Die Wettbewerbsfilme der 64. Berlinale vom 6. bis 16. Februar 2014, Film 7

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) - Zuerst ist man interessiert, so eine ganz andere Jugend und ihre mit Begeisterung gekoppelte religiöse Unterweisung durch einen jungen Priester zu erleben. Dann wird man fassungslos, was sich unter dem Deckmantel dieser speziellen Kirche an Bigotterie und Seelenmißhandlung versteckt und am Schluß ist man entsetzt, zu welcher Konsequenz dies für die junge Protagonistin Maria führt.

 

 

Tatsächlich durchlebt sie, die von Lea van Acken intensiv dargestellt wird, die 14 Kreuzwegstationen des Christus einschließlich des Opferungstodes. Regisseur Dietrich Brüggemann, der auch zusammen mit Anna Brüggemann das Drehbuch verfaßte, entfaltet das Seelenleiden seiner jungen Protagonistin in den 14 Bildern des Kreuzwegs – von „Jesus wird zum Tode verurteilt“ bis „Der heilige Leichnam Jesu wird ins Grab gelegt“. Das Pubertätsschicksal, das auch ein Familiendrama ist und in einem Mutter-Tochter-Konflikt kulminiert, findet aber hier und heute und unter unseren Augen statt.

 

Man hält nicht für möglich, daß es derartige grausame Familien gibt, wo der Hinweis von Karl Kraus, daß das Wort „Familienbande“ einen Beigeschmack von Wahrheit hat, sich voll bestätigt. Erst einmal aber sind es die Bande der katholischen Kirche, die die 14jährige Maria umschlingen. Die Eingangsszene, in der Florian Stetter als jugendlich-dynamischer Priester seine kleine Schar auf die Firmung vorbereitet, zeigt ihn intellektuell sowie in seiner sozialen Kompetenz als überzeugenden, aber eben auch gemeinen Verführer, weil jedes Wort einsichtig ist und die jungen Menschen ihm nichts entgegenzusetzen haben, zumal die Bande der Kirche von ihren Familien verstärkt werden.

 

Weil Maria alles besonders ernst nimmt und treu befolgen will, gerät sie in unlösbare Konflikte. Zu Hause, in ihrer Familie, folgt sie den Lehren der Priesterbruderschaft Pius XII. und deren traditionalistischer Auslegung des Katholizismus, was jeden Sonntag in der speziellen Kirche und nun auch in der Unterweisung zur Firmung bestätigt wird. Alles, was Maria denkt und tut, muss die Prüfung vor Gott bestehen. Und weil dieser ein strenger Hüter ist, bleibt die Furcht vor dem Fehltritt ihre stete Begleiterin.

 

Im Alltag aber resultieren daraus Konflikte mit Mitschülern. Eine unschuldige Begegnungen, wie die mit dem Schüler der Parallelklasse, der sie zusammen mit ihrem kleinen Bruder zu einer Probe seines Kirchenchors einlädt, offenbart einen grundlegenden Konflikt, denn dort wird zwar Bach eingeübt, aber der Chor singt auch Soul und Gospel und schon dies ist für die Mutter und auch den Priester eine 'satanische' Musik, weshalb Maria der Besuch verboten wird. Dabei hatte sie schon eine Freundin erfunden, da sie der Mutter vom gleichaltrigen Jungen sich nicht zu erzählen traute. Übrigens die schlimmste Sünde ihres Lebens, die sie dann auch beichtet und der Mutter gesteht.

 

Überhaupt die Mutter, die Franziska Weisz bewundernswert herb und hart darstellen kann! Sie gibt in der Familie den Ton an und der ist dissonant und herrschsüchtig unter dem Deckmantel der Religion. Während also Marias Mutter ihre Tochter mit harter Hand auf den Weg des Glaubens zwingt und sie kujoniert, schweigt der Vater meist und schaut in kritischen Momenten tatenlos zu. Einzig das französische Kindermädchen ist Maria zugewandt, kann aber das Weitere nicht aufhalten.

