Die Wettbewerbsfilme der 64. Berlinale vom 6. bis 16. Februar 2014, Film 15
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Die diesjährige Berlinale zeigt auf der einen Seite viele und starke Filmkinder, auf einer ganz anderen dann aber Serienkiller. Und das tatsächlich zuhauf. Nach dem intelligent durchtriebenen norwegischen Beitrag, brachte Griechenland nun einen Film, der lückenlos in die Reihe der schwermütigen Verbrecherhelden des film noir paßt.
Es ist Stratos, den Vangelis Mourikis verkörpert, der auf dem Podium in der Pressekonferenz keinen besonderen Eindruck machte, aber als die Leinwand füllende Filmfigur des Auftragsmörders alles mitbringt, was dazu nötig ist: einen düsteren, durch nichts aufzuhellenden Blick, eine markante Nase, Bartstoppeln und Schnurrbart, starke Augenbrauen, vor allem aber eine so abgrundtiefe Traurigkeit, daß einem um ihn weh ums Herz wird. Denn das weiß man ja von solcher Art Filme auch, wer sich ins Verbrechermilieu begibt, kommt darin um.
Die Geschichte geht so: Nachts arbeitet Stratos in einer Brotfabrik, tagsüber bringt er für Geld Menschen um. Er muss die Befreiung von Leonidas aus dem Gefängnis finanzieren, der ihm einst das Leben rettete, als er selbst hinter Gittern saß. Für Stratos ist das eine Frage der Ehre. Wir wissen nicht, wie viele Menschen er schon getötet hat, wir sehen aber, daß er zu differenzieren in der Lage ist und nicht nur noch ein Gewissen hat, sondern diesem nach auch handelt.
Aufmerksam kümmert er sich um das achtjährige Nachbarskind Katerina, dessen Mutter eine Prostituierte ist und deren Onkel von dem erschlafenen Geld mitlebt. Für Geld mordet Stratos also und zwar wahllos. Er nimmt die Fotos, findet die Personen und befördert sie ins Nirwana. Aber er arbeitet nicht für jeden und für den Obergangsterboß des Ortes schon mal gar nicht. Als das Geld für den Gefängnisausbruch endlich zusammen ist, nimmt das Geschehen eine unerwartete Wendung. Die Geschichte des Tunnelbaus ist eine derart absurde und spannende, die man nicht verraten darf. Und dennoch wird sie noch ausgestochen durch die Ereignisse, die der kleinen Katerina drohen, die ihre eigene Mutter deutlich lieblos für nicht sehr helle einschätzt. Was die Mutter noch vorhat, davon muß hier ebenfalls geschwiegen werden, aber wir wissen, daß der Auftragsmörder Stratos Unrecht und Mißbrauch auch selbst erkennt. Und dann im eigenen Auftrag entsprechend handelt.
In seinem vierten Spielfilm nutzt Yannis Economides die abgeklärte Kinofigur des Auftragsmörders für einen Blick in eine desolate, traurige Welt. Die innere Verlorenheit des Titelhelden entspricht dem verzweifelten Lebensgefühl einer Gesellschaft, die sich und ihre Werte aufgegeben hat und die Maske der Zivilisation fallen lässt.
Aus der Pressekonferenz:
Anwesend:
Christos V. Konstantakopoulos, Produzent
Panos Papahadzis, Produzent
Vangelis Morikis, Stratos
Yannis Economides, Regisseur und Drehbuchautor
Vicky Papadopoulou, Vicky
Petros Zervos, Onkel Makis
Der Regisseur beruft sich auf die japanischen Filme, auf deren Ästhetik und Poetik und hat versucht, dies für Griechenland nachzuvollziehen. Was hat der Film mit der heutigen Krise in Griechenland zu tun? Der Film spricht nicht davon, sondern von der Krise der Zivilisation und hat insofern dann doch auch das Heute im Blick. Es ist eine verrottete Welt, das hat nicht mit Griechenland speziell zu tun, sondern der Krise der Werte in der Westlichen Welt. Alles ist käuflich, der eine tötet für Geld, die anderen verkaufen die kleine Tochter.
Warum haben Sie mit dem Standbild angefangen, das hat einmal Charles Bronson gespielt, die Ruinen sind das die Behausungen der Mafia?, war eine naheliegende Frage, weil der Film einem wie das Zitat eines Zitates vorkommt, man Griechenland nicht als Griechenland erkennt, so unbehaust und unwirklich häßlich ist die Gegend – und die Menschen auch. Langsam oder schnell ist relativ, meint der Regisseur auf die Fragen nach der Langsamkeit seiner Einstellungen. Für ihn beginnt der Film nicht langsam, auch der erste Teil nicht, jeder hat ein Gefühl für Rhythmus, je ein anderes Gefühl, das Klima, in dem der Mensch lebt, muß erst in aller Ruhe erfaßt werden können Die zweite Ebene ist Selbstjustiz, die sowohl die Aufträgen wie auch das eigene Handeln motiviert. Der Protagonist reagiert gar nicht, darum herrscht ein anderer Rhythmus, es ist das Tempo von Stratos. Als er sich erhebt und was tut, wird der Film schneller. Mitgefühle sind subjektiv.
