr gespielt, umso mehr begeisterte mich die Rückkehr an solch ein Set mit wunderbaren Kollegen und einem fabelhaften Regisseur. Das machte mich glücklich und es bestärkte mich darin, Schauspielerin zu sein.

Foto:
©Verleih

Info:
STAB
Regie & Drehbuch     François Ozon
Produktion.               Éric und Nicolas Altmayer
Kamera                     Hichame Alaouie

BESETZUNG
Emmanuèle     Sophie Marceau
André.             André Dussollier
Pascale           Géraldine Pailhas
Claude            Charlotte Rampling
Serge              Éric Caravaca
Schweizer Dame      Hanna Schygulla
Gérard                      Grégory Gadebois
Robert            Jacques Nolot
Simone          Judith Magre
Captain Petersen     Natalie Richard

Abdruck aus dem Presseheft