Redaktion
Oslo (Weltexpresso) - Wie kam es zu diesem Film?
Mein vorheriger Film, THELMA, war ein GenreFilm, spannungsgeladen und mit übernatürlichem Inhalt. Die Figuren waren weit von meinem eigenen Leben entfernt. Nach diesem Film hatte ich das Gefühl, dass ich zu den Grundlagen zurückkehren sollte, zu dem Kinostil, mit dem ich angefangen hatte. Es begann beinahe wie eine Therapie: Über was in meinem Leben möchte ich gerade sprechen? Ich bin jetzt in meinen 40ern und kenne bei vielen Freunden die verschiedensten Beziehungen. Ich hatte das Gefühl, dass ich über die Liebe sprechen wollte, besonders darüber, wie wir uns das Leben in unserer Fantasie vorstellen und wie es sich dann in der Realität entwickelt. Daraus ergab sich langsam die Figur Julie: eine spontane Frau, auf der Suche nach ihrer Identität und in dem Glauben, diese verändern zu können. Die dann jedoch plötzlich mit der endlichen Lebenszeit und ihrer eigenen Person konfrontiert wird. Es gibt nicht unendlich viele Möglichkeiten im Leben, aber ich kann ihre Sehnsucht danach nachvollziehen.
Wollten Sie alle Fragen einer jungen Frau in der heutigen Zeit (Liebe, Sex, Beziehungen, Mutterschaft, Erwachsensein, Karriere ...) berücksichtigen?
Einige dieser Fragen sind existenziell und könnten wohl für jeden gelten. In diesem Film geht es mehr darum, wie Beziehungen unsere Erwartungen an das Leben widerspiegeln. In unserer Kultur werden wir mit der Erwartungshaltung erzogen, dass wir uns durch die Liebe selbst bestimmen und erfüllen können, dasselbe gilt auch für unsere Karriere. Dieser Film ist eine Charakterstudie über Julie; ich wollte keine allgemeine Aussage darüber treffen, was es bedeutet, heute eine Frau zu sein – das wäre unmöglich. Die Tatsache, dass sie eine moderne Frau ist, kommt schließlich von selbst ins Spiel: durch Situationen, Humor, Satire und verschiedene Dinge, die ich auch selbst erlebt, gesehen oder mir vorgestellt habe. Mein Co-Autor Eskil Vogt und ich versuchen beim Schreiben, interessante Ideen zu fi nden und sie wahrheitsgemäß zu untersuchen. Das Wundervolle an Kunst ist, dass sie weder eine soziologische noch eine analytische Studie sein muss: es kann hoffentlich eine Wahrheit über eine Person sein, und daraus kann sich etwas Größeres ergeben, über das man nachdenken kann.
Können Sie etwas über den Filmtitel sagen? Er scheint eine absichtliche Übertreibung zu sein, die Julies Gefühle zu sich selbst ironisiert.
Einen Film über Liebe zu drehen und ihn dann THE WORST PERSON IN THE WORLD zu nennen, hat defi nitiv etwas Ironisches. In Bezug auf Intimität und Beziehungen fühlt sich Julie den ganzen Film über wie eine Versagerin, wie der schlechteste Mensch der Welt. Wie sich herausstellt, scheinen einige der anderen Figuren dieses Gefühl des persönlichen Versagens ebenfalls zu spüren.
Julie lässt sich auf Aksel ein, der nett, intelligent, gut aussehend und fürsorglich ist ... Aber sie ist mit dieser Beziehung letztendlich nicht zufrieden. Warum?
Ich glaube, beide idealisieren sich gegenseitig. Aksel ist älter und erfolgreich, während Julie versucht, ihrem Leben zu entkommen. In gewisser Weise füllt sie die Rolle der klugen und lustigen jungen Frau aus, aber nach einer Weile fragt sie sich selbst, wo ihr eigener Raum zur Entfaltung ist. Ein wichtiger Aspekt des Films ist die Zeit. Die Beziehung zwischen Aksel und Julie könnte aufgrund ihres Altersunterschieds auch schlechtes Timing sein. Sehr oft werden wir in romantischen Geschichten oder in der Realität angehalten, darüber nachzudenken, wie wir die richtige Person treffen, als ob es das Wesen einer richtigen Person gäbe! Aber Zeit und Wesen sind verschiedene Dinge. Selbst, wenn man diese eine Person trifft, zu der man die wahrhaftige Verbindung hat, kann im Leben das Timing falsch sein. Ich habe selbst die Erfahrung gemacht. Die besten romantischen Komödien können uns etwas über das Menschsein lehren. Denkt man an den Film DIE NACHT VOR DER HOCHZEIT von George Cukor, in dem sich Katherine Hepburn zwischen zwei komplett unterschiedlichen Leben zwischen zwei verschiedenen Geliebten entscheiden muss. Julie ihrerseits muss sich selbst akzeptieren und lieben und sich nicht so unglücklich fühlen. Um Virginia Woolf zu zitieren, sie muss „ihren eigenen Platz“ finden, was ebenso wichtig ist wie eine gute Beziehung. Und diese Suche schafft einen Konfl ikt zwischen Julie und Aksel.
