Redaktion
Bern(Weltexpresso) - Woher kam die Inspiration zum Film? Woher kam die Idee und wie haben Sie sie entwickelt?
Marceau kenne ich durch Erzählungen meines gehörlosen Vaters. Als Erwachsener ist mir bewusst geworden, dass Marceaus Pantomimennummern mehr als „Spässe” sind, die jedes Kind zum Lachen bringen. Ich habe entdeckt, dass Marceaus Nummern stark an seine Biografie geknüpft sind und er damit auch Momente seines Lebens reflektiert.
Die Fähigkeit, sich wortlos auszudrücken und mittels der Körpersprache zu kommunizieren, ist ein in uns tief verankertes Grundbedürfnis. Trotz der weltweiten Sprachenvielfalt benötigen wir für den Ausdruck unserer tiefsten Gefühle immer noch ein und dieselbe Sprache: Das Nonverbale. Wir alle nutzen das Fingerschnipsen, das Stirnrunzeln, Nasenrümpfen, oder das Wiegen mit dem Kopf. Denn auf eine gewisse Art sind wir alle Pantomimen und können uns kulturübergreifend verständigen.
Wie hat sich das Projekt im Laufe der Entstehung verändert?
Ausgehend von Marceaus Biografie habe ich während meiner Recherche viele Weggefährten, Künstlerinnen und Künstler kennengelernt. Schnell wurde mir klar, dass mich diejenigen besonders interessieren, die vor existenziellen Lebensfragen stehen und diese auf eine künstlerische Art und Weise zu meistern versuchen. Da bin ich beispielsweise auf Rob Mermin gestossen, der sein Leben lang Pantomime gespielt hat und nun im Alter an Parkinson erkrankt ist. Ausgerechnet! Er nutzt und teilt mit anderen Betroffenen seine Pantomimenkünste, um die voranschreitende Krankheit zu überlisten.
Ihr Vater, Christoph Staerkle, ist ein Protagonist des Films. Wie kam es dazu?
Für ihn hat die Pantomime eine existenzielle Qualität, denn als Gehörloser fand er in ihr eine einzigartige Ausdrucksweise. Die Pantomime ermöglicht ihm, seine Wahrnehmung der Welt ohne Ton zu vermitteln. Ich lebte mit ihm in einer gewissen Stille, im Gegensatz zu meiner Mutter, bei der Ton und Musik immer präsent waren. Mit der Geschichte von Marcel Marceau hat sich mir die Möglichkeit ergeben, einen Teil meiner eigenen Situation in einem Film zu reflektieren. Obwohl mein Vater nur kurz im Film vorkommt, ist er gewissermassen das Bindeglied zwischen mir und der Welt von Marcel Marceau.
Wie war die Zusammenarbeit mit dem Kameramann Raphael Beinder, der bereits bei Ihrem letzten Film DIE BÖHMS – ARCHITEKTUR EINER FAMILIE dabei war?
Ein Kameramann ist für mich mehr, als «ein Mann, der eine Kamera hält». Insbesondere im Dokumentarfilm, bei dem die Dreharbeiten sehr lange und über eine grosse Zeitspanne hinweg stattfinden Raphael hat sich auch bei diesem Projekt mit Haut und Haar engagiert, um mit mir verschiedene ProtagonistInnen kennenzulernen, Bildideen und Formen für unsere Geschichte zu konzipieren. Ich schätze seine Erfahrung, die er nicht nur aus dokumentarischen, sondern auch aus fiktionalen Projekten mitbringt. Er hat ein grosses Verständnis für die Lichtsetzung, die zentral ist, um beispielsweise die Pantomime cinematografisch zu erfassen. Während des Drehs waren wir meistens nur zu zweit, d.h. ich kümmerte mich selbst um den Ton. Es ist mir immer ein Vergnügen, mit Raphael den kreativen Prozess des Filmemachens zu teilen, der mittlerweile weit mehr als nur ein «Kameramann» für mich ist.
Der Schnittprozess hat über 8 Monate gedauert. Was waren die grössten Herausforderungen im Umgang mit dem reichhaltigen Material und den verschiedenen Formaten?
Im Schnitt begegnen die lebendigen Protagonisten dem verstorbenen Marceau, der auf der Kinoleinwand wieder lebendig wird. Die unterschiedlichen Erzählstränge parallel zu montieren und daraus ein eigenständiges Filmwerk zu erschaffen, war sicherlich die grösste, aber auch die schönste Herausforderung, die wir mit vereinten Kräften antraten.
Allen voran gilt es Tania Stöcklin zu erwähnen, die sich das gesamte Material mit mir aneignete. Aber auch die regelmässigen Besprechungen mit den ProduzentInnen Aline Schmid und Carl-Ludwig Rettinger haben die filmische Erzählung reifen lassen.
