Hanswerner Kruse im Gespräch mit Doris Dörrie

 

Berlin (Weltexpresso) – Das haben sich auf der Berlinale manche gefragt, weshalb der neue Film von Doris Dörrie im Wettbewerb nicht zu sehen war. Dieses und anderes fragt Hanswerner Kruse bei der Regisseurin nach, die vor dem gleichnamigen Film einen Roman im Diogenes Verlag veröffentlicht hat.

 

 

Kruse Dem Film liegt Ihr Roman zugrunde, aber einige Personen  tauchen gar nicht auf.

Dörrie Manche Figuren drängen in die Wirklichkeit, ja, die laufen mir einfach nach, während andere verblassen. Die besonders Hartnäckigen, die mich lange verfolgen, die dürfen, wenn sie Glück haben, in den Film…

 

Kruse …der ziemlich changiert zwischen alltäglicher Realität und absurden Fantasien?

Dörrie Für mich ist das die Realität. Normalität ist eine reine Behauptung. Wenn man genauer hinschaut, wird man feststellen, dass der alltägliche Wahnsinn alle Fantasien übertrifft. 80 % von dem was ich erfinde, ist beobachtet und aufgeschnappt.

 

Kruse Warum waren Sie mit dem Film nicht auf der Berlinale?

Dörrie Ich wollte das nicht, der hätte nicht wirklich ins Wettbewerbsprogramm gepasst, dazu ist er zu komisch, zu unterhaltsam.

 

Kruse Ich habe Filme vermisst, die wichtige Themen behandeln und gleichzeitig humorvoll sind.

Dörrie Was Sie sagen, beschäftigt mich sehr. Ich versuche ja schon immer und ewig das Komische und das Tragische gleichzeitig zu erzählen, das gibt es nicht so oft.

 

Kruse Wie haben Sie denn Hannelore Elsner und Axel Prahl dazu gebracht, diese skurrile Sexszene zu spielen?

Dörrie Das stand so im Drehbuch und war auch ziemlich simpel zu drehen. Da passiert ja eigentlich nichts, im Gegensatz zum Kollegen Lars von Trier, wo die arme Schauspielerin sich morgens stundenlang in der Maske die Vaginaprothese verpassen lassen musste. Das ist das, was Film für mich so attraktiv macht: Alles wird nur angedeutet, die Brisanz erleben Sie in Ihrer Fantasie. Sie füllen die Leerstellen aus - das ist für mich das Geheimnis von Film.

 

Kruse Aber dass Hannelore Elsner das macht…

Dörrie …weil sie schlau ist! Sie versteht genau, dass das eine raffinierte Szene ist und, nebenbei bemerkt, noch eine Hommage an Oshimas „Reich der Sinne“, in der diese Szene auch vorkommt. Sie versteht den Prozess, sie muss nicht viel von sich herzeigen, nicht nackt sein, keine peinlichen Sexszenen drehen, sondern Ihre Fantasie als Zuschauer komplettiert die Szene. Es macht natürlich Spaß mit Schauspielern zu arbeiten, die so klug sind, dass sie diesen Vorgang so genau verstehen und man deshalb auch mit ihnen sehr weit gehen kann.

 

Kruse Axel Prahl macht sich ja recht „nackt“ in dem Film, etwa mit dickem Bauch im Tanga-Slip, ich dachte, der sei sehr eitel?

Dörrie Bei mir überhaupt nicht, ich habe ihn als extrem uneitel erlebt. Er ist der Rolle sehr zugewandt gewesen, es gab eine große Lust von ihm, diesen Helmut so anzulegen, wie er ihn spielt. Und natürlich kann er gut unterscheiden, was ist die Rolle, was ist die Privatperson.

 

Kruse Die Nadja Uhl war auch so schräg mit ihrer Hundeliebe, ihrer Brille, ihren Neurosen…

Dörrie Dass sie so komisch war, das tut mir so gut und auch ihre Selbstironie, die wirklich alle mitgebracht haben. Die „normalen Leute“, die haben die ja auch! Das nimmt man denen immer so weg, als hätten die überhaupt keinen ironischen Blick auf sich selbst. Alle im all-inc-Hotel wissen, dass sie nicht die Schönsten sind, aber mir gefällt unheimlich gut deren Haltung, „so what!, das ist mein Leben, so sieht mein Bauch aus, so what!“ Sie haben nicht diese verfluchte Coolness und diese Unangreifbarkeit, jeder zeigt sich so daher wie er ist, darin liegt eine große Freiheit und Begeisterung, ja ich finde: Schönheit!