Belle1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 9. Juni 2021, Teil 2

Margarete Ohly-Wüst

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die 17jährige Suzu ist eine zutiefst unglückliche Oberschülerin, die zusammen mit ihrem Vater in der japanischen Provinz lebt. Seit dem frühen Tod ihrer Mutter durch Ertrinken als sie ein anderes Kind retten wollte, den Suzu selbst miterlebt hat, ist sie traumatisiert und in sich gekehrt. Ihr Vater kommt nicht an sie heran und sie hat auch kaum Freunde.

Eines Tages rät ihre einzige Freundin Hiroka Betsuyaku ihr, sich doch in der virtuellen Welt "U" mit fünf Milliarden Online-Nutzern anzumelden.

Die Neuankömmlinge lassen ihre Biometrie einlesen und erhalten so einen Avatar von sich selbst. Dadurch verwandelt Suzu sich - mit Hilfe eines Bildes von Ruka Watanabe, der beliebtesten Schülerin der Schule - in die schöne und anmutige Bell. Allerdings verpasst Suzu ihrem Avatar ein paar ihrer Sommersprossen.

Im Gegensatz zum realen Leben fühlt sich Suzu in der digitalen Welt sofort wohl, sie ist viel selbstsicherer und beginnt zum ersten Mal seit dem Tod ihrer Mutter wieder zu singen. Während sie in der realen Welt nicht mit Freundinnen ihrer Mutter noch in der Schule singen kann, ist sie in der Lage, in der schützenden Anonymität der Online-Welt ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Mit ihren von Herzen kommenden Liedern wird sie ganz rasch zum Internet-Star mit vielen Millionen Followern und erhält den Namen "Belle", dabei kennt - außer ihrer Freundin Hiro - niemand ihre wahre Identität.

Doch der Erfolg als Sängerin hat nicht nur positive Seiten, Bei einem ihrer Konzerte wird ihr Auftritt von dem "Drachen" (auch das "Biest" genannt) gestört. Dieser User treibt schon seit einiger Zeit in der virtuellen Welt von U sein Unwesen. Er konnte aber bis jetzt noch nicht gefangen werden, das bedeutet, dass man seine wahre Identität noch nicht herausbekommen hat.

Belle selbst ist von dem mysteriösen Wesen fasziniert und möchte - wie viele andere auch - seine wahre Identität kennen lernen. Es zeigt sich, dass das Biest vor allem bei Jugendlichen sehr beliebt ist. Während sie ihm folgt, wird sie durch den aggressiven Drachen, der sein Aussehen verabscheut, in eine Reise voller Abenteuer hineingezogen. Letztendlich wird sie von einem Engel-Avatar zu seinem Schloss geführt, in dem er mit fünf (niedlichen) Diener-Avataren lebt.

Während Belle erkennt, dass hinter der Oberfläche des angeblichen Bösewichts ein Mensch mit großen Problemen steckt, wird das Biest gleichzeitig von einer Gruppe von selbsternannten Wächtern von U unter der Führung des arroganten Justin verfolgt, die unter allen Umständen - auch mit miesen Tricks - den Drachen demaskieren wollen, damit seine wahre Identität bekannt gegeben werden kann.

Kann Belle auch als Suzu mit Hilfe von Mitschülern zum Drachen vor dem Mob durchdringen und kann sie der Person helfen, der hinter dem Avatar steckt?


Belle2Regisseur und Drehbuchautor von "Belle" ist Mamoru Hosoda, der mit seinem Studio Chizu 2018 auch für den Oscar-nominierten Animationsfilm "Mirai - Das Mädchen aus der Zukunft" oder "Summer Wars" (2009) verantwortlich war. Auch diese beiden Filme behandeln auf sehr unterschiedliche Weise das Lösen realer Probleme in einer nicht realen Welt. Während in "Mirai" der vierjährige Kun mit Hilfe eines Familienbaumes im Garten in die Vergangenheit und Zukunft reist und sich dadurch mit seiner Baby-Schwester aussöhnt, und Kenji in "Summer Wars" eine künstliche Intelligenz ausschalten muss, das auch die reale Welt bedroht, kann Suzu als Belle in der digitalen Welt die Freiheit genießen, die sich durch ihre Trauer in der realen nicht zugesteht.

"Belle" kann auch als eine Mischung aus "Ready Player One" (2018) und Disneys "Die Schöne und das Biest" (1991) angesehen werden. Bekanntlich ist Disneys Film von dem 1756 veröffentlichten französischen Märchen Le Belle et la Bête von Jeanne-Marie Leprince de Beaumont inspiriert worden, die aber auch nur Vorgänger-Versionen des Märchens bearbeitet hat. Es wird vermutet, dass die Geschichte seit etwa 4000 Jahren in ähnlicher Weise überall in Europa erzählt worden ist.

In der Social-Media Plattform U können Menschen aus der ganzen Welt neue Fähigkeiten entdecken und sie allen Usern vorspielen, egal ob es kulturelle Talente sind wie tanzen, schauspielern oder wie bei Belle singen, aber sie können ihre sportliche und viele andere Leistungen zeigen oder sich einfach nur als digitale Schönheiten präsentieren. Das bedeutet aber auch, dass viele User große Teile ihrer Freizeit in U verbringen.

