Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 2. Juni 2022, Teil 10
Corinne Elsesser
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ein Junge sitzt im Zug und schaut aus dem Fenster. Er wirkt hochangespannt und aufmerksam und spätestens, als er an der dänischen Grenze vor den Zöllnern wegläuft, wird klar, dass er illegal und auf der Flucht ist. Er wird festgenommen, spricht jedoch kein Wort. Als man bei ihm eine herausgerissene Seite des Reisepasses eines William Stark findet, wird der Junge ein Fall für Hauptkommissar Carl Mørck (Ulrich Thomsen) und seinen Assistenten Hafez el-Assad (Zaki Youssef) vom "Sonderdezernat Q" der Kopenhagener Mordkommission. Denn Stark ist ihnen bekannt, war er doch vor Jahren mit einem schweren Verbrechen in Verbindung gebracht worden und kurz darauf spurlos verschwunden, woraufhin der Fall zu den Akten gelegt wurde.
Die Verfilmung von Jussi Adler-Olsens Thriller "Marco effekten" ("Erwartung. Der Marco-Effekt") stellt den 14-jährigen südosteuropäischen Migrantenjungen Marco (Lobus Olàh) in den Mittelpunkt. Schon der Titel weist auf die Struktur des Thrillers, die der Autor, der zusammen mit Anders Frithiof August auch am Drehbuch mitgearbeitet hat, mit einem "Schmetterlingseffekt" vergleicht: "Wenn ein Schmetterling in Südamerika mit den Flügeln schlägt, hat das in Jugoslawien einen Effekt.“
Immer wieder gelingt es Marco, aus der Jugendhaftanstalt zu fliehen. Die Ermittler führt er auf diese Weise auf die verzweigten Spuren eines kriminellen Netzwerks, das von untersten Handlangern im Migrantenmilieu bis in höchste Regierungskreise reicht. Die seismographischen Wellen, die er gleich einem Schmetterling auslöst, reichen von Kopenhagen bis nach Kamerun und über Rumänien wieder zurück auf einen Gutshof in der Nähe der dänischen Hauptstadt. Das alles geht mit hohen Geldsummen einher, mit Spendengeldern in Millionenhöhe, mit Entwicklungshilfeprojekten in Afrika und mit der Veruntreuung dieser Gelder mithilfe hochrangiger Regierungsbeamter.
Musste man in deutschen Fernsehkrimiserien allzuoft mitansehen, wie die Polizeibeamten in solchen Fällen irgendwo auf halber Strecke aufgaben oder zur Einstellung ihrer Ermittlungen gezwungen wurden, da diese für gewisse Kreise zu brenzlig geworden wären, so lassen sich Mørck und el-Assad von solchen Bedenken nicht beeindrucken. Sie setzen ihre Recherchen auch dann unerbittlich fort, wenn der Hauptkommissar zwischenzeitlich vom Dienst suspendiert oder in den Urlaub versetzt wurde. Immer wieder treffen die Kommissare auf Marcos Fährte, an deren Ende die Schlinge um den Hals einiger Politiker immer enger wird.
Charakteristisch für die Verfilmungen der Thriller Jussi Adler-Olsens ist ein düsteres, dunkeltoniges Ambiente, in dem die Spannung bis zur Zerreissprobe ansteigt. Ulrich Thomsen gibt seinen Kommissar Mørck als überarbeiteten, übernächtigten, einsamen Helden, der aus einem Dashiell Hammett Roman entsprungen sein könnte. Immer schon hat er die Enden zusammengefügt, während der Zuschauer noch im Dunkel der Abstellgleise eines alten Bahnhofs oder eines verfallenen Rohbaus tappt. Regisseur Martin Zandvliet arbeitet mit langen Einstellungen und nicht zu schnellen Schnitten und versteht es, die Spannung langsam, doch kontinuierlich zu steigern.
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Info:
Erwartung. Der Marco-Effekt (Marco effekten), Dänemark 2022
Regie: Martin Zandvliet
Drehbuch: Anders Frithiof August, Jussi Adler-Olsen
Besetzung: Ulrich Thomsen, Zaki Youssef, Lobus Olàh, Sofie Torp u.a.
125 Minuten