Redaktion
Siegheilkirchen (Weltexpresso) - Wie ist das Projekt zustande gekommen?
Ernst Geyer, ein Produzentenkollege aus München, und ich haben Manfred Deix aufgesucht und gesagt: „Manfred, deine Zeichnungen, deine Figuren, deine Menschen bezirzen nicht nur uns, sondern sehr viele, und wir haben den Eindruck, dass es toll wäre, wenn sie lebendig wären und gehen würden.“ Manfred hat zuerst kurz gestockt, dann gesagt: „Wie geht das?“, und dann haben wir ihm gezeigt, wie es aussieht, wenn seine gezeichneten 2D-Figuren plötzlich Menschen werden, Vollkörper, sich bewegen und selbständig gehen, ohne dass er dazu etwas zeichnet und schreibt. Von diesem Moment an war er Feuer und Flamme. Dann gab es einen längeren Prozess bis hin zur fertigen Geschichte. Die Finanzierung ging dann relativ flott. Im Unterschied zum analogen Film war das ein Sprung ins kalte Wasser, weil wir in Österreich noch keine wirkliche Erfahrung haben, einen animierten Film über 90 Minuten zu stemmen. Das hat Jahre gedauert.
Was ist das Besondere an diesem Projekt?
Da gibt es Verschiedenes, aber das prinzipiell Besondere ist Manfred Deix. Die Seele von Manfred Deix, die Figuren von Manfred Deix. Ein Österreicher weiß sofort, was damit gemeint ist – man schaut aus dem Fenster und sagt: „Schau, das ist ein Deix!“ Manfred hatte die Gabe, etwas Urösterreichisches in seinen verschiedensten Figuren zu manifestieren und wieder erkennbar zu machen. Es ist eine Mischung aus dem Liebenswürdigen, das in den Österreichern liegt, mit seinen ganzen Verunstaltungen und Kleinheiten und der Bösartigkeit, die im österreichischen oder im Wiener Charakter liegen. Die Bösartigkeit, dass man dem anderen lieber etwas zuleide als ihm etwas Gutes tut. Und diese Mischung in uns allen, denn wir sind weder Teufel noch Götter, die hat der Manfred in einer Form aus der österreichischen Seele gezogen, die mit den Worten von Billy Wilder beschrieben wurde: „Es gibt keinen größeren Psychoanalytiker der österreichischen Seele als den Manfred Deix.“ Das ist das Fleisch dieser Geschichte.
Der Film packt viele große Themen und Kritikpunkte von Deix an der Gesellschaft an – Alltagsrassismus, braune Flecken seit der Nachkriegszeit, starker Einfluss der Kirche. Wie wurden diese vielen Themen im Film komprimiert?
Ich kann nur wieder von Manfred selbst ausgehen, den ich sehr gut kennengelernt habe. Immerhin haben wir 10 Jahre zusammen mit diesem Projekt gelebt, bevor er gestorben ist. Er war ein großer Entertainer und zeitlebens ein Kind. Dieses Kind in ihm hat etwas mit Kinderaugen gesehen, es dann ausgesprochen und hingezeichnet. Diese Kinderaugen erzählen das, was jeder sieht, aber das man sich als Erwachsener dann nicht mehr zu benennen traut und später vergisst, es zu benennen. Und das sind diese Themen: Die Themen aus dem Leben in der Zeit, in der Manfred Deix aufgewachsen ist. Die Zeit, nachdem der 2. Weltkrieg vorbei war, nachdem der Wiederaufbau begann und nachdem über Österreich so eine Verschwiegenheitsglocke hing. Man hat über die Vergangenheit nicht gesprochen. Man hat nicht darüber gesprochen, wie es dazu kommen konnte, dass wir in dieses dunkle Loch hineingetappt sind, die Juden zu verfolgen, wegzuschauen, „nicht dabei gewesen zu sein“. Das sind die Themen, die er, ohne ein aufklärender Publizist zu sein, der die Tagesthemen vor sich hergetragen hat, kommentiert hat, indem er im Alltag den Leuten beim Wegschauen zugeschaut hat. Es war dieses Wegschauen in den insbesondere dörflichen Strukturen, wo das Patriarchale dominiert hat und Frauen in der Öffentlichkeit nicht erwünscht waren. Das ist auch eine kleine Szene im Film, in der Mariolinas Mutter selbstverständlich ins Wirtshaus kommt, weil sie sich nach der Arbeit einen Schluck gönnen will, und die Männer stieren und fragen: „Was hat eine Frau hier zu suchen?“ Das sind die Themen, die er tagtäglich erlebt und gezeichnet hat. Er hat gespürt, da stimmt was nicht: Dass die Frauen wieder zurück an den Herd gehören, dass Fremde, „die nicht so sind wie wir“, weggehören, dass es die Kirche, die alles unter dem Talar zudeckt, so nicht geben sollte, weil sie Schaden anrichtet und letztlich auch, dass politische Fragen in einer Form gelöst werden, die nicht unbedingt immer zum Wohl der Gesellschaft ist. Dass es einen Lehrer gibt, der die Kinder drangsaliert und einen Bürgermeister, der im frommen Dorf lieber der jungen Frau nachrennt, aber von Frömmigkeit redet.