Dieser großartige Moment im Film, in dem Julie auf einer Party Eivind kennenlernt, wie haben Sie sich diese Szene vorgestellt und was wollten Sie damit erzählen?
Die Idee dahinter war, die Grenzen von Treue zu hinterfragen. Was bedeutet es überhaupt, untreu zu sein? Julie und Eivind versuchen, gemeinsam Zeit zu verbringen, zunächst ohne sexuelle Gedanken. Dieses Level nennt sich in romantischen Komödien „meet cute“ („sich niedlich treffen“). Es hat etwas Humorvolles, all die philosophischen Fragen über unsere monogamen Rahmenbedingungen zu stellen: Was ist erlaubt und was nicht? Julie und Eivind haben nichts Falsches getan, aber gleichzeitig ist alles, was sie machen, falsch. Was befi ndet sich innerhalb und was außerhalb dieser subtilen sozialen Strukturen, innerhalb derer wir alle einverstanden sind, mitzuspielen. Das ist ein guter Ausgangspunkt für einen Film über Beziehungen und Romantik.
Julie trennt sich von Aksel, um mit Eivind zusammenzukommen. Was sieht sie in Eivind, was Aksel ihr nicht geben konnte?
Eine Art Freiheit. Eivind ist in etwa so alt wie Julie und arbeitet in einer Caféteria. Bei ihm muss sie nicht beweisen, dass sie ehrgeizig ist, dass sie Mutter oder zukünftige Ehefrau werden will. Eivind ist nett, sanft und nicht so fordernd wie Aksel. In der Beziehung zu Eivind zeigt sich aber auch ihre Angst, jemandem zu nahe zu kommen. Das Leben ist kurz und man hat nur so viel Zeit. Und manchmal passieren die Dinge nicht in der richtigen Reihenfolge.
Julie ist nicht immer sympathisch. Sie kann sehr unhöfl ich sein, wie in der Szene, in der sie Eivind beleidigt ...Wollten Sie auch die Komplexität des menschlichen Wesens zeigen?
Ich bevorzuge einen humanistischen Ansatz beim Erzählen von Geschichten, wenn ich die inneren Konfl ikte der Figuren zeigen kann, ihr Bemühen, Gutes zu tun und ihr Scheitern... wie wir es alle tun. Diese Herangehensweise ist ehrlicher und interessanter. Wie die Figur in OSLO, 31. AUGUST sehnt sich Julie nach Verbundenheit. Auch wenn es sich um einen eher humorvollen Film handelt, ist auch ihr Gefühl der Einsamkeit zu spüren. Sie sabotiert ihre Beziehungen aus Gründen, über die zu spekulieren, ich dem Publikum überlasse. Es ist aber ein interessanter Aspekt ihrer Persönlichkeit, sie ist nicht perfekt. Der Film erzählt eine Geschichte, die sich über mehrere Jahre erstreckt, so dass Julie Zeit hat, sich zu entwickeln und verschiedene Lebensabschnitte zu durchlaufen. Weshalb sie natürlich nicht immer sympathisch ist.
Kann man sagen, dass Julie weiß, was sie nicht will, aber nicht so genau, was sie will?
Ja, da stimme ich zu. Die Vorstellung, etwas zu erreichen, etwas zu schaffen, etwas zu werden, kann so erdrückend und kompliziert sein. Und wie wenig Zeit wir haben, um das alles herauszufi nden! Zu Beginn des Films sehen wir, dass sie sich bereits als Versagerin fühlt, dabei ist sie noch nicht einmal 30. Und die Gesellschaft erwartet, dass sie eine langfristige Beziehung eingeht und Kinder bekommt ... Da beginnt das Drama im Film.
Sagt der Film etwas über die Liebe und Beziehungen in unserer Zeit des Internets, der sozialen Medien und der Dating-Apps aus? Sind tiefe und langfristige Liebesgeschichten schwieriger als vor 30 oder vor 50 Jahren?
