Die Wettbewerbsfilme der 64. Berlinale vom 6. bis 16. Februar 2014, Film 11

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Schon der Titel hat es in sich. Was Regisseur Hans Petter Noland als skandinavische Gemeinschaftsproduktion vorlegt, wird zum Heidenspaß, weil er einerseits das Genre Thriller ernst nimmt, und andererseits so hinreißend phantastische Figuren agieren läßt, daß parodistische Elemente für die psychische Entlastung der Zuschauer sorgen und auch dafür, daß der vielen Toten mit Würde gedacht wird.



Letzteres wird mit einem so genialen wie einfachen Trick hergestellt, wobei Ausgangspunkt ist, daß sich zwei Verbrecherkartelle gegenseitig massenhaft umlegen. Beim ersten Toten findet man es eher ungewöhnlich, daß auf der Leinwand sein Name wie in einer Todesanzeige erscheint. Beim zweiten gewöhnt man sich schon daran, daß die Handlung wie einst im Stummfilm durch schwarze Schrift auf der weißen Leinwand unterbrochen ist. Wenn wir dann am Schluß die Dutzende Namen unter den Kreuzen vereint sehen, erkennt man erst, wie schlau diese Idee war. Erstens behält man durch die Namensnennung den inhaltlichen Überblick. Zweitens steckt hinter jedem der noch dazu völlig unterschiedlichen Verbrechertypen, die dran glauben mußten, eben auch ein Mensch, dessen hier gedacht wird. Wirklich ein starker Einfall, der seine Wirkung aber nicht nur aus formal-ästhetischen Gründen erhält, sondern auch vom Inhalt her.

Wir lernen den in sich gekehrten und arbeitsamen Nils (Stellan Skarsgård) kennen, der mit seiner Frau weit ab vom Stadtkern lebt. Er hält mit riesenhaften Schneepflügen die Wege und Bergpässe seiner Gemeinde in der von hohen Schnee- und Eismassen geradezu unwirklich unwirtlichen norwegischen Winterlandschaft frei. Gerade ist er dafür zum Bürger des Jahres gekürt worden, da erreicht ihn die Nachricht, sein Sohn sei an einer Überdosis Heroin gestorben.

Nils weiß, daß sein Sohn nicht rauschgiftabhängig war, deshalb glaubt er nicht an die offizielle Todesursache und beginnt die Suche nach den vermeintlichen Mördern. Mit dem ersten hat er schon die ganze Mannschaft. Denn, bevor er ihn abmurkst, zwingt er ihn seinen Auftraggeber zu nennen und das setzt sich so lange fort, Finn, Ronaldo, Strike..., bis Nils ganz oben gelandet ist. Ganz oben, das ist der Graf (sensationell als schwer neurotischer Schnösel Pål Sverre Hagen), der uns erst einmal als Vater vorgestellt wird, der seinen Sohn zur Schule fahren läßt und ihn für das Leben rüsten will. Im Auto darf auch nicht über die Arbeit, also über das Rauschgiftkartell gesprochen werden.

Er lebt in einem gestylten Haus, ist ein hochaufgeschossener gut aussehender Typ mit Liebe zum Kind, Haß gegenüber der Frau, die sich scheiden läßt und herabwürdigendem Verhalten gegenüber seiner Gang. Der Hit jedoch ist, daß dieser, sich ästhetisch-sensibel gebender Schwerverbrecher sich als Veganer outet und auch seine Adlati zu den Möhrensäften und gesunder Ernährung zwingt. Als er nach dem zweiten Mord an seinen Leuten durch Nils nicht mehr an Zufall glauben kann, hält er die Exil-Serben für die Täter. Damit ist das Abkommen, mit dem der Markt in Norwegen aufgeteilt wurde, aufgekündigt und die ersten Serben werden - noch dazu schmählich, also unehrenhaft - umgebracht, so daß die Revanche des Oberbosses, den Bruno Ganz verkörpert, nicht auf sich warten läßt.