Da ich bereits während des Montageprozesses den Film zu vertonen begonnen habe, interessierte mich von Anfang an die Frage, wie Klänge zum Schlüssel einer Erzählung werden und eine psycho-akustische Wirkung entfalten können. In unseren Köpfen spielt sich das eigentliche Kinoerlebnis ab. Das fasziniert mich.
Wie war die Zusammenarbeit mit der Familie Marceau?
Die Familie Marceau war zehn Jahre nach seinem Tod bereit, öffentlich über sein Leben auf und vor allem hinter der Bühne zu sprechen. Das war eine wichtige Voraussetzung, denn ich wollte den Film über ein klassisches Künstlerportrait hinaus gestalten. Zunächst war es gar nicht meine Absicht, die Familie Marceau so stark in den Film miteinzubeziehen. Doch bei den wiederkehrenden Besuchen beeindruckte mich ihre Leidenschaft und Hingabe, mit der sie ihre Familiengeschichte verarbeiten und weitertragen.
Was war das schönste Erlebnis während der Realisierungsphase?
Das war ganz zu Beginn des Projektes, als mir in New York eine ältere Dame davon erzählte, dass ihr ein Pantomime das Leben gerettet hatte. Diese Aussage machte mich neugierig. Kurz darauf habe ich in Paris Georges Loinger mit seinen 105 Jahren getroffen. Er erzählt mir davon, wie er zusammen mit Marceau jüdische Kinder während des Zweiten Weltkrieges in die Schweiz schmuggelte, darunter die ältere Frau aus New York.
Im aktuellen wie auch im letzten Projekt standen Familien und deren Erbe im Zentrum. Was ist als nächstes geplant?
Zurzeit stehe ich in Vorbereitungen für meinen neuen Film BRAVE NEW SWITZERLAND, der sich mit Genveränderungen am Menschen befasst und den ich in Zusammenarbeit mit Benny Jaberg (Gewinner des Deutschen Kamerapreises 2020) realisiere. Parallel dazu schreibe ich an meinem ersten Spielfilm, der gänzlich in der Gehörlosenwelt spielt. Das Projekt wurde mit dem Treatment Award des Zürich Filmfestival ausgezeichnet. Nebenher schätze ich die kreative Zusammenarbeit mit anderen FilmemacherInnen, deren Werke ich als Sound Designer vertonte.
Foto:
© Verleih
Info:
Die Kunst der Stille (Schweiz, Deutschland 2021)
Originaltitel: L'art du silence
Genre: Dokumentarfilm, Marcel Marceau
Filmlänge: 82 Min.
Sprachfassung: OmU (Originalfassung mit Untertiteln)
Regie und Drehbuch: Maurizius Staerkle Drux
Protagonisten; Marcel Marceau, Anne Sicco, Camille Marceau, Aurélia Marceau, Louis Chevalier, Rob Mermin, Georges Loinger, Daniel Loinger, Christoph Staerkle u.a.
Verleih: W-film Distribution
FSK: ab 0 Jahren
Kinostart: 05.05.2022
Wie hat sich das Projekt im Laufe der Entstehung verändert?
Ausgehend von Marceaus Biografie habe ich während meiner Recherche viele Weggefährten, Künstlerinnen und Künstler kennengelernt. Schnell wurde mir klar, dass mich diejenigen besonders interessieren, die vor existenziellen Lebensfragen stehen und diese auf eine künstlerische Art und Weise zu meistern versuchen. Da bin ich beispielsweise auf Rob Mermin gestossen, der sein Leben lang Pantomime gespielt hat und nun im Alter an Parkinson erkrankt ist. Ausgerechnet! Er nutzt und teilt mit anderen Betroffenen seine Pantomimenkünste, um die voranschreitende Krankheit zu überlisten.
Ihr Vater, Christoph Staerkle, ist ein Protagonist des Films. Wie kam es dazu?
Für ihn hat die Pantomime eine existenzielle Qualität, denn als Gehörloser fand er in ihr eine einzigartige Ausdrucksweise. Die Pantomime ermöglicht ihm, seine Wahrnehmung der Welt ohne Ton zu vermitteln. Ich lebte mit ihm in einer gewissen Stille, im Gegensatz zu meiner Mutter, bei der Ton und Musik immer präsent waren. Mit der Geschichte von Marcel Marceau hat sich mir die Möglichkeit ergeben, einen Teil meiner eigenen Situation in einem Film zu reflektieren. Obwohl mein Vater nur kurz im Film vorkommt, ist er gewissermassen das Bindeglied zwischen mir und der Welt von Marcel Marceau.
Wie war die Zusammenarbeit mit dem Kameramann Raphael Beinder, der bereits bei Ihrem letzten Film DIE BÖHMS – ARCHITEKTUR EINER FAMILIE dabei war?