Der Rotzbub ist ja gewissermaßen ein Paraderebell, der Film ist eine Liebeserklärung ans Rebellentum ...
Es ist die Coming-of-Age-Story eines Künstlers und eine Liebeserklärung daran, sich nicht unterdrücken zu lassen, zu sich selbst zu stehen. Ich bin in den 50er-, 60er-, 70er-Jahren jung gewesen. Es war prototypisch, dass wir damals als Kinder immer von den Erwachsenen gehört haben: „Was werden denn die Nachbarn sagen?“ Das ist genau das, was dem Rotzbub auch passiert – die Mutter sagt zu ihm: „Mach nix Falsches, nix Schmutziges, nix Freches, sei brav, so wie die Obrigkeit es will.“ Das ist die Geschichte, die erzählt wird: Trau dir zu, was du fühlst, trau dir zu, was du siehst, trau dir zu, was du tun willst – insofern ist es eine Geschichte, das zu tun, was man will, und das gegen den Widerstand von Kräften, die wollen, dass du kuschst. Und es ist eine Liebeserklärung an die Liebe, denn er verliebt sich.
Was ja auch sehr nah an der Wahrheit ist ...
Das ist sehr nah an der wahren Geschichte. Am Ende des Tages hat die Geschichte vom Paar Deix, Manfred und Marietta, ein Leben lang ein tolles Paar ergeben. Die sind durch dick und dünn gegangen, bis zum Tod von Manfred Deix, weil beide zwei Pole waren, die zueinander gehalten haben.
Was ist deine persönliche Verbindung zu Deix’ Arbeit?
Ich habe in erster Linie einen Lieblingsmenschen, der mir in Erinnerung ist – und das ist der Manfred. Ich bin oft mit ihm im Wirtshaus gesessen und bin immer dahingeschmolzen, wie er sich in „G’schichterln“ hinein phantasieren konnte und sich wie ein kleines Kind über eine Kleinigkeit köstlich amüsieren konnte und das auch bei höchst offiziellen Anlässen.
Foto:
Pandora-Film
Info:
„Willkommen in Siegheilkirchen! Der Deix-Film“ Marcus H. Rosenmüller & Santiago Lopéz Jover (Regie), Österreich / Deutschland 2013 - 2021, 85 Minuten, FSK 12
Abdruck aus dem Presseheft
Was ist das Besondere an diesem Projekt?
Da gibt es Verschiedenes, aber das prinzipiell Besondere ist Manfred Deix. Die Seele von Manfred Deix, die Figuren von Manfred Deix. Ein Österreicher weiß sofort, was damit gemeint ist – man schaut aus dem Fenster und sagt: „Schau, das ist ein Deix!“ Manfred hatte die Gabe, etwas Urösterreichisches in seinen verschiedensten Figuren zu manifestieren und wieder erkennbar zu machen. Es ist eine Mischung aus dem Liebenswürdigen, das in den Österreichern liegt, mit seinen ganzen Verunstaltungen und Kleinheiten und der Bösartigkeit, die im österreichischen oder im Wiener Charakter liegen. Die Bösartigkeit, dass man dem anderen lieber etwas zuleide als ihm etwas Gutes tut. Und diese Mischung in uns allen, denn wir sind weder Teufel noch Götter, die hat der Manfred in einer Form aus der österreichischen Seele gezogen, die mit den Worten von Billy Wilder beschrieben wurde: „Es gibt keinen größeren Psychoanalytiker der österreichischen Seele als den Manfred Deix.“ Das ist das Fleisch dieser Geschichte.
Der Film packt viele große Themen und Kritikpunkte von Deix an der Gesellschaft an – Alltagsrassismus, braune Flecken seit der Nachkriegszeit, starker Einfluss der Kirche. Wie wurden diese vielen Themen im Film komprimiert?
