Bildschirmfoto 2022 06 04 um 00.22.46Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 2. Juni 2022, Teil 12

Redaktion

Paris (Weltexpresso) - Was hat es Ihnen bedeutet, diesen französischen Cultcomic zu verfilmen?

Das war sehr aufregend, denn Der Kleine Nick gehört in Frankreich zum Kulturerbe. Ich selber las seine Abenteuer als Kind und habe sie dann später auch meinen eigenen Kindern vorgelesen. Ich wollte mich wieder in die Welt von Goscinny und Sempé versetzen und mir für DER KLEINE NICK  AUF SCHATZSUCHE eine neue Geschichte ausdenken.



Nun gibt es bereits auch andere Verfilmungen. Wollten Sie wieder bei null anfangen oder durchaus auch an die bestehenden Verfilmungen anknüpfen?

Als Drehbuchautor habe ich wieder bei null angefangen, denn zusammen mit meinem KoDrehbuchautor dachten wir uns eine völlig neue Geschichte aus. So wollten wir die Handlung wieder in die 1960er Jahre verlegen und damit an eine gewisse Optik anknüpfen, die auch in den vorherigen Filmen etabliert wurde. Wir wollten weder etwas imitieren noch uns völlig abgrenzen. Allerdings stand schnell fest, mit neuen Schauspielern zu arbeiten. Nicht weil die bisherigen nicht gut sind, die Darsteller/Innen der Eltern waren großartig, aber wir wollten schon etwas Neues schaffen.


Und wie aufwendig war das Kindercasting?

Ich habe innerhalb von sechs Monaten um die 400 Kinder gesehen. Das ist ein langer, aber auch interessanter Prozess, weil man viele Kinder trifft, die meistens über eine große Spontanität und Persönlichkeit verfügen. Man muss aber junge Darsteller finden, die auch als Einheit funktionieren.
Nick hat ja seine Bande. Zusammen sind sie sieben Jungs. Das dauert dann einfach, gut zu casten, weil ja die meisten auch noch nie vor der Kamera standen. Es war aber sehr bereichernd.


Wie sind denn ihre jungen Darsteller mit dieser ihnen so fremden Welt umgegangen, in der es noch keine Handys oder das Internet gab? War das nicht eine völlig fremde Welt für diese junge Generation?

Sicher ist die Technik heute anders. Aber es bleiben so viele Dinge bestehen, die typisch für die Kindheit sind: die Freunde, Blödsinn machen, die Schule, das Verhältnis zu Lehrern, zu Autoritäten. In unserer Geschichte DER KLEINE NICK AUF SCHATZSUCHE soll ja Nick in den Süden umziehen und befürchtet, so seine Freunde zu verlieren. Das löst in einem Kind starke Gefühle und Ängste aus. Solche Emotionen sind heute nicht anders als damals in den 60er Jahren. Wir suchten generell nach universellen Konflikten, die man nicht nur einer gewissen Epoche zuordnen kann. Unser Film spricht auch die heutige Generation von Kindern an, denn es geht darin um zeitlose und universelle Geschichten.


Warum haben Sie sich dann für Jean-Paul Rouve und Audrey Lamy entschieden. Hatten sie beide schon beim Drehbuchschreiben im Kopf?

Sie tauchten beim Schreiben langsam auf und setzten sich dann fest. Jean-Paul Rouve hat etwas von einem großen Kind, das gut zu der Figur von Nicks Vater passt, also ein Kind in einem Erwachsenenkörper. Er hat auch etwas Verspieltes, dazu eine weiche Seite und Tollpatschigkeit, die gut zu dieser Vaterfigur passt. Mir schwebte dabei vor allem ein Schauspielduo vor, das gut funktioniert. Audrey Lamy ist eine sehr gute Schauspielerin, eine überzeugende Komödiantin, die auch ernstere, emotionale Momente überzeugend spielen kann. Und beide ergänzen sich perfekt. Sie verkörpert die Chefin im Haus, obwohl sie nur Hausfrau ist und ihr Mann arbeitet. Sie leitet und dirigiert alles.