Ein Kameramann ist für mich mehr, als «ein Mann, der eine Kamera hält». Insbesondere im Dokumentarfilm, bei dem die Dreharbeiten sehr lange und über eine grosse Zeitspanne hinweg stattfinden Raphael hat sich auch bei diesem Projekt mit Haut und Haar engagiert, um mit mir verschiedene ProtagonistInnen kennenzulernen, Bildideen und Formen für unsere Geschichte zu konzipieren. Ich schätze seine Erfahrung, die er nicht nur aus dokumentarischen, sondern auch aus fiktionalen Projekten mitbringt. Er hat ein grosses Verständnis für die Lichtsetzung, die zentral ist, um beispielsweise die Pantomime cinematografisch zu erfassen. Während des Drehs waren wir meistens nur zu zweit, d.h. ich kümmerte mich selbst um den Ton. Es ist mir immer ein Vergnügen, mit Raphael den kreativen Prozess des Filmemachens zu teilen, der mittlerweile weit mehr als nur ein «Kameramann» für mich ist.
Der Schnittprozess hat über 8 Monate gedauert. Was waren die grössten Herausforderungen im Umgang mit dem reichhaltigen Material und den verschiedenen Formaten?
Im Schnitt begegnen die lebendigen Protagonisten dem verstorbenen Marceau, der auf der Kinoleinwand wieder lebendig wird. Die unterschiedlichen Erzählstränge parallel zu montieren und daraus ein eigenständiges Filmwerk zu erschaffen, war sicherlich die grösste, aber auch die schönste Herausforderung, die wir mit vereinten Kräften antraten.
Allen voran gilt es Tania Stöcklin zu erwähnen, die sich das gesamte Material mit mir aneignete. Aber auch die regelmässigen Besprechungen mit den ProduzentInnen Aline Schmid und Carl-Ludwig Rettinger haben die filmische Erzählung reifen lassen.
Da ich bereits während des Montageprozesses den Film zu vertonen begonnen habe, interessierte mich von Anfang an die Frage, wie Klänge zum Schlüssel einer Erzählung werden und eine psycho-akustische Wirkung entfalten können. In unseren Köpfen spielt sich das eigentliche Kinoerlebnis ab. Das fasziniert mich.
Wie war die Zusammenarbeit mit der Familie Marceau?
Die Familie Marceau war zehn Jahre nach seinem Tod bereit, öffentlich über sein Leben auf und vor allem hinter der Bühne zu sprechen. Das war eine wichtige Voraussetzung, denn ich wollte den Film über ein klassisches Künstlerportrait hinaus gestalten. Zunächst war es gar nicht meine Absicht, die Familie Marceau so stark in den Film miteinzubeziehen. Doch bei den wiederkehrenden Besuchen beeindruckte mich ihre Leidenschaft und Hingabe, mit der sie ihre Familiengeschichte verarbeiten und weitertragen.
Was war das schönste Erlebnis während der Realisierungsphase?
Das war ganz zu Beginn des Projektes, als mir in New York eine ältere Dame davon erzählte, dass ihr ein Pantomime das Leben gerettet hatte. Diese Aussage machte mich neugierig. Kurz darauf habe ich in Paris Georges Loinger mit seinen 105 Jahren getroffen. Er erzählt mir davon, wie er zusammen mit Marceau jüdische Kinder während des Zweiten Weltkrieges in die Schweiz schmuggelte, darunter die ältere Frau aus New York.
Im aktuellen wie auch im letzten Projekt standen Familien und deren Erbe im Zentrum. Was ist als nächstes geplant?
Zurzeit stehe ich in Vorbereitungen für meinen neuen Film BRAVE NEW SWITZERLAND, der sich mit Genveränderungen am Menschen befasst und den ich in Zusammenarbeit mit Benny Jaberg (Gewinner des Deutschen Kamerapreises 2020) realisiere. Parallel dazu schreibe ich an meinem ersten Spielfilm, der gänzlich in der Gehörlosenwelt spielt. Das Projekt wurde mit dem Treatment Award des Zürich Filmfestival ausgezeichnet. Nebenher schätze ich die kreative Zusammenarbeit mit anderen FilmemacherInnen, deren Werke ich als Sound Designer vertonte.
Foto:
© Verleih
Info:
Die Kunst der Stille (Schweiz, Deutschland 2021)
Originaltitel: L'art du silence
Genre: Dokumentarfilm, Marcel Marceau
Filmlänge: 82 Min.
Sprachfassung: OmU (Originalfassung mit Untertiteln)
Regie und Drehbuch: Maurizius Staerkle Drux
Protagonisten; Marcel Marceau, Anne Sicco, Camille Marceau, Aurélia Marceau, Louis Chevalier, Rob Mermin, Georges Loinger, Daniel Loinger, Christoph Staerkle u.a.
Verleih: W-film Distribution
FSK: ab 0 Jahren
Kinostart: 05.05.2022