Claus Wecker
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ein Film über das langsame Sterben einer 64-jährigen Frau und über ihre Tochter, die sie begleitet. Ein Film nach einer wahren Begebenheit. Tochter Juliane (Birte Schnölnk) ist der 43-jährigen aus Bochum stammende Regisseurin Jessica Krummacher nachgebildet, Jessica Krummacher, deren Mutter mit Mitte 50 von einer seltenen, unheilbaren und stets tödlich verlaufenden Erkrankung im Gehirn erfasst wurde, die dazu führte, dass sie sich in ihrem Körper eingesperrt fühlte und kaum noch sprechen, aber immer noch denken konnte.
»Für mich war es ein Spagat, einerseits eine sehr persönliche Geschichte zu erzählen, andererseits beim Dreh diese Ereignisse, von denen ich erzähle, nicht zu nah an mich rankommen zu lassen«, hat Krummacher in einem Interview mit der »Wiener Zeitung« erklärt und damit die ganze Problematik ihres Films benannt.
Mit Distanz ist nämlich nicht nur Kameramann Gerald Kerkletz ans Werk gegangen. Er bevorzugt ruhige Einstellungen, die Großaufnahme des Arztes (Christian Löber), der uns eine medizinische Bestandsaufnahme wie von einer Bühnenrampe vorträgt, überrascht geradezu.
Mit Distanz versucht auch die Tochter, das Geschehen zu ertragen. Einmal wird sie von der Mutter getröstet, die sich sorgen macht, wie ihre Tochter ohne sie zurecht kommen werde. Und distanziert, wie aus einem Theaterstück wirken viele Dialoge im Präteritum statt im umgangssprachlichen Perfekt.
Kerstin (Elsie de Brauw eindrucksvoll realistisch) wird professionell in einem Altenheim gepflegt, für ein Hospiz ist die vermutete Lebensdauer zu ungewiss. Sie kann nicht mehr allein essen oder gar aus dem Bett aufstehen. Sie weiß aber, dass sie ihr Leben beenden kann, wenn sie sich weigert, zu essen und zu trinken. Dieser Weg bleibt ihr, solange Sterbehilfe verboten ist. Und sie hat sich entschlossen, ihn zu gehen. Gegn ihre Schmerzen bekommt sie Opiumpflaster, am Ende auch eine Spritze.
Freunde versuchen mit einem Essen in Helmut Kohls Lieblingsgaststätte »Deidesheimer Hof« die deprimierte Juliane abzulenken. Doch der Saumagen bekommt ihr nicht. Statt mit der Mutter Erinnerungen an gemeinsam Erlebtes zu teilen, liest Juliane ihr aus Brechts Briefen an Helene Weigel vor, in einem wird »der gesamte Lenin oder Marx« zum Erwerb empfohlen (ich will nicht hoffen, dass man mir ähnliches vor meinem Tod zumutet).
Womit wir beim Kern des Films angelangt wären. »Zum Tod meiner Mutter« schildert einen hoffnungslosen Tod, der jeden religiösen Aspekt und somit auch Trost vermissen lässt. Es ist ein quälender Tod, bei dem ignoriert wird, dass es zu den natürlichsten Dingen der Welt gehört, dass Kinder ihre Eltern überleben. Besonders wenn man sie bis zuletzt geliebt hat und von ihnen geliebt wurde, ist das sehr, sehr schmerzlich. Weil man den Eindruck bekommt, dass Juliane diesen Schmerz zu unterdrücken versucht, ist auch der Film nur schwer zu ertragen.
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Info:
ZUM TOD MEINER MUTTER
von Jessica Krummacher, D 2022, 135 Min.
mit Birte Schnöink, Elsie de Brauw, Christian Löber, Gina Haller, Nicole Johannhanwahr, Susanne Bredehöft
Drama / Start: 09.06.2022