Aber diese sehr moderne und heutige Frauenfigur, die sich von Männern nicht herumkommandieren lässt, war sie auch in den Originalgeschichten schon so angelegt oder haben Sie das mit eingebracht?

Das habe ich hinzugefügt. In den Originalgeschichten ist die Mutterfigur noch tief in den 60er Jahren verankert. Das passt einfach nicht mehr in unsere Zeit. Ich wollte keine Frauenfigur, die nur im Hintergrund bleibt und ihren Mann oder den gesellschaftlichen Druck ertragen muss. Ich fand es interessant, diese Figur zu modernisieren, sie temperamentvoller zu zeichnen. Sie ist wie gesagt die Chefin im Haus und hat überhaupt keine Lust, alles alleine zu machen, den ganzen Umzug zu stemmen.
Sie kann sich ihrem Mann gegenüber durchsetzen, und das schafft nicht nur amüsante Situationen, sondern ist Frauen gegenüber auch viel gerechter.


Wie ist ihr Film in Frankreich angelaufen?

Er lief ganz gut mit etwa 600 000 Zuschauern. Das ist in diesen Covid-Zeiten durchaus in Ordnung, aber man wünscht sich ja immer, dass so viele Menschen wie möglich den eigenen Film sehen. Es ist ein Film für die gesamte Familie: die Kinder, Eltern und Großeltern. Man kann DER KLEINE NICK AUF
SCHATZSUCHE auch auf verschiedenen Ebenen betrachten. Für jede Generation ist etwas dabei. Das habe ich bemerkt, als ich mit dem Film auf Tournee war.


Gab es für Sie filmische Vorbilder? Haben Sie noch einmal die Comics von Sempé und Goscinny gelesen?

Bevor ich mit dem Drehbuch begann, las ich noch einmal alle Geschichten vom kleinen Nick. Es ging zwar darum, sich eine neue Geschichte auszudenken, die aber im Geist und Tonfall von Goscinny und Sempé stehen sollte. Ich wollte diese so spezielle Welt richtig in mir aufsaugen. Bei den Filmen, an die ich dachte, kommt man vielleicht nicht sofort auf den kleinen Nick. Es sind US-Filme, mit denen ich aufgewachsen bin, in denen es auch um Jungsbanden geht wie Stand by me - Das Geheimnis eines Sommers oder Die Goonies. Aber auch Moonrise Kingdom von Wes Anderson, den ich sehr mag. In all diesen Filmen geht es darum, wie die Kindheit geschildert wird, was Freundschaft bedeutet. So eine Geschichte schwebte mir vor, die Abenteuer mit Humor verbindet und, wie ich hoffe, auch ein wenig Poesie enthält.


Und wie haben Kinder reagiert, als sie Ihren Film gesehen haben? Gab es überraschende Reaktionen?

Die Zeit, in der die Geschichte spielt, ist den Kindern nicht so fremd, dass sie sich nicht identifizieren könnten. Was sie im Film sehen und woran sie sich erinnern, sind die Kumpel, die Abenteuer, die überraschenden Wendungen der Geschichte, oder Fragen wie: Ich möchte meine Freunde nicht verlieren, oder: Ich möchte einen Schatz finden. Darin besteht aber das Genie von Goscinny und Sempé. Sie haben etwas Zeitloses erschaffen, dass ich im Film wiederaufleben lassen will. Natürlich stellte ich mir vorher auch diese Frage, die Sie mir vorhin stellten: Können sich Kinder heute mit der Welt der Kinder von damals überhaupt identifizieren? Wenn es um wahrhaftige Emotionen geht und Situationen die stimmen, dann passt es.

Foto:
©Verlleih

Info:
DER KLEINE NICK AUF SCHATZSUCHE (Le trésor du petit Nicolas)
von Julien Rappeneau, F 2021, 103 Min.
mit Jean-Paul Rouve, Pierre Arditi, Ilan Debrabant, Grégory Gadebois, Jean-Pierre Darroussin, Adeline d'Hermy
nach Buchreihe, von René Goscinny, Jean-Jacques Sempé
Familienfilm / Start: 02.06.2022