Die Wettbewerbsfilme der 64. Berlinale vom 6. bis 16. Februar 2014, Film 19

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Eine wüste Geschichte in einem China, das einem Italo-Western entsprungen scheint und unglaublich viele Anspielungen auf dieses Genre die fast zwei Stunden hindurch produziert, zum Vergnügen der Zuschauer, die so auch mit der entfesselten Gewalt leben können.

 

Nicht immer passieren guten Menschen auch gute Taten“, heißt es gleich zu Beginn des Films, woraufhin gleich das Auto des Guten in die Luft gesprengt wird. Der Film hat auch eine rasante Kamerafahrt, bei der auffällt, wie oft sie am Boden kriecht, wie oft nämlich Schuhe, Füße und Beine zu sehen sind, die durch Autos abgeschnitten, gleich das Schlimmste vermuten lassen. Zu allem inhaltlichen Unheil kommt also noch eine atmosphärisch aufgeladene Stimmung. „Das ist eine Geschichte über Tiere“, kündigt der Held des Films an, der aus der Großstadt stammende Rechtsanwalt Pan Xiao.

 

Tatsächlich rücken als nächstes zwei stolze Falken – der zweite Film mit Falken nach Claudia Llosas gestriger Heillegende - ins Bild, die in der Xinjiang-Wüste illegal gefangen wurden. Sie sollen eine Menge Bares einbringen, Recht und Gesetz spielen dabei keine Rolle. So wird die Gier nach Geld zum Treibmittel für die Story. Für Geld ist alles zu kaufen oder doch nicht? Und Pan Xiao, der für seinen nächsten Prozess rund 500 Kilometer durch das felsenreiche Niemandsland der Wüste reisen muss, wird zum getriebenen Protagonisten: gepeinigt von ebenso grotesken wie hochgefährlichen Zufallsbekanntschaften und mysteriösen Wegbegleitern, die vor Gewalt nicht zurückschrecken.

 

Regisseur Ning Hao, der 2005 im Forum der Berlinale Mongolian Ping Pong zeigte, präsentiert mit WU REN QU (No Man's Land) eine bildgewaltige philosophische Parabel auf eine aus allen Fugen geratene Gesellschaft, in der im Kampf um Reichtum und Macht keine moralischen Skrupel mehr gelten. So zerklüftet wie die Landschaft ist auch die Seelenlage dieser Männer, die hier einer den anderen erschießt, ersticht oder mit dem Auto überfährt.

 

Interessant ist, daß bei diesem dritten chinesischen Film im Wettbewerb erneut eine morbide Männergesellschaft vorgezeigt wird, wo allein die Frauen Rettung versprechen, weil sie noch an Werte glauben und diese leben, die für die Männer im eigenen Egoismus und Kampf um die Vorherrschaft längst untergegangen sind.

 

 

 

 

Aus der Pressekonferenz:

Anwesend:

 

Huang Bo, einer der Schurken

Ning Hao, Regisseur und Drehbuch

Xu Zheng spielt die Hauptrolle, den Rechtsanwalt Pan Xiao

Yu Nan, weibliche Hauptrolle, Jiajijao

 

Frage nach der langen Produktionszeit, denn der Film wurde vor 4 Jahren gedreht und wurde nicht akzeptiert? „Zensur, es mußte viel umgestaltet werden, dann waren auch eigene Änderungsüberlegungen, darum hat es so lange gedauert. Aber jetzt können wir endlich den Film zeigen, das erste Mal in Berlin.“, sagt der Regisseur und Xu Zheng, der auf dem Podium sitzt, sagt: „Als wir den Film gedreht hatten, bekam ich ein Kind, das jetzt schon fünf Jahre ist.“ Es ist der Anwalt, der spricht, den man nicht erkennt, weil er eine Glatze hat, während ihm im Film hübsche Haare wuchsen. „Wir wollten in den Film künstlerische Dinge hineinbringen. Der Film ist ein Wachstumsprozeß für uns alle“, sagt Xu Zheng weiter, woraufhin der Regisseur hinzufügt, daß dieser in der Zwischenzeit reich geworden sei durch die vielen Rollen, die er in China spielt. Die Frage nach Zensur wird beantwortet, daß dies in die Zeit des Beginns des Blogwesens in China fiel, wo es unglaublich viele Meinungen zum Film gab, der ja noch gar nicht gezeigt wurde. „Deshalb haben wir den Film aus der Diskussion herausgehalten, ohne daß es überhaupt zu direkten Zensurmaßnahmen gekommen wäre. Es ging um Gewalt vor allem, die eine Rolle bei Zensurmaßnahmen spielt. Heute ist das akzeptiert.“

 

Als kleiner Junge guckte ich Westernfilme, und diese Region eignet sich außerordentlich für Westernfilme. Wir haben keine Geschichte des Western in China. Ich wollte etwas Chinesisches machen, was in so eine Art Western paßt. Das ist die Sache mit dem Geldverdienen, das liegt allein an den Menschen, dies wollte ich einbauen. Es gibt auch nicht eine Kultur des Schießens bei den Bösewichtern; wir benutzen Messer. Diese Gewalt gibt es überall auf der Welt, bei Tier oder Mensch. Wenn die Zuschauer in China das sehen, dann ist ihnen das Besondere, die Natur des Menschen, die Ehrlichkeit, ein besonderes Verhalten in besonderen Situation. Ich denke das ist was, worauf sich das Publikum einläßt.“

