Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 9. Juni 2021, Teil 8
Jessica Krummacher
Berlin (Weltexpresso) - Meine Mutter wurde mit Mitte 50 schwer krank. Die Diagnose war eine seltene, unheilbare und stets tödlich verlaufende Erkrankung im Gehirn. Nach kurzer Zeit war sie gänzlich in ihrem Körper eingesperrt. Und obwohl sie kaum noch sprechen konnte, war ihr Denken fast immer uneingeschränkt klar.
Nach einigen Jahren im Pflegeheim entschied meine Mutter, nicht mehr leben zu wollen. Sie gab das Essen und Trinken auf. Sie starb nach über zwei Wochen mit 64 Jahren in einem heißen Sommer. Meine Schwester und ich haben sie dabei begleitet.
Nur langsam aber dann unaufhaltsam verschwindet das „Außen“, es löst sich auf, die Kräfte schwinden, die Frau verliert sich immer mehr im Inneren. Oder in der Ferne, wo auch immer es ist? Wo es hin geht, was kommt? Sie verschwindet. Der Tod nimmt den Raum ein. Herbeigesehnt und doch zu früh. Leise Schreie. Tränen. Zurück bleibt nur Eine von den Zweien in dem Raum. Die Tochter. Die Frau ist weg.
ZUM TOD MEINER MUTTER ist eine Tragödie. Eine Tragödie, die ich so erlebt habe. Der Film zeigt nur wenig Auf und Ab, es geht abwärts – und das interessiert mich an dieser Erzählung. Es bewegt sich scheinbar nichts, aber die Welt dreht sich immer weiter.
Es geht um Kerstin und um Juliane, Mutter und Tochter. Um ihre Empfindungen und Wahrnehmungen. Es geht nicht um das Warum, um Gründe oder etwa Erklärungen, die gibt es nicht mehr in dieser Welt.
In meinem Film transformiere ich das „dokumentarische - autobiografische“ in die Kunstwelt, fiktionalisiere, ohne dabei die Brutalität der wahren Begebenheiten zu verlieren. Dafür habe ich Worte und Bilder gesucht, die die beklemmende, ausweglose Situation beschreiben.
Ein Kammerspiel auf der einen Seite, das Leben Draußen auf der anderen. Es wird schnell immer weniger, kleiner. Nach und nach verschwimmt es. Innen: Enge. Fast wie eine Theaterbühne, so starr. Bilder sind dominiert von Leere und ein bisschen Dunkelheit. Das Gefühl des Unabwendbaren drängt sich auf und bleibt.
Der Ort stützt das klaustrophobische im Kammerspiel. Teils ein metaphorischer Ort: in Deutschland, im Ruhrgebiet, meiner Heimat. Es wird zum Spiegel der Seelen, die dort zusammen aushalten müssen, warten auf den Tod. Ein emotionales und zugleich körperliches Universum; eine intime Meditation über das Sterben. Poetik und Realismus zugleich.
Es ist eine traurige Geschichte, aber es geht nicht ausschließlich darum von der Traurigkeit zu erzählen. Es geht auch um eine emotionale Liebeserklärung an das Leben und ganz persönlich an meine Mutter. Eine zärtliche, immer wieder überraschend heitere Hymne auf das Leben und den Tod: Wie fantastisch es ist, dass wir am Leben sind. Wie fantastisch, dass Körper und Geist miteinander kommunizieren und aufeinander reagieren. Fantastisch und grausam zugleich.
Ich werde gefragt, warum ich die Geschichte erzählen möchte. Ich kann es nicht in Worte fassen und ich fürchte mich davor, aber ich glaube, dass die Geschichte unbedingt erzählt werden muss, und dass man sie sehen sollte.
Irgendwann geht es nur noch um den Tod. Der Tod, der nach dem Leben kommt. Der Tod, der mir Angst macht.