Es ist paradox. Einerseits betrachte ich die Menschen in unserer heutigen Gesellschaft: Niemand empfi ndet Liebe als einfach oder erlebt sie in dem Rahmen, den uns romantische Filme oft vermitteln. Ja, wir leben in einer Zeit extremer Wahlmöglichkeiten, und letztlich haben viele Menschen das Gefühl, nicht wählen zu können oder nicht zu wissen, was sie wählen sollen. Es ist eine sehr komplizierte Zeit, um einen Partner fürs Leben zu fi nden. Ein Teil davon ist aber positiv, weil es auch eine Art von Freiheit ist. Heutzutage müssen Frauen nicht verheiratet sein oder ab einem gewissen Alter Kinder bekommen. Andererseits stehen wir alle unter großem Druck, in der Liebe erfolgreich zu sein. Es ist verzwickt. Aber, wenn man die Romane von Henry James aus den 1880er Jahren liest oder die Filme von Antonioni oder Bergman aus den 1960er Jahren anschaut, kann man sehen, dass die Menschen auch in der Vergangenheit mit der Frage der Liebe und Beziehungen zu kämpfen hatten! Als Künstler hofft man immer, etwas von zeitlosem Wert zu erschaffen. Es gibt eine Szene, in der Julie ihren 30. Geburtstag feiert. Wir sehen eine Montage von Frauen aus ihrer Familie – ihre Mutter, Großmutter, Urgroßmutter usw. – und wir können die Veränderungen in der Liebe und in den Beziehungen über die verschiedenen Generationen erkennen. Im Jahr 1750 war die Lebenserwartung von Frauen 35 Jahre. Also ja, die Zeiten haben sich sehr stark verändert!
Foto:
©
Info:
Der schlimmste Mensch der Welt (Verdens verste menneske), Norwegen 2022
Regie: Joachim Trier
Drehbuch: Joachim Trier, Eskil Vogt
Besetzung: Renate Reinsve, Anders Danielsen Lie, Herbert Nordrum
128 Minuten
Julie lässt sich auf Aksel ein, der nett, intelligent, gut aussehend und fürsorglich ist ... Aber sie ist mit dieser Beziehung letztendlich nicht zufrieden. Warum?
Ich glaube, beide idealisieren sich gegenseitig. Aksel ist älter und erfolgreich, während Julie versucht, ihrem Leben zu entkommen. In gewisser Weise füllt sie die Rolle der klugen und lustigen jungen Frau aus, aber nach einer Weile fragt sie sich selbst, wo ihr eigener Raum zur Entfaltung ist. Ein wichtiger Aspekt des Films ist die Zeit. Die Beziehung zwischen Aksel und Julie könnte aufgrund ihres Altersunterschieds auch schlechtes Timing sein. Sehr oft werden wir in romantischen Geschichten oder in der Realität angehalten, darüber nachzudenken, wie wir die richtige Person treffen, als ob es das Wesen einer richtigen Person gäbe! Aber Zeit und Wesen sind verschiedene Dinge. Selbst, wenn man diese eine Person trifft, zu der man die wahrhaftige Verbindung hat, kann im Leben das Timing falsch sein. Ich habe selbst die Erfahrung gemacht. Die besten romantischen Komödien können uns etwas über das Menschsein lehren. Denkt man an den Film DIE NACHT VOR DER HOCHZEIT von George Cukor, in dem sich Katherine Hepburn zwischen zwei komplett unterschiedlichen Leben zwischen zwei verschiedenen Geliebten entscheiden muss. Julie ihrerseits muss sich selbst akzeptieren und lieben und sich nicht so unglücklich fühlen. Um Virginia Woolf zu zitieren, sie muss „ihren eigenen Platz“ finden, was ebenso wichtig ist wie eine gute Beziehung. Und diese Suche schafft einen Konfl ikt zwischen Julie und Aksel.
Dieser großartige Moment im Film, in dem Julie auf einer Party Eivind kennenlernt, wie haben Sie sich diese Szene vorgestellt und was wollten Sie damit erzählen?
Die Idee dahinter war, die Grenzen von Treue zu hinterfragen. Was bedeutet es überhaupt, untreu zu sein? Julie und Eivind versuchen, gemeinsam Zeit zu verbringen, zunächst ohne sexuelle Gedanken. Dieses Level nennt sich in romantischen Komödien „meet cute“ („sich niedlich treffen“). Es hat etwas Humorvolles, all die philosophischen Fragen über unsere monogamen Rahmenbedingungen zu stellen: Was ist erlaubt und was nicht? Julie und Eivind haben nichts Falsches getan, aber gleichzeitig ist alles, was sie machen, falsch. Was befi ndet sich innerhalb und was außerhalb dieser subtilen sozialen Strukturen, innerhalb derer wir alle einverstanden sind, mitzuspielen. Das ist ein guter Ausgangspunkt für einen Film über Beziehungen und Romantik.
Julie trennt sich von Aksel, um mit Eivind zusammenzukommen. Was sieht sie in Eivind, was Aksel ihr nicht geben konnte?
Eine Art Freiheit. Eivind ist in etwa so alt wie Julie und arbeitet in einer Caféteria. Bei ihm muss sie nicht beweisen, dass sie ehrgeizig ist, dass sie Mutter oder zukünftige Ehefrau werden will. Eivind ist nett, sanft und nicht so fordernd wie Aksel. In der Beziehung zu Eivind zeigt sich aber auch ihre Angst, jemandem zu nahe zu kommen. Das Leben ist kurz und man hat nur so viel Zeit. Und manchmal passieren die Dinge nicht in der richtigen Reihenfolge.
Julie ist nicht immer sympathisch. Sie kann sehr unhöfl ich sein, wie in der Szene, in der sie Eivind beleidigt ...Wollten Sie auch die Komplexität des menschlichen Wesens zeigen?
Ich bevorzuge einen humanistischen Ansatz beim Erzählen von Geschichten, wenn ich die inneren Konfl ikte der Figuren zeigen kann, ihr Bemühen, Gutes zu tun und ihr Scheitern... wie wir es alle tun. Diese Herangehensweise ist ehrlicher und interessanter. Wie die Figur in OSLO, 31. AUGUST sehnt sich Julie nach Verbundenheit. Auch wenn es sich um einen eher humorvollen Film handelt, ist auch ihr Gefühl der Einsamkeit zu spüren. Sie sabotiert ihre Beziehungen aus Gründen, über die zu spekulieren, ich dem Publikum überlasse. Es ist aber ein interessanter Aspekt ihrer Persönlichkeit, sie ist nicht perfekt. Der Film erzählt eine Geschichte, die sich über mehrere Jahre erstreckt, so dass Julie Zeit hat, sich zu entwickeln und verschiedene Lebensabschnitte zu durchlaufen. Weshalb sie natürlich nicht immer sympathisch ist.
Kann man sagen, dass Julie weiß, was sie nicht will, aber nicht so genau, was sie will?
Ja, da stimme ich zu. Die Vorstellung, etwas zu erreichen, etwas zu schaffen, etwas zu werden, kann so erdrückend und kompliziert sein. Und wie wenig Zeit wir haben, um das alles herauszufi nden! Zu Beginn des Films sehen wir, dass sie sich bereits als Versagerin fühlt, dabei ist sie noch nicht einmal 30. Und die Gesellschaft erwartet, dass sie eine langfristige Beziehung eingeht und Kinder bekommt ... Da beginnt das Drama im Film.
Sagt der Film etwas über die Liebe und Beziehungen in unserer Zeit des Internets, der sozialen Medien und der Dating-Apps aus? Sind tiefe und langfristige Liebesgeschichten schwieriger als vor 30 oder vor 50 Jahren?
Es ist paradox. Einerseits betrachte ich die Menschen in unserer heutigen Gesellschaft: Niemand empfi ndet Liebe als einfach oder erlebt sie in dem Rahmen, den uns romantische Filme oft vermitteln. Ja, wir leben in einer Zeit extremer Wahlmöglichkeiten, und letztlich haben viele Menschen das Gefühl, nicht wählen zu können oder nicht zu wissen, was sie wählen sollen. Es ist eine sehr komplizierte Zeit, um einen Partner fürs Leben zu fi nden. Ein Teil davon ist aber positiv, weil es auch eine Art von Freiheit ist. Heutzutage müssen Frauen nicht verheiratet sein oder ab einem gewissen Alter Kinder bekommen. Andererseits stehen wir alle unter großem Druck, in der Liebe erfolgreich zu sein. Es ist verzwickt. Aber, wenn man die Romane von Henry James aus den 1880er Jahren liest oder die Filme von Antonioni oder Bergman aus den 1960er Jahren anschaut, kann man sehen, dass die Menschen auch in der Vergangenheit mit der Frage der Liebe und Beziehungen zu kämpfen hatten! Als Künstler hofft man immer, etwas von zeitlosem Wert zu erschaffen. Es gibt eine Szene, in der Julie ihren 30. Geburtstag feiert. Wir sehen eine Montage von Frauen aus ihrer Familie – ihre Mutter, Großmutter, Urgroßmutter usw. – und wir können die Veränderungen in der Liebe und in den Beziehungen über die verschiedenen Generationen erkennen. Im Jahr 1750 war die Lebenserwartung von Frauen 35 Jahre. Also ja, die Zeiten haben sich sehr stark verändert!
Foto:
©
Info:
Der schlimmste Mensch der Welt (Verdens verste menneske), Norwegen 2022
Regie: Joachim Trier
Drehbuch: Joachim Trier, Eskil Vogt
Besetzung: Renate Reinsve, Anders Danielsen Lie, Herbert Nordrum
128 Minuten