MITTENDRIN. Persönliches Tagebuch der BERLINALE 2014, Teil 2

 

Hanswerner Kruse

 

Berlin (Weltexpresso) - Es war einmal ein Mann, der gewann vor einem Jahr den Silbernen Bären als „Bester Schauspieler“ für seine Selbstdarstellung in „Eine Episode aus dem Leben eines Schrottsammlers“. Nazif Muji? spielte sich selbst, den armen, rassistisch ausgegrenzten Roma in Bosnien. Wie im Märchen wurde er auf der Berlinale gefeiert, mit der Limousine chauffiert und in einem Edelhotel untergebracht.

 

Zurück in Bosnien war das Märchen rasch vorbei. Nun drangsalierten ihn die Roma-Kollegen und schlossen ihn vom Schrottsammeln aus: „Du bist jetzt reich und berühmt.“ Aber Mujić ist überhaupt nicht reich und berühmt, das bisschen Filmgeld war schnell alle. Voller Illusionen kam er vor Kurzem nach Berlin zurück und wollte seinen Bären gegen Asyl eintauschen, aber das lehnte die Ausländerbehörde ab.

 

Ich fand schon im letzten Jahr, dass die Berlinale den Schrottsammler vorführte: Silberne Bären scheinen als Sozialpreis verliehen zu werden, so unterstreicht das Festival seine gesellschaftspolitischen Ansprüche. 2012 bekam zwar das ehemalige afrikanische Straßenkind Rachel Mwanza auch den Silbernen Bären für ihre Darstellung in „War Witch“. Jedoch ist sie eine, wenn auch unausgebildete Schauspielerin, die eine großartige Rolle als Kindersoldatin spielte! Mujić ist nun wirklich kein Schauspieler, auch wenn er verkündet, „Ich bin der größte Schauspieler der Welt.“ Er ist ein bisschen wie seine eigene, lebendig gewordene Filmfigur geworden: Realität und Märchen vermischen sich.

 

Gestern zur Eröffnung des Festivals schritt erst einmal Mujić und nicht Clooney über den roten Teppich. Als Ehrengast der Berlinale ist er vom Asylheim ins Hotel gezogen und wird dort wohnen, bis er nach den Filmfestspielen abgeschoben wird – falls sein von der Festivalleitung engagierter Anwalt kein weiteres Wunder erwirkt.

 

INFO:

 

Hanswerner Kruse (65) ist freier Journalist und Filmkritiker aus Schlüchtern. Er pendelt seit fünf Jahren zum Festival und schreibt für uns ab heute wieder täglich über seine Eindrücke von der Berlinale.

 

KRUSES BERLINALE-TAGEBUCH: Wie Karneval oder Fußball-WM: JETZT GEHT'S LO-HO-S

 

Erste Berlinale: 1951

Amtsantritt von Festivalchef Dieter Kosslick: 1. Mai 2001

Verkaufte Tickets: etwa 300 000 (2013)

Fachbesucher: etwa 20 000, darunter 3700 Journalisten

Filme insgesamt: rund 400

Filme im Wettbewerb: 23, davon haben 20 Chancen auf einen Bären

Dauer des Festivals: 11 Taqe

Mitglieder der Jury: 8

Geld, das die Berlinale der Stadt Berlin bringt: 125 Millionen Euro

Etat: 21 Millionen