STATEMENT VON REGISSEUR GRAHAM MOORE

Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 2. Juni 2022, Teil 15

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Mein Großvater Charlie war der anständigste Mensch, den ich je gekannt habe. Nach der Trennung meiner Eltern – ich war sieben, mein Bruder vier – übernahm Charlie, der Vater meiner Mutter, eine bedeutende Elternrolle in unserem Leben. Er ging mit uns in Museen und
vermittelte mir damit eine Liebe zur Wissenschaft, die mich letztendlich dazu inspirierte, The
Imitation Game – Ein streng geheimes Leben zu schreiben.

Er brachte mir bei, wie man eine Krawatte bindet. Er ging mit mir ins Kino und verließ mit mir den Saal, wenn auf der Leinwand einem Kind irgendetwas Schlimmes passierte. Er trank nicht, er rauchte nicht, und sein einziges Laster war eine Kugel Schokoladeneis jeden Nachmittag. (Aber nur eine!) Er war meiner Großmutter mehr als sechzig Jahre lang ein liebender und hingebungsvoller Ehemann. Er war Familienarzt in einer kleinen Stadt in New Jersey und behandelte regelmäßig mehrere Generationen einer einzigen Familie. Er war ein geborener Heiler und so penibel gesetzestreu, dass er nicht mal die Geschwindigkeitsbegrenzung überschritt. Er war ein offener, ehrlicher und grundanständiger Mensch.

Und trotzdem war einer seiner Patienten der berüchtigte Gangster Jerry Catena.Mein liebenswerter, sanfter Großvater kümmerte sich um einen der Anführer der brutalen Verbrecherfamilie Genovese. Meine Großmutter flehte ihn an, seinen Gangsterpatienten aufzugeben, aber Charlie weigerte sich: „Zu mir war er nie etwas anderes als ein Gentleman.“

Meine Großmutter blieb unnachgiebig: „Dieser Mann hat Menschen umgebracht.“ Aber für meinen Großvater war Jerry Catena kein grausamer Mörder. Er war ein menschliches Wesen, das ärztliche Versorgung brauchte. Schließlich hatte mein Großvater einen Eid geschworen.Mein Großvater fiel mir nicht sofort ein, als mein lieber Freund Johnathan McClain im Jahr 2015 zu mir sagte: „Wieso hat noch nie jemand einen Film über einen Savile-Row-Schneider gemacht?“ Aber ich fand, dass das eine interessante Figur als Mittelpunkt eines Films sein könnte. Johnathan und ich waren beide von der Psychologie einer Person fasziniert, die Jahre – Jahrzehnte sogar! – damit verbrachte, ein Handwerk zu perfektionieren, das gleichzeitig geheimnisvoll und akkurat ist. Gemeinsam wurden wir immer besessener von der Idee. Wir verbrachten Jahre mit Nachforschungen: sprachen mit Schneidern, studierten die Geschichte von Anzügen und verbrachten schließlich Zeit im Keller eines Savile-Row-Geschäfts. Aber während wir unsere Hauptfigur immer weiter verfeinerten, konnten wir eine Frage nicht beantworten: Was war unsere Geschichte?

Und dann stießen wir tief vergraben in einem großen Buch über die Anzugherstellung im 20. Jahrhundert auf einen einzelnen Satz. Wir erfuhren, dass das FBI die erste Abhörwanze in seiner Geschichte 1956 in Chicago platziert hatte ... in einem Schneidergeschäft.Und plötzlich kam alles zusammen. Was, wenn unser Schneider ein Mann wie mein Großvater wäre? Ein guter, anständiger Mensch im Dienst eines boshaften Killers?

Das klang nach einer Geschichte.

In meinen Augen ist THE OUTFIT – Verbrechen nach Maß ein Thriller über Mittäterschaft. Wie lange kann man für ein Monster arbeiten und die Augen vor dessen Ungeheuerlichkeit verschließen? An welchem Punkt ist man nicht mehr nur Beobachter, sondern Komplize? Was für Geschichten erzählen wir uns selbst, um unsere eigene Untätigkeit im Angesicht der Ungerechtigkeit zu rechtfertigen?

Und was bräuchte es, um uns endlich dazu anzutreiben, aufzustehen und etwas zu unternehmen?

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