Die Frage nach der Mafia und wo sie zu Hause ist, ist nicht zu klären. Auf jeden Fall begibt sich Yannis Economides gerne in die Ecke des film noir, wobei: „Ja, sicherlich, der Eiskalte Engel, das Noir von Jean-Pierre Melville ist eine sehr gute Quelle. Nicht Theo Angelopoulos, eher Melville,“ wo der Krimi nur die die Schale ist, damit man Inhalte wie Moral, Geschichte u.a.transportieren kann. Das Ziel des Filmes? Bleibt als Frage unbeantwortet.
Warum die japanische Ästhetik? Der Mensch kann zum Tier werden, aber er endet als Mensch. Vielleicht wußte Stratos nicht, daß er ein so guter Mensch sein kann. „Ich wollte einen Film machen, als Gangsterfilm im heutigen Griechenland, über einen Berufskiller, aber keiner kann sich selbst entkommen und nimmt trotz anderer Absichten seinen Weg. Wir konnten frei arbeiten, die beiden Produzent, die hier sitzen, die haben uns die Freiheit gegeben. Man kann das Drehbuch umschreiben. Ich weiß auch nicht genau, welchem Genre der Film angehört.“
Es gibt drei griechische Filme auf der Berlinale, wie können Sie in Griechenland in der Krise überhaupt Filme machen? Es antworten die Produzenten: „Wir haben Fördermittel in Griechenland, aber alle anderen brauchen auch Geld. Aber die Krise hat dennoch der Filmproduktion viel gebracht. Denn die Krise hat das Augenmerk auf Neues gerichtet. Es waren kaum staatliche Mittel zu bekommen, auf einmal werden nur die aktiv, die was zu sagen haben und es kommen die Themen mit Kraft.
Diesem Film hat geholfen, daß TheMatchFactory mitgemacht hat. Diese Mittel helfen uns, die Filmemacher zu unterstützen, damit auch Yannis Economides unterstützt werden kann. Bei der Produktion hatten wir große Hilfe durch das Ministerium von Zypern. Drei Länder haben produziert.“
Auf die Frage, warum man keinen Polizeieinsatz im Film sieht, heißt es, daß dies ihren Grund darin habe, daß es um Stratos und allein um die Sicht der Ereignisse durch Stratos geht. Er läuft jedes mal, wenn er als Mörder zugeschlagen hat, weg. Der Film bleibt nicht am Ort des Verbrechens, wo anschließend Polizeisirenen und Rettungshubschrauber kommen. Deshalb sehen wir das Gesetz nicht, sondern allein den Weg von Stratos. Es gibt keine Szene ohne Stratos. Es gibt die Leichen, die Familien, die weinen über die Toten, es gibt die Polizei, aber das sehen wir nicht, weil der Film allein Stratos folgt.
Das Griechische Kino blüht auf während der Krise, inhaltlich, aber wie sieht es geschäftlich aus? In gewisser Weise ist es nicht profitabel. Es kommt darauf an. Aber das Ziel ist es, auch Geschäfte zu machen, die Filme, die heute in Griechenland gedreht werden, haben in Griechenland keinen Erfolg, aber im Ausland haben sie Erfolg. Dieser Film wird sicher im Ausland laufen. Manchmal werden Filme gemacht und von den Produzenten finanziert, damit der Schöpfer vorankommen kann. Die Produzenten machen nicht immer nur der Gewinne wegen Filme, sondern um die Szenerie zu beleben.
Was denkt Vangelis Mourikis von Stratos? „Ich mag ihn sehr. Ich mag seine Ethik und Politik und wie er seine Schulden zurückzahlt. Ich glaube, er ist ein großer Charakter.“
Es gibt die Filmkritiker, die allein der Film interessiert und es gibt diejenigen, die vor dem Schreiben noch mehr erfahren wollen. Auch über Vicky. Vicky ist eine geschiedene Frau, die Mutter ist und den Onkel mitfinanziert, der behindert ist. Sie möchte mehr verdienen, möchte mehr Glamour in ihrem Leben haben, sie findet diese Möglichkeit in der Mafia, indem sie mit den Männern zu tun hat und sich gut bezahlen läßt.
Es gab sehr viele Änderungen am Drehbuch. Alle arbeiten gut zusammen, es werden in der Zusammenarbeit keine Statusfragen angesprochen, sondern man arbeitet im Team. „Ich setzte meine Filme eigentlich fort. Die Dekadenz einer ganzen Zivilisation ist seit langer Zeit festzustellen, so sehe ich das. Es stimmt, daß es im Film einen Gegensatz geben sollte. Es sollte griechisches Licht geben...“
INFO:
Griechenland / Deutschland / Zypern 2014, 137 Min
Griechisch
REGIE
Yannis Economides
DARSTELLER
Vangelis Mourikis
Vicky Papadopoulou
Petros Zervos