Lange kann Niels Dickman seine Identität geheimhalten, sein Ziel, den Grafen auszuschalten, haben ja jetzt die Serben übernommen. Aber der durchaus intelligente Graf entlarvt ihn und nun kommt eine Sache ins Rutschen, die man nicht verraten darf, die aber so ausgeht, daß die Schuldigen bestraft werden und der gute Name des als Junkie verleumdeten Sohnes wieder hergestellt ist.



Insgesamt ist dieser sehr unterhaltsame Film eine blutig-schwarze Komödie voller großer Bilder einer winterlich-weißen, schier endlos wirkenden Landschaft, die Nils für seine Zwecke zu nutzen versteht. Mit schwarzem Humor schildert der Film Nils' Aktivitäten im Gangstermilieu, das von den fein nuanciert gezeichneten Mentalitäten schwedischer, norwegischer und serbischer Mafiosi geprägt ist.



Aus der Pressekonferenz:

 

Kim Fuz Aakeson, Drehbuch

Pål Sverre Hagen, der Graf

Hans Petter Moland, Regisseur

Stellan Skarsgård, Nils Dickman

Jakob Oftebro, Aron

Anders Baasmo Christiansen, Geir

Bruno Ganz, als PAPA der Serbenmafia

 

Tatsächlich sitzen nur Männer auf dem Podium, auch wenn sogar drei Frauen mitspielen. Zwei davon sind Ehefrauen, die mit ihren Männern nichts mehr zu tun haben wollen. Der dritten wird der Mann weggeschossen. Auf jeden Fall meint Regisseur Moland: „Die Frauen ahnen, wann es Zeit ist, abzuhauen“. Das Buch, ein Krimi, ist eine Originalidee aus Skandinavien. Moland befaßt sich seit jeher in seinen Filmen mit dem schmalen Grat der Zivilisation und den ausufernden primitiven Gefühlen.

 

Zwei Schwerpunkte hatte die Pressekonferenz: Die Sprache und die Gewalt. Bruno Ganz, der keine der skandinavischen Sprachen spricht, bekam in seiner Rolle eine große Narbe über den Hals, die verhindert, daß er noch normal sprechen kann. Er raunt immer leise einem Vertrauen etwas zu, der es dann auf Serbisch oder Norwegisch laut weitergibt. Spaßvogel Stellan Skarsgård, ein Schwede: „Die Norweger denken, ich bin ein Norweger mit einem Sprachfehler.“

 

Gewalt spielt eine Rolle in allen Filmen von Moland. Der Regisseur führt aus:“Gewalt wirkt tief in uns Menschen, man beherrscht sich, mich interessiert, was richtet Gewalt an mit anscheinend normalen Menschen. Interessant finde ich die Gewalt, die wir vermeiden.“

 

Bruno Ganz, der nicht nur zur Rolle befragt wurde, sondern als Ältester wohl den Journalisten als Fachmann fürs Sterben galt, sollte erklären, was das Komische am Tod ist. Ganz „Ich bin dem Tod näher, als die meisten, die hier sitzen. Der Film entwickelt sich durch eine Kette von Irrtümern, das ist lustig. Wir lachen, weil es komisch ist. Aber der Tod ist nicht komisch. Ich habe gerade ein Grab gekauft in Zürich, war teuer. Aber der Filmtyp, dieser Typ war nicht ganz zu Hause, weder in Norwegen, noch sonst wo. Er ist ein bloß einer von dieser Sorte wie Milosevic.

 

Den Schauspielern wurden Fragen nach der Freiheit ihrer Rolle gestellt, die für den Regisseur und Drehbuchautor zwingend ist.

 

INFO:

Norwegen / Schweden / Dänemark 2013, 115 Min

Norwegisch

REGIE

Hans Petter Moland

DARSTELLER

Stellan Skarsgård
Bruno Ganz
Pål Sverre Hagen
Birgitte Hjort Sørensen
Anders Baasmo Christiansen
Gard B. Eidsvold