Die Wettbewerbsfilme der 64. Berlinale vom 6. bis 16. Februar 2014, Film 17

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Claudia Llosa, die Nichte des weltberühmten peruanischen Dichters Mario Vargas Llosa, hatte 2009 für ihr Drama La teta asustada den Goldenen Bären erhalten, wo es um Traumata ging, die aufgrund eines Volksglaubens durch die Muttermilch weitergegeben wurden. Auch in ALOFT erzählt sie von magischen Kräften und der Natur.

 

 

Schon wieder ein Film mit Eis und Schnee, denkt man sich, wenn es diesmal sogar bis zum Nordpol geht. Ob das Eis und der Schnee auch metaphysische Bedeutung haben, können wir nicht behaupten, aber annehmen schon. Hier lernen wir gleich zu Beginn einen jungen Mann kennen, der Falkner ist, was schon sein Vater war und der mit seinen Falken auf jeden Fall sehr viel zärtlicher umgeht, als mit seiner Frau und mit der Journalistin, die ihn zu einer Heilerin am Nordpol mitnehmen möchte, mit der sie ein Interview machen, aber auch von einer schweren Krankheit geheilt werden möchte.

 

Der junge Mann, Ivan (Cillian Murphy), ist von aufbrausendem Naturell und kann seine Gefühle und Gefühlsausbrüche weder kontrollieren, noch will er das. Bald merken wir, daß dies seit jeher so war, denn wir erleben ihn als aufmüpfiges Kind (Zen McGrath), das immer wieder die Familie, das ist die Mutter Nana (Jennifer Connelly) und der kleine durch einen Tumor geistig eingeschränkte Bruder Gully (Winta McGrath), in Gefahr bringt. Ohne böse Absicht, aber auf Grund seiner Selbstbezogenheit und Leidenschaft. Schnell bekommen wir mit, warum Ivan die Journalistin begleitet. Denn die Heilerin am Nordpol ist seine Mutter, die ihn zurückließ, als er – noch ein Kind – verantwortlich wurde am Tod des kleinen Bruders. Das erfahren wir alles in Rückblenden.

 

Eben auch, daß die Mutter angesichts des kranken Sohnes einst bei einem Heiler Rettung suchte, der diese nicht geben konnte, aber die heilenden Kräfte der Mutter bemerkte und sie zu ihrer Bestimmung führte. Das alles wird sehr konsequent erzählt und wir sind dem Ganzen gerne gefolgt, denn es geht um tiefe Gefühle wie auch um Schuld, die jemanden ein ganzes Leben verfolgt, darum auch um seelische Heilung, also Vergebung. Einem anderen zu vergeben, fällt immer leichter, als sich selbst zu vergeben. Das ist die Situation von Ivan.

 

Man fühlt sich im Film angesichts der Zwangsläufigkeit des Geschehens durchaus an griechische Tragödien erinnert, nur ist dort derjenige, der schuldig wird, tatsächlich ein unschuldig Schuldiger, während es bei Ivan immer wieder seine unkontrollierten Ausbrüche sind, die ihn belasten. Dennoch sind wir einverstanden, daß er im Schnee und Eis des Nordpols, durch seine Mutter angestoßen, sich selbst vergeben lernt. Ein Zustand, der in der griechischen Tragödie durch die Katharsis eintritt, eine seelische Reinigung und durchaus der Einsicht in menschliche Schwäche und dem Mut zur Entsühnung geschuldet. Wie gesagt, wir sind damit einverstanden.

 

Allerdings mit einer dann doch uns ärgerlichen Einschränkung. Wir fanden den Film tief und sind auch den esoterischen Spuren gefolgt, einfach, weil es zwischen Himmel und Erde mehr gibt, als unsere Menschenweisheit uns erklärt. Nur, als zum eigentlichen Schluß, dann nicht nur das Nordlicht einen hellen aufgeklärten Himmel präsentiert, was doch ein schöner Schluß gewesen wäre, sondern wir himmelwärts dann auch noch die glücklichen Gesichter von Mutter und Sohn sahen, da war uns das mehr als einen Tick zu viel. Da schlägt für uns eine ernsthafte und filmisch stringent erzählte Geschichte in Kitsch um. Schade.



