Die Wettbewerbsfilme der 64. Berlinale vom 6. bis 16. Februar 2014: die Preise, Teil 2

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Wir können – sicher im Gegensatz zu den meisten Großkritikern – die Preisvergaben inhaltlich nachvollziehen in Übereinstimmung mit unseren Kritiken, finden auch die Prämierung so vieler asiatischer Filme gut, aber vielleicht durch die zwei Bären an BAI RI YAN HUO (Black Coal, thin Ice) für den männlichen Hauptdarsteller und den Goldenen Bären für den besten Film einen kleinen Tick zu viel.

 

 

Vor allem, wenn man bedenkt, daß auch ein zweiter chinesischer Film den Silbernen Bären für eine herausragende künstlerische Leistung erhalten hatte, nämlich Tui Na (Blind Massage), während für die vier deutschen, richtig guten Beiträgen nur ein Drehbuchpreis heraussprang. Aber da es ein deutsches Festival ist, können wir auch großzügig sein.

 

Dennoch ist zu fragen, wie ist die Prämierung dieser zwei chinesischen und des einen japanischen Films zu erklären. Wenn wir unsere eigenen Kritiken ernstnehmen, finden wir dort schon viele Begründungen vor.

 

Da allerdings müssen wir noch einmal genau hinschauen. Man könnte sagen, diese Adaptionen der Chinesen in Bezug auf Mörderfilme des Westens sind doch gar nicht genuin chinesisch. Da ist etwas dran und es ist dennoch grundfalsch. Denn, wenn man diese Filme genau anschaut, sind sie zwar mit der Person des versoffenen, durchhängenden, typisch illusionslosen Detectives, der dann leidenschaftlich einer Schönen verfällt, die er trotzdem zur Strecke bringen wird, einem westlichen Lieblingskrimihelden verpflichtet, agieren aber in einer Gesellschaft, der sich die Natur und die Architektur längst angepaßt haben: die Unwirtlichkeit der Städte ist nichts gegen diese Unorte, wo die Verbrechen zwangsläufig passieren.

 

Eine düstere gesellschaftliche Perspektive und damit auf einmal eine politische Interpretation gerade bei Filmen, die vordergründig überhaupt nicht politisch sind. Der Aussagewert der Preise ist also hoch, auch deshalb, weil dieser chinesische Film ausgewählt wurde und nicht der zweite mit einem mörderisches Thema und einer rasanten Verfolgung. Wir sprechen von WU REN QU (in unserer Besprechung der 19. Film), der mit parodistischen Zügen einen Italo-Western in der chinesischen Wüste gibt. Dieser Film hat über seinen Inhalt hinaus ebenfalls eine politische Botschaft, die auf dem Podium in der anschließenden Pressekonferenz offen angesprochen wurde: die Geldgier der Chinesen heutzutage, von denen im Film gesagt wird, für Geld tun sie alles, es geht nur noch ums Geld, was aber auch wirklich alle Chinesen durchaus mit Abscheu oder betrübt bestätigten.

 

Daß der japanische Beitrag, der letzte im Wettbewerbsreigen, ein außerordentlicher Film ist, wurde von uns transportiert, wobei völlig unerheblich ist, welche Großkritiker hier wieder ihr Mütchen kühlen. Daß nun ausgerechnet die weibliche Heldin des Films einen Darstellerpreis erhielt, muß man sich sicher so erklären, daß in der Jury Preise auch ausgehandelt werden und geschaut wird, welche Preisvergabe noch offen ist. Denn sicher hätte dieser Film auch einen Preis für Regie und selbst den Fritz-Bauer-Preis verdient. Den aber hat Alain Resnais für AIMER, BOIRE ET CHANTER erhalten, einen Film, mit dem wir nichts anfangen konnten, wobei wir uns aber aufrichtig für den 91jährigen Alain Resnais freuen, der angeschlagen war und nicht nach Berlin kommen konnte und längst Teil der Filmgeschichte ist.

 

Kommen wir noch einmal zu den deutschen Filmen. Schade, daß der Schillerfilm von Dominik Graf DIE GELIEBTEN SCHWESTERN leer ausging. Der Film hat etwas, was in deutschen Filmen neu ist. Auch ZWISCHEN WELTEN fanden wir sehr gut erzählt und zumindest für Deutschland einen wichtigen Film. Und JACK bringt in die filmische Aufarbeitung von vernachlässigten Kindern einen ganz neuen Aspekt. Was deutlich wurde, ist, daß das peruanische, brasilianische und argentinische Kino bei der diesjährigen Berlinale nicht ankam. Das hat Gründe und zwar Gründe, die wir nachvollziehen können.

 

Die wichtigste Entscheidung ist allerdings die, daß BOYHOOD von Richard Linklater nicht den Goldenen Bären errungen hat, was Berlin massiv gefordert und quasi schon vorab gefeiert hat. Zu Unrecht, wie wir in unserer Besprechung schrieben. Daß Linklater für seinen Einfall, die Zeit über 12 Jahre filmisch festzuhalten, den Regiepreis erhalten hat, das ist genau richtig, denn es hat was, diesen Film mit dem selben Filmpersonal über die Jahre zu erleben. Nur wird daraus nicht zwangsläufig ein großer Film. Ein großer Film ist zweifellos THE GRAND BUDAPEST HOTEL, der im Menschlichen gründelt und viel zu Tage fördert.

 

Er hat nur einen Nachteil, daß nämlich all das Leben von damals, das so pittoresk und einfach hinreißend dargestellt ist, halt ein Leben von gestern ist, was anzuschauen Vergnügen bereitet, weil alles an dieser Inszenierung stimmt. Aber allein das Gestern gut zu finden, wäre für den besten Film der Berlinale dann wieder etwas zu wenig. Je länger man darüber nachdenkt, desto mehr kann man die getroffenen Entscheidungen verstehen. Dennoch wären wir bei den Gesprächen, den hitzigen oder sanften Diskussionen gerne dabei gewesen, denn die Jury bestand aus allemal interessanten Filmmenschen.

 

Die Berlinale 2014 ist vorbei. Und tatsächlich beginnt gerade schon die Vorbereitung auf die 65. Berlinale im Jahr 2015.

 

www.berlinale.de