 

Maria hatte sich vorgenommen, ihr Leben Gott zu opfern, damit dieser ihren vierjährigen und noch immer stummen Bruder reden läßt. Sie hungert, magert ab, zieht ihre Kleider trotz Kälte aus, um krank zu werden. Die Mutter schaut zu, weshalb es zu Auseinandersetzungen mit Lehrern und Ärzten kommt, weil sie alles besser weiß und ihre Tochter als ihren Besitz versteht. Und so kommt es wirklich gemäß den Kreuzwegstationen zur Konsequenz des Todes, als Opfertod gemeint und von der Mutter auch so verstanden.

 

Die gespenstischste Szene ist dann die beim Grabausstatter, wo nach weinerlichem Beginn die Mutter die höchsten Freudentöne für den Tod der Tochter findet, den die habe ja durch ihren Tod das Wunder der Sprachwerdung ihres Sohnes bewirkt, weshalb sie unmittelbar die Seligsprechung der Tochter in Gang setzten will. Erst hier wird es dem Vater zu viel. Seine gewaltige Reaktion ist, aufzuspringen und sich auf die Seite zu stellen.

 

 

Aus der Pressekonferenz

Anwesend: Florian Stetter, Franziska Weisz, Lea van Acken, Dietrich Brüggemann, Anna Brüggemann, Jochen Laube, Produktion

 

Über die Produktion spricht erst einmal ausführlich der Regisseur: selbst katholisch erzogen, Piusbruderschaft erlebt, kam auf die Idee, weil er allerorten religiösen Fundamentalismus erlebte. Besonders schlimm in Amerika, wo überall christlich gepredigt wird und dem Islam jeden Tag das Faß aufgemacht wird. Er hat die Evangelikalen erlebt in ihrem Hochmut und ihrer ideologischen Ausrichtung und deren Handeln immer als seelischen Mißbrauch angesehen.

 

Der Film folgt einem konkreten Fall. Wichtig bleibt, daß es sich um keine Sekte handelt, sondern um eine Abspaltung innerhalb der Katholischen Kirche, die noch heute alles so machen, wwie es jahrhundertelang in der Kirche gemcht wurde, alle Reformen ablehnen. Er hat dort nette Familien kennengelernt, aber eben auch die Gratwanderung erlebt zwischen zwei Sorten von Christen: die einen reden vom Kreuz, die anderen vom Brot.

 

Der Opfergedanke, der Selbstopfergedanke sei eine typisch weibliche Reaktion, wurde von einem Pressekollegen betont. Leicht kritisiert wurde die Parallelisierung: Tod und Sprechen, worauf der Regisseur nicht ohne Zustimmung erwiderte: „Wäre es ihnen lieber, daß das Opfer umsonst gewesen wäre?“

 

Interessant und aufschlußreich waren die Informationen der Schauspieler: Der Beginn besteht viele viele Minuten aus einer einzigen Einstellung. Da das Drehbuch für Florian Stetter als jungen Priester hier 18 Seiten Text aufweist, bedeutete das: „Wenn Du einen Fehler machst, mußt Du alles von vorne machen.“Er fand diese Herausforderung spannend, nämlich, ob er es schafft. Schon die Proben seien wie Theaterproben gewesen, nämlich Adrenalin wie beim Theater, Drahtseilakt, Konzentration, um so höher die Euphorie und das Glücksgefühl beim Drehen

 

 

Franziska Weisz betonte, daß sie das erste Mal eine reine Phantasiefigur gespielt habe, weil sie zur Darstellung der Mutter nichts aus ihrem Leben beitragen konnte. Auch für die Darstellerin der Maria gab es keine Parallele zu ihrem eigenen Leben. Eine Kunstfigur. Dabei hätte der Titel KREUZWEG einem schon alles sagen können. Aber daß die Pubertierende als Opfer an Gott, sich selbst zum Sterben anbietet, damit ihr kleiner Bruder mit vier Jahren endlich sprechen lernt, hätte man einfach nicht für möglich gehalten. Wie auch den weiteren Schluß, daß die teuflische Mutter – sie ist es und nicht die Musik – die tote Tochter auch noch Seligsprechen lassen will.

 

 INFO:

 

 

Deutschland / Frankreich 2014, 107 Min

Deutsch

Altersfreigabe FSK 12

 

REGIE

Dietrich Brüggemann

DARSTELLER

Lea van Acken
Franziska Weisz
Florian Stetter