 

Aus der Pressekonferenz

 

Anwesend:

 

Claudia Llosa, Regie und Drehbuchautorin

Jennifer Connely, Mutter Nana

Mélanie Laurent, Journalistin

Cillian Murphy, Ivan

Wiliam Shimell, Newman

Jose Maria Morales, Produzent

Ibon Cormenzana, Produzent

Mark Johnson ausführender Produzent

 

 

Warum die Hauptdarsteller diese Rolle übernommen haben? Die Mutter hat es auf Grund der bisherigen Filme und als sie von der Rolle las. Die Journalistin findet die Rolle und den Film außergewöhnlich. Anke Engelke: die Arbeit mit den Kindern, wie haben sie mit denen gearbeitet? Dazu Jennifer Connelly: “Ich muß gestehen, daß beide Kinder außergewöhnlich sind. Wir waren so involviert in den Szenen, Claudia hat mit ihnen gearbeitet, unsere Szenen vorbereitet. Die Jungen haben das gut gemeistert. Auch im Leben sind sie Brüder.“ Eine Kollegin hat im Film mehrere Linien gesehen, aber keine konzise Zusammenführung.

 

Unsere Verantwortung als Künstler ist es, Fragen zu stellen und nicht alle Antworten zu liefern. Heute gibt es viele Zweifel, alles ist konfus. Die Geste des Vergebens ist ein Wunder in unserer Welt. Wie wir unsere Gefühle in den Griff bekommen nach tragischen Ereignissen, kann nur durch die Vergebung geschehen.“, erläutert Claudia Llosa. Die Landschaft und die Bäume und Sträucher stellten sozusagen Kathedralen der Heilung dar, wie sie die Landschaften gefunden habe und auch den narrativen Strang? „Schreiben ist ein Prozeß wie das Skulptieren. Das Stück leitet Dich, ich will gar nichts Bestimmtes, sondern einen Prozeß darstellen. Es geht im Film nicht um die Kunst. Die Kunst ist ein Mittel.“

 

Das Drehen gab den Schauspielers auch in der größten Kälte ein warmes Gefühl. Produzieren ist heute so schwierig geworden. Der Trend ist das internationale Zusammenarbeiten und das geht auch weiter. Wie war es, alles auf Englisch zu drehen? Ist eine nächste Frage. Alle haben der Regisseurin geholfen mit ihrem besseren Englisch. Nur Mittel zum Zweck ist die Sprache Die Welt wird kleiner, es wird internationaler. Die Geschichte hat Allgemeingültigkeit.

 

Was halten Sie von diesem Heilungsprozeß und dem Selbstheiluungsprozeß? Claudia: „Was mich an den Situationen interessiert hat, ist die Ferne von gesellschaftlichen Institutionen, wo also etwas passiert, wo keiner hilft. Es gibt etwas sehr Ursprüngliches und Kreatives. Da kann man anders damit umgehen. Das führt zum Heilungsprozeß. Wie wichtig die Natur in unserem Leben ist, soll dieser Film auch vermitteln. Wir finden Sicherheit von Dingen, von denen wir glauben, daß sie uns schützen und merken, daß es nicht stimmt. Wir müssen mit einem Teil von uns selbst wieder Kontakt aufnehmen. Mich hat das an diesen Geist erinnert.“

 

 

INFO:

 

Spanien / Kanada / Frankreich 2013, 112 Min

Englisch

REGIE

Claudia Llosa

DARSTELLER

Jennifer Connelly
Cillian Murphy
Mélanie Laurent
Oona Chaplin
William Shimell
Zen McGrath