Mamoru Hosoda hat mit "Belle" einen visuell beeindruckenden Animationsfilm geschaffen. Dabei wechselt der Regisseur spielerisch hin und her zwischen handgezeichneten animierten Szenen in der realen Welt mit wunderschönen Landschaften und tollen Hintergründen und der überbordenden Cyberwelt mit strahlenden Lichtern und Farben und einer riesigen Fülle von verschieden - häufig recht skurrilen - Avataren.

Wie schon gesagt ist die Story zwischen Suzu, die als Belle die Sozial-Media Plattform erobert, und dem wütenden Biest inspiriert von Disneys Animationsfilm von 1991. Dies wird auch deutlich, da Hosoda einige der bekannten Szenen oder Motive aus "The Beauty and the Beast" 1:1 nachstellt, wie die verblühende Rose, die Balkonszene im Schloss, der Kampf zwischen Julian und dem Biest oder auch der berühmte Tanz im großen Ballsaal des Schlosses, allerdings in einem ganz eigenen Look (so tanzen Belle und das Biest nicht nur auf dem Boden, sondern erheben sich auch in die Luft).

Während des ganzen Films ist es eigentlich unwichtig, wer der Drache wirklich ist, wichtig ist vor allem aus welchen Gründen sich die Person dahinter so verhält, wie Suzu durch das Biest ihre eigenen realen Probleme (die Umstände des Todes ihrer Mutter) verarbeitet und wie sie mit Hilfe ihrer Freunde nicht nur das Biest im wahren Leben vor der Enthüllung durch Justin schützen will, sondern auch um der Person, die hinter dem Avatar steckt, bei ihren Problemen zu helfen versucht.

Allerdings schafft es Mamoru Hosoda, seinen Blick auf soziale Themen in eine wunderbare Geschichte zu integrieren, denn er kann die zeitlose Story von Belle und dem Biest hervorragend in die digitale Welt übertragen.

Ein wichtiger Bestandteil der Story ist die mitreißende Musik samt einfühlsamen Songs von Ludvig Forssell und Yūta Bandō, da der Gesang von Suzu / Belle für die Story eine zentrale Rolle spielt. Der Score wurde mit dem Japan Academy Film Prize für die Beste Filmmusik ausgezeichnet. Bei den Annie-Awards 2022, der wichtigsten Auszeichnung für besondere Leistungen im Bereich Animation, wurde "Belle" fünf Mal nominiert, u.a. als Bester Independent-Animationsfilm, konnte aber keinen der Preise gewinnen.

Belle3Insgesamt ist "Belle" ein nicht nur visuell, sondern auch story-technisch wunderbarer Film, dem man die zwei Stunden Laufzeit nicht anmerkt. denn neben der gelungenen Story laden die überbordenden Bilder immer wieder zum Schauen und die tollen Lieder zum Hören ein. "Belle" ist ganz sicher eine Hommage an "Die Schöne und das Biest", die fantasievolle Welt in Cyberspace ist eine ganz eigene Erfindung vom Regisseur und dem Studio Chizu. Mamoru Hosoda hat aber auch nicht vergessen, dass die menschlichen Gemeinschaft oder ein Sonnenuntergang in der realen Welt doch wichtiger sind, als alle virtuellen Erlebnisse im Cyber-Space.

Zusatz: "Belle" soll ab dem 09.06.2022 in Deutschland und Österreich in etwa 300 Kinos gezeigt werden. Dabei wird der Film sowohl in der Originalfassung mit Untertiteln als auch in der deutschen Synchronisation angeboten. Hoffentlich bleiben die Songs auch in der synchronisierten Fassung in Japanisch - mit deutschen Untertiteln.

Foto 1: Eine neue Welt: Bei ihrer Ankunft in "U" kann Belle ihren Augen kaum trauen. © Koch Films
Foto 2: Brutal und mysteriös: Der Drache sorgt beim zweiten Konzert von Belle für eine gewaltsame Unterbrechung. © Koch Films
Foto 3: Die Normalität des Alltags: Während sie als Belle vor Millionen von Usern auftritt, drückt Suzu im echten Leben noch die Schulbank. © Koch Films

Info:
Belle (Japan 2021)
Originaltitel: Ryû to sobakasu no hime (Der Drache und die sommersprossige Prinzessin)
Genre: Drama, Anime, Abenteuer, Fantasy
Filmlänge: 121 Min.
Drehbuch und Regie: Mamoru Hosoda
Japanische Sprecher: Kaho Nakamura, Ryô Narita, Shôta Sometani, Tina Tamashiro, Lilas Ikuta, Kōji Yakusho, Takeru Satoh u.a.
Deutsche Sprecher: Lara "Loft" Trautmann, Nico Sablik, Tim Schwarzmaier, Laura Oettel, Lea Kalbhenn, Julia Biedermann, Marcus Off, Patrick Baehr u.a.
Verleih: Koch Films unter dem Label KSM Anime
FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 09.06.2022