 

Frage nach der Region, wo der Film spielt? „Die Wüste, da ist niemand, der sich ob der kriminellen Ereignisse beleidigt fühlte. Das Ganze ist eine Parallele, nicht das normale Leben, weshalb man es nicht wiedererkennen wird. Es ist das nackte Überleben, um was es geht. Da hilft einem nicht, in der Gesellschaft smart zu sein, diese Umgebung ist der Ausgangspunkt für diese Geschehen. Erst in solchen Sitautionen, auf sich allein gestellt, erkennt man, welche animalischen Kräfte in einem selbst stecken.“

 

Sie zeigen hier eine Tragödie, Negatives“, ist ein Einwand. „Nein,“ sagt der Regisseur, „aber ein gewisser Pessimismus ist schon die Grundlage Ich fühle mich wie die Affen im Zoo, die eingesperrt auf den Bäumen herumhüpfen, was sollen sie sonst machen. Ich fühle auch eine geringe Perspektive, deshalb versuche ich, solche Filme zu machen...“

Frage an die Schauspieler, ob sie nach 5 Jahren noch mit ihrer Darstellung einverstanden sind. „Damals war ich nicht berühmt, was ich jetzt bin, vorher spielte ich Komödien, hier bin ich der Gauner. Das hat mir gefallen“, sagt Huang Bo. „Der ganze Stil des Films ist etwas Besonderes.“, meint Xu Nan, die sich durch Literatur vorbereitet hat. „Dieser Film war wirklich etwas Anderes. Ich bin das fünfte Mal in Berlin und ich muß sagen, daß dieser junge Regisseur ungewöhnlich ist und etwas Besonderes hergestellt hat. Beim Drehen damals habe ich mir überlegt, wie soll ich die Rolle spielen. Bevor wir den Film gedreht hatten, haben wir die Gegend erkundet und meine Rolle habe ich als Parabel verstanden.“

 

Wir haben hier einen jungen Rechtsanwalt, der sich in der Gesellschaft zurechtfindet, seine Vorteile sieht und nutzt, bis er in eine Gegend kommt, in der die Gesellschaft überhaupt keine Rolle spielt und in der von diesem smarten Zurechtkommer eine Schicht nach der anderen von ihm abgepult wird, bis wir an seinen Kern kommen und zwischen Gut und Böse changierend, wird er jemand, der sich am Schluß für einen anderen opfert.“, faßt der Regisseur zusammen. „Ist das für einen chinesischen Zuschauer eine Komödie, worüber lachen die chinesischen Zuschauer“ findet die Antwort in: „Das ist für Chinesen ein Film mit schwarzer Humor. Meine beiden Darsteller sind Komödiendarsteller, weshalb die Leute das erwarten. Aber die Leute werden neue Erfahrungen machen, weil die Figuren eben nicht komisch sind. Wir wollten die reifere Art der Komödie erreichen. Das war unser Ziel beim Drehen. Männer sind lächerlicher, deshalb Arbeite ich gerne mit ihnen, es gibt wenig Frauen in meinen Filmen auch deshalb, weil mir Frauen rätselhaft sind. Die Rolle der Yu Nan hat durch sie selbst diese Dimension erhalten, daß sie Geld anbietet, damit das Leben des Mannes geschützt wird.“, erläutert Ning Hao.

 

Der Regisseur ist ursprünglich Kameramann gewesen, hat sich mit Fotografieren beschäftigt und Regie draufgesattelt. Schon mit 24 hat er Regie geführt: „und jetzt habe ich schon 7 Filme gedreht. Wir können Filme aus der ganzen Welt anschauen, wir wachsen auf mit den Filmen aus dem Westen. Wir können viele Filme sehen und deshalb haben wir heute einen Einfluß aus der ganzen Welt. Wir können das an den Filmakademien studieren, heute gibt es viel mehr Möglichkeiten.“

 

Mein Traum war es, Maler zu werden“, fährt der Regisseur, auf den sich die Diskussion und Fragen konzentrieren, und nennt van Gogh als Bezug. „Filme drehen ist für mich van Gogh auf der Filmleinwand. Der Falke ist Symbol für Freiheit, aber im Film wird nicht das angesprochen, sondern das Geld, das man für einen Falken bekommt. Es geht immer nur darum, zu zeigen, daß man in China aus allem Geld macht. Am Schluß, als der Falke zum Himmel fliegt, da geht es um Freiheit, nun ist er frei.

 

Ob unter seinen Lieblingsregisseuren auch Quentin Tarantino ist. Ja, aber dem Regisseur fallen viele Namen ein, die Brüder Coen, als Maler wäre Tarantino ein Dalí. Sind Sie von van Gogh direkt inspiriert worden?, wird nachgefragt, was man als Zuschauer höchstens im Vorkommen von sehr viel Stroh im Film nachempfinden kann.

 

 

 

 

INFO:

 

Volksrepublik China 2013, 117 Min

Mandarin

REGIE

Ning Hao

DARSTELLER

Xu Zheng
Yu Nan
Huang Bo
Dou Bujie