Ich kann nur wieder von Manfred selbst ausgehen, den ich sehr gut kennengelernt habe. Immerhin haben wir 10 Jahre zusammen mit diesem Projekt gelebt, bevor er gestorben ist. Er war ein großer Entertainer und zeitlebens ein Kind. Dieses Kind in ihm hat etwas mit Kinderaugen gesehen, es dann ausgesprochen und hingezeichnet. Diese Kinderaugen erzählen das, was jeder sieht, aber das man sich als Erwachsener dann nicht mehr zu benennen traut und später vergisst, es zu benennen. Und das sind diese Themen: Die Themen aus dem Leben in der Zeit, in der Manfred Deix aufgewachsen ist. Die Zeit, nachdem der 2. Weltkrieg vorbei war, nachdem der Wiederaufbau begann und nachdem über Österreich so eine Verschwiegenheitsglocke hing. Man hat über die Vergangenheit nicht gesprochen. Man hat nicht darüber gesprochen, wie es dazu kommen konnte, dass wir in dieses dunkle Loch hineingetappt sind, die Juden zu verfolgen, wegzuschauen, „nicht dabei gewesen zu sein“. Das sind die Themen, die er, ohne ein aufklärender Publizist zu sein, der die Tagesthemen vor sich hergetragen hat, kommentiert hat, indem er im Alltag den Leuten beim Wegschauen zugeschaut hat. Es war dieses Wegschauen in den insbesondere dörflichen Strukturen, wo das Patriarchale dominiert hat und Frauen in der Öffentlichkeit nicht erwünscht waren. Das ist auch eine kleine Szene im Film, in der Mariolinas Mutter selbstverständlich ins Wirtshaus kommt, weil sie sich nach der Arbeit einen Schluck gönnen will, und die Männer stieren und fragen: „Was hat eine Frau hier zu suchen?“ Das sind die Themen, die er tagtäglich erlebt und gezeichnet hat. Er hat gespürt, da stimmt was nicht: Dass die Frauen wieder zurück an den Herd gehören, dass Fremde, „die nicht so sind wie wir“, weggehören, dass es die Kirche, die alles unter dem Talar zudeckt, so nicht geben sollte, weil sie Schaden anrichtet und letztlich auch, dass politische Fragen in einer Form gelöst werden, die nicht unbedingt immer zum Wohl der Gesellschaft ist. Dass es einen Lehrer gibt, der die Kinder drangsaliert und einen Bürgermeister, der im frommen Dorf lieber der jungen Frau nachrennt, aber von Frömmigkeit redet.
Der Rotzbub ist ja gewissermaßen ein Paraderebell, der Film ist eine Liebeserklärung ans Rebellentum ...
Es ist die Coming-of-Age-Story eines Künstlers und eine Liebeserklärung daran, sich nicht unterdrücken zu lassen, zu sich selbst zu stehen. Ich bin in den 50er-, 60er-, 70er-Jahren jung gewesen. Es war prototypisch, dass wir damals als Kinder immer von den Erwachsenen gehört haben: „Was werden denn die Nachbarn sagen?“ Das ist genau das, was dem Rotzbub auch passiert – die Mutter sagt zu ihm: „Mach nix Falsches, nix Schmutziges, nix Freches, sei brav, so wie die Obrigkeit es will.“ Das ist die Geschichte, die erzählt wird: Trau dir zu, was du fühlst, trau dir zu, was du siehst, trau dir zu, was du tun willst – insofern ist es eine Geschichte, das zu tun, was man will, und das gegen den Widerstand von Kräften, die wollen, dass du kuschst. Und es ist eine Liebeserklärung an die Liebe, denn er verliebt sich.
Was ja auch sehr nah an der Wahrheit ist ...
Das ist sehr nah an der wahren Geschichte. Am Ende des Tages hat die Geschichte vom Paar Deix, Manfred und Marietta, ein Leben lang ein tolles Paar ergeben. Die sind durch dick und dünn gegangen, bis zum Tod von Manfred Deix, weil beide zwei Pole waren, die zueinander gehalten haben.
Was ist deine persönliche Verbindung zu Deix’ Arbeit?
Ich habe in erster Linie einen Lieblingsmenschen, der mir in Erinnerung ist – und das ist der Manfred. Ich bin oft mit ihm im Wirtshaus gesessen und bin immer dahingeschmolzen, wie er sich in „G’schichterln“ hinein phantasieren konnte und sich wie ein kleines Kind über eine Kleinigkeit köstlich amüsieren konnte und das auch bei höchst offiziellen Anlässen.
Foto:
Pandora-Film
Info:
„Willkommen in Siegheilkirchen! Der Deix-Film“ Marcus H. Rosenmüller & Santiago Lopéz Jover (Regie), Österreich / Deutschland 2013 - 2021, 85 Minuten, FSK 12
Abdruck